Demografischer Wandel

bei Hund und Katz

Tierärztin Tanja Warter

Bei Katzen verdreifachte sich das Durchschnittsalter seit den 1970er-Jahren, Hunde werden doppelt so alt wie noch vor we­nigen Jahren – ­Heraus­forderungen für die ­Veterinär­medizin.

Immer öfter sind Patienten, die in die Praxis kommen, in gehobenem Alter. Sie sind multimorbid, der Umgang mit ihnen ist oft schwierig und die immer stärker werdende Bindung an den Menschen ist herausfordernd für Tierärzte. Svenja Joswig, 33, Tierärztin in Hankensbüttel, hat sich auf Geriatrie, Palliativmedizin und Tierhospiz spezialisiert. Ihre Überzeugung: Die Zukunft liegt im Alter.

Gleich vorweg: Ihr Schlagwort „Tierhospiz“ macht ganz schön stutzig und sorgt bestimmt oft für Kopfschütteln. Aber Sie meinen das ganz ernst …?
Auf jeden Fall. Wie so vieles kommt auch diese Bewegung aus den USA, dort gab es 2008 das erste Tierhospiz-Symposium. Meist gibt es nur die Intensivmedizin oder die Euthanasie, aber wenig bis nichts dazwischen. Doch ein Tier muss bei einer tödlichen Krankheit nicht sofort eingeschläfert werden. Es geht darum, für das Tier noch einige Zeit eine gute Lebensqualität zu erhalten und den Besitzern zusätzlich Zeit und Raum mit dem Tier zu geben, sie in ihren Entscheidungen zu stärken und gemeinsam den Zeitpunkt des Abschieds zu erkennen.
So oft hört man von Menschen, deren Tier eingeschläfert wurde, dass ihnen im Nachhinein alles viel zu schnell ging. Und auch vielen Tieren, die früher sofort eingeschläfert worden wären, kann man heute mit Medikamenten und guter Pflege oft noch über Monate oder sogar manchmal Jahre eine gute Lebensqualität ermöglichen. Und auch, wenn es nur Wochen oder sogar Tage sind, können auch diese wertvoll sein.

Und wie kann das in der Praxis aussehen?
Natürlich geht es nicht um Heime. Es ist ja ganz besonders wichtig, dass die Tiere in ihrer gewohnten Umgebung bleiben dürfen. Deshalb sind Palliativmedizin und Hospiz von Hausbesuchen geprägt. Dort muss auch die bestmögliche Betreuung stattfinden. Die Besitzer brauchen also eine Menge Informationen, was sie selbst für das Tier tun können.

Wie funktioniert Palliativmedizin also in Ihrem Arbeitsalltag?
Es gibt zwei Säulen: Einerseits die klassische medizinische Beratung und Versorgung mit einer Evaluierung der Krankheitsbilder und vor allem einer sehr guten Schmerzerkennung, und parallel dazu eine intensive Beratung der Tierbesitzer. Sie müssen ebenfalls lernen, Lebensqualität und Schmerzzustand einzustufen und sich mit einem körperlich eingeschränkten Tier anders zu beschäftigen. Viele denken ja: „Der ist alt, darum passt es schon, wenn er viel herumliegt.“ Die Menschen wissen oft gar nicht, wie sie ein älteres Tier beschäftigen können. Wenn ein Hund erblindet, kann man tolle Schnupperspiele machen. Wenn er Hüftschmerzen hat, gibt es Stützgeschirre als Aufstehhilfe. Autorampen, Söckchen, damit die Hunde auf Fliesen nicht ausrutschen, oder Ständer für die Futternäpfe – die Menschen sind sehr dankbar für solche Tipps.

Aber Beratung ist zeit- und kostenintensiv …
Stimmt. Darum sind zum Beispiel Infoabende zum älter werdenden Hund gut. Dann halten sich die Kosten für einzelne Teilnehmer im Rahmen. Aber viele Besitzer sehen die Betreuung auch als Gesamtpaket. Auf diesem Weg bis zum Tod des Tieres brauchen sie Begleitung und Unterstützung, damit sie sich in ihren Entscheidungen sicher fühlen. Meine Eltern mussten leider durch eine überforderte und ­unsensible Kollegin vor vielen Jahren eine sehr schlechte Erfahrung machen bei der Euthanasie unserer Hündin. Meine Mutter konnte erst nach mehreren Jahren zum ersten Mal darüber sprechen, und ich glaube, sie macht sich manchmal immer noch Vorwürfe, ob der Zeitpunkt falsch war und ob es hätte anders ablaufen können.
Diese Erfahrung hat das Andenken von 14,5 schönen Jahren mit unserem Hund, für den sie alles getan hat, dauerhaft für sie getrübt. Wir müssen uns als Tierärzte unserer Verantwortung bewusst sein, dass wir die Trauer um ein Tier durch unseren Umgang mit dem Tod entweder erleichtern oder extrem erschweren können.

Für viele Kolleginnen und Kollegen ist die Euthanasie eine sehr belastende Aufgabe. In Ihrem geriatrischen Fachgebiet kommt das überdurchschnittlich oft vor. Wie gehen Sie damit um? Ich weiß gar nicht, ob Sie der richtigen Kollegin ­diese Frage stellen, weil ich persönlich die Aufgabe, eine ­Euthanasie durchzuführen, tatsächlich gar nicht in jedem Fall vor allem negativ oder als belastend empfinde. Das Wort Euthanasie kommt ja aus dem Griechischen und bedeutet „guter Tod“ – und ich finde, das kann es durchaus sein. Jeder, der schon mal einen lieben Menschen über mehrere Tage an Schläuchen angeschlossen und ungewiss ausreichend mit Schmerzmitteln versorgt in einem Krankenhaus hat langsam sterben sehen – und dann einen Hund, der unter seinem Lieblingsbaum in der Sonne, ­umgeben von der ganzen Familie, friedlich einschläft, weiß es vielleicht zu schätzen, dass wir Tierärzte durchaus auch ein Privileg haben, einen „guten Tod“ zu ermöglichen.

Aber es gibt doch sicher auch andere Fälle …
Natürlich gibt es auch Euthanasien, die mir etwas im Magen liegen – zum Beispiel wenn ältere Leute sich kein weiteres Tier mehr holen werden und können, für die es eine wichtige Bezugsquelle war. Oder auch noch relativ junge Tiere, wo es erst so aussah, als würde alles wieder gut werden, und dann kommt ein schlimmer Rückfall, von dem sie sich nicht mehr erholen. So etwas ist natürlich schlimm für die Besitzer und lässt einen als Tierarzt auch nicht kalt. Mir persönlich hilft dann nach der Arbeit je nach Fall entweder Ablenkung, oder eben auch darüber zu reden. Ich denke, es ist wichtig, dass man irgendwen hat, wo man sich auch mal alles von der Seele reden kann.

Geben Sie eine Empfehlung, wann der Zeitpunkt zum Einschläfern gekommen ist?
Ich finde, Tierärzte haben die Verpflichtung, mitzuteilen, wenn das Tier leidet. Es sagen ja eigentlich alle Besitzer: „Wir wollen nicht, dass er sich quält.“ Die Tierbesitzer ziehen dann eigentlich auch immer von selbst die richtigen Konsequenzen. Wenn ich denke, dass der Zeitpunkt gekommen ist, stelle ich die Frage, ob wir das Tier nun erlösen wollen. Dann vereinbaren wir einen Termin, gerne auch zu Hause. So sind die Voraussetzungen gut, dass es ein schöner und würdiger Abschied werden kann.

 

Mehr Infos zum Thema bei der International Association for Animal Hospice and Palliative Care (www.iaahpc.org); Kontaktperson in Österreich:
TÄ Els Nys, www.tierarztpraxis-auhof.at
Siehe auch: Dr. Svenja Joswig: www.tiermedizinische-geriatrie.de