Chondrosarkom der Rippe

bei einer Hündin

Mag. Annabelle Gleich
Tierklinik Parndorf

Chondrosarkome gehören neben Osteosarkomen zu den häufigsten malignen Tumoren der Rippe.

Fallpräsentation
 
Nationale

Die vierjährige unkastrierte (intakte) American-Bulldog-Hündin Jessy wurde in die Tierklinik Parndorf zur Abklärung einer Umfangsvermehrung (UV) über­wiesen.

Anamnese

Die Hündin Jessy wurde wegen einer leichten Lahmheit und einer harten Umfangsvermehrung von den Tierbesitzern im Dezember 2017 ihrem Haustierarzt vorgestellt. Dieser fertigte ein Röntgen an und therapierte die Hündin mit einem Schmerzmittel an. Das Röntgen zeigte eine runde, mineralisierte Masse. Die Lahmheit besserte sich nach Angaben der Besitzer nach Verabreichen der Medikamente; die Umfangsvermehrung blieb jedoch unverändert, weshalb der Haustierarzt die Hündin zu einer weiteren Abklärung in die Klinik überwies. Anfang Jänner 2018 wurde die Hündin mit einer harten Umfangsvermehrung, mittig an der rechten Thoraxwand sitzend, in der Tierklinik Parndorf vorgestellt. Die ­Hündin war regelmäßig geimpft und entwurmt worden. Es war kein Auslandsaufenthalt bekannt. Das Allgemeinverhalten sowie die Futter- und Wasser­aufnahme waren ungestört.

Klinische Untersuchung

Die allgemein klinische Untersuchung der Hündin war unauffällig. Bei der orthopädischen Untersuchung ­zeigte sie eine leichte Abduktionshaltung der rechten Vordergliedmaße. Die Umfangsvermehrung war mittig auf Höhe der dritten/vierten Rippe der rechten Thoraxwand zu lokalisieren. Palpatorisch war sie derb, hart bzw. knöchern, unverschieblich und nicht schmerzhaft.

Problemliste inkl. Differenzialdiagnosen

Das Hauptproblem von Jessy war die derbe Umfangs­vermehrung mittig auf Höhe der dritten/vierten Rippe der rechten Thoraxseite. Als Ursache kam eine Neoplasie (OSA, Chondrosarkom, Fibrosarkom etc.) oder ein degeneratives Geschehen im Sinne von arthrotischer Zubildung infrage. Des Weiteren könnte ein entzündlicher Auslöser wie zum Beispiel ein Granulom diese Symp­tome hervorrufen.

Untersuchungen

Zur weiteren Abklärung von Jessys Umfangsver­mehrung wurde im ersten Schritt eine FNAB gemacht. Die Zytologie zeigte ein monomorphes Zellbild von mesen­chymalen Zellen vor blutigem Hintergrund. Die ­Zellen hatten ein hellblau bis zartrosa Zytoplasma mit teilweise sehr prominenten Vesikeln bis Granula. Der Kern war randständig. Es bestand der Verdacht, dass die ­Zellen Osteo- oder Chondroblasten waren, die auch teil­weise in Verbänden lagen. Anhand der Zytologie ­wurde die Verdachtsdiagnose von einem Osteosarkom vs. Chondrosarkom bzw. Chondrom vs. Osteom gestellt.

Erweiterte Problemliste

Mithilfe der FNAB wurde die UV als eine Neoplasie diagnostiziert. Die Neoplasie wurde auf Osteosarkom oder Chondrosarkom eingeschränkt.

Weiterführende Untersuchungen

Als weiterführende Untersuchungen wurde ein CT mit Kontrastmittel vom Thorax mit einer anschließenden Entnahme einer Biopsie geplant. Als Teil der Narkosevoruntersuchung für das CT wurden ein Differenzialblutbild und eine Blutchemie der Hündin angefertigt. Das Differenzialblutbild und die Blutchemie wiesen keine Auffälligkeiten auf. Mit dem CT sollte sowohl das Ausmaß der Neoplasie festgestellt werden als auch die Lunge auf Metastasierung hin untersucht werden. Zusätzlich wurde eine Core-Biopsie entnommen, da die Prognose für ein Osteosarkom der Rippe sehr viel ungünstiger als für ein Chondrosarkom an dieser Stelle war. Bei der Core- Biopsie wurde die Umfangsvermehrung, die eine derbe Kapsel hatte und die teilweise mit Flüssigkeitgefüllt hatte, beprobt.

Diagnosen

Das CT des Thorax zeigte, dass die Lunge und das Herz frei von möglichen Metastasen waren. Die Neoplasie wurde am chondrochostalen Übergang der dritten Rippe festgestellt, die knapp der zweiten und vierten Rippe anlag. Es lag nur etwa ein Drittel der Umfangsvermehrung außen, zwei Drittel ragten in den Thorax. Dadurch wurde ein Lungenlappen nach links verdrängt. Darüber hinaus lag die Neoplasie der Aorta an, jedoch ohne eine darstellbare Verbindung. Die Gesamtgröße betrug 83,3 mm × 83,5 mm. Die Core-Biopsie bestätigte, dass es sich bei der Neoplasie um ein Chondrosarkom der Rippe handelte. Es wurde weniger als eine Mitose in zehn HPF gefunden.

Therapie

Die Therapie der Wahl bei einem Chondrosarkom der Rippe ist eine „En bloc“-Resektion. Dabei wird die betroffene Rippe inklusive der cranial und kaudal des Tumors liegenden Rippen entfernt. Bei Jessy wurden die Rippen 2-3-4 reseziert. Der daraus resultierende Defekt wurde mit zwei Premilene-Mesh und einer Muskelschwenkplastik in mehreren Schichten verschlossen. Zusätzlich wurde eine Thoraxdrainage und eine Drainage für Lokalanästhesie gesetzt. Der Tumor wurde zur pathohistologischen Untersuchung eingeschickt. Nach zwei Tagen stationärem Aufenthalt konnte die Hündin die Klinik für die weitere Genesung verlassen.

Enddiagnose

Die Enddiagnose der pathohistologischen Untersuchung bestätigte ein Chondrosarkom geringer Malignität. Gegen das Weichteilgewebe war das Chondrosarkom durch eine Pseudokapsel begrenzt. Es wies bis zu drei Mitosen pro HPF auf. Es wurde an nur wenigen Stellen ein Anzeichen von Malignität gezeigt, die Gefahr der Metastasierung wurde als eher gering eingeschätzt. Es bestanden gute Chancen auf eine kurative Resektion.

Verlauf

Jessys Heilung verlief ohne Komplikationen, sie zeigte bei der Endkontrolle keine Lahmheit. Im Juni des Jahres 2018 wurde sie mit einer Lahmheit 3/5 der rechten Vordergliedmaße vorstellig. Bei der Untersuchung war sie kranial der Schulter druckdolent, der Bizepssehnentest war positiv. Das angefertigte Röntgen zeigte eine geringgradige Verschattung der Bizepssehne. Daraufhin wurde Jessy mit Loxicom für ihr Gewicht einmal täglich, Vitofyllin 100 mg zweimal täglich und Wärmelampe zweimal täglich für fünf Minuten antherapiert. Zusätzlich sollte sie für zwei Wochen ruhig gehalten werden. Anfang Juli war sie wegen ausbleibender Besserung der Lahmheit erneut in der Tierklinik Parndorf. Es wurde ein Ultraschall der Bizepssehne gemacht, wo ein ödematöser Ansatz mit Flüssigkeitseinschlüssen sichtbar war. Die Bizepssehne wies über die Hälfte des Durchmessers einen Defekt auf. Ultraschallgestützt wurde ihr Depo-Medrol (0,5 ml) verabreicht. Als zusätzliche Schmerztherapie bekam sie zweimal täglich Gabapentin 100 mg. Zwei Wochen nach dieser Therapie zeigte sich noch immer keine Verbesserung der Lahmheit, sodass ein erneutes CT von der rechten Thoraxseite und dem Thorax geplant wurde. Bei der Voruntersuchung war die Umgebung der OP-Narbe schwammig und der rechte axillare Lymphknoten prominenter palpierbar. Im CT zeigte sich eine primär monostotische, aggressive Knochenläsion der rechten vierten Rippe mit einer mittel- bis hochgradigen Weichteilkomponente. Die Weichteilkomponente wies eine Größe von 5 × 3 × 5 cm (L × B × H) auf und verlagerte die Skapula nach lateral. Der verbliebene Teil der dritten Rippe rechts zeigte proximal eine ggr. sekundäre Periostitis. Zusätzlich wurden multiple Lungenmetastasen mit einem Durchmesser von bis zu 1 cm gefunden. Die sternalen Lymphknoten waren circa 1 cm im Durchmesser und länglich vergrößert. In Narkose war unter dem Schulterblatt die Weichteilschwellung palpierbar und wurde einer FNAB unterzogen. Die Zytologie ergab erneut den Verdacht eines Chondro- vs. Osteosarkoms. Auf Wunsch des Besitzers wurde Jessy einige Tage nach dieser Diagnose euthanasiert. Die Überlebenszeit von Jessy zwischen erster OP und letzter Diagnose betrug 199 Tage, sie kommt auf eine Gesamtüberlebenszeit von rund 220 ­Tagen. Die progressionsfreie Überlebenszeit (PFS) betrug vom Tag der OP bis zur Wiedervorstellung 160 Tage.

Diskussion

Chondrosarkome zählen zu den malignen mesenchymalen Tumoren des Knorpelgewebes und stellen die zweithäufigste Knochentumor-Art dar. Sie machen rund fünf Prozent aller Knochentumore aus. Neben dem Osteosarkom (OSA) sind Chondrosarkome die häufigsten malignen Tumore der Rippe. Weitere Lokalisationen sind die Nasenhöhle, der Schädel oder die langen Röhrenknochen. Vor allem große Hunderassen neigen zu dieser Erkrankung, die Tiere aller Altersstufen, meist jedoch mittleren Alters, betreffen kann. Je nach Lokalisation ist die Prognose günstig, da sowohl Rezidive als auch Metastasen oft erst Monate bis Jahre später auftreten können.
Das Rezidiv und die Progression in Jessys Fall lässt die Überlegung zu, ob dies nun ein Rezidiv mit Progression oder ein neuer Primärtumor (OSA) mit Metastasierung in die Lunge war. In einem Anfang 2018 von Vinayak et al. veröffentlichten Paper wird erstmals in der Veterinär­medizin eine aggressivere und seltene Form, das sogenannte Dedifferenzierte Chondrosarkom bei Hund bzw. Katze, beschrieben. In der Humanmedizin ist diese Variante des Chondrosarkoms als sehr aggressiv bekannt. In der Bildgebung zeichnet es sich durch unterschiedliche Anteile von mineralisierten und nicht mineralisierten Arealen aus. In der Histologie spiegelt sich das dadurch wider, dass ein Teil des Tumors aus einer „Low Grade“- und einer „High Grade“- Komponente besteht.
Der Verlauf von Jessy passt in mehreren Punkten zu einem Dedifferenzierten Chondrosarkom. Die erste CT-Untersuchung zeigte ebenfalls mineralisierte und nicht mineralisierte Anteile des Tumors. Die progressionsfreie Zeit (PFZ) von der ersten OP bis zur wiederkehrenden Lahmheit betrug circa 160 Tage – je nach Lokalisation betrug in der Untersuchung von Vinayak et al. die PFZ, soweit angegeben, zwischen 47 und 220 Tagen. Die Gesamtüberlebenszeit bei Vinayak et al. (2018) wurde mit 177 bis 346 Tagen angegeben – auch hier abhängig von der Lokalisation und Therapie. Im Gegensatz zum Chondrosarkom ist die mediane Überlebenszeit von Osteosarkomen der Rippe bei ausschließlicher chirurgischer Entfernung circa 90 Tage. Je nach Studie lässt sich durch Chemotherapie eine Verlängerung der Überlebenszeit auf circa 240 bis 290 Tage erreichen. Die Gesamtüberlebenszeit der Hündin im vorliegenden Fall betrug circa 220 Tage, sowohl die progressionsfreie Zeit wie auch die Überlebenszeit deuten auf ein Dedifferenziertes Chondrosarkom hin. In den von  Vinayak et al. (2018) zusammengefassten Fällen wiesen die Tiere nach dem Rezidiv bzw. der Progression zum Teil multiple Lungenmetastasen auf. Auch in dem zweiten CT von Jessy zeigten sich multiple Lungenmetastasen bis zu einer Größe von 1 cm. Aus den im Paper beschriebenen Fällen geht hervor, dass auch teilweise eine vorangegangene Biopsie nur ein niedrig differenziertes Chondrosarkom ­bestätigte. Die Vorgehensweise mit Entnahmebiopsie war für uns wichtig, um die Diagnose zwischen Chondrosarkom und Osteosarkom zu stellen. Durch die Biopsie konnte ein Chondrosarkom Grad 1 bestätigt werden. Im Falle von Jessy hätten wir die histologische Untersuchung des Tumors post OP kritischer hinterfragen sollen, da die Bildgebung mineralisierte und nicht mineralisierte Tumor­areale darstellte. Dieser spezielle Übergangsbereich von mineralisiert zu nicht mineralisiert hätte einer genauen Untersuchung unterzogen werden sollen. Darüber hinaus hätte hinterfragt werden müssen, ob die Schnittränder frei sind, bzw. hätte die Untersuchung der Rippenknochen im Markraum weitere Erkenntnisse auf mögliche intramedulläre hämatogene Streuung liefern können. Als Lehre aus dem Fall Jessy und den neuen Erkenntnissen des Papers sollte man sich nicht von einem Biopsieergebnis und einer pathologischen Untersuchung in falscher Sicherheit wiegen lassen. Wichtiger ist es, bei dem Verdacht eines Chondrosarkoms und einer entsprechenden Bildgebung eng mit dem jeweiligen Pathologen zusammenzuarbeiten und spezielle Areale des Tumors und die Schnittränder untersuchen zu lassen bzw. einen größeren Anteil des Tumors zu untersuchen. Dieser Aufwand ist zwar teurer für die Besitzer, aber nur so kann eine genaue Diagnose mit anschließender Therapie für den Patienten geplant
werden und zu einer längeren Überlebenszeit führen.

Dank an Dr. K. Alton für die pathohistologische Untersuchung und Dr. F. Willmitzer für die Befundung der Computertomografie.

 

Literatur

• M. Kessler (2013): Kleintieronkologie – Diagnose und Therapie von Tumorerkrankungen bei Hund und Katze, Enke Verlag, Stuttgart.
• R. Mischke (2005): Zytologisches Praktikum für die Veterinärmedizin, Schlütersche.
• Matthiesen D. T., Clark G. N., Orsher R. J. et al.: En bloc resection of primary rib tumors in 40 dogs. Vet Surg. 1992; 21: 201–204.
• Liptak J. M., Kamstock D. A., Dernell W. S. et al.: Oncologic outcome after curative-intent treatment in 39 dogs with primary chest wall tumors (1992–2005). Vet Surg. 2008; 37: 488–496.
• Waltman S. S., Seguin B., Cooper B. J. et al.: Clinical outcome of nonnasal chondrosarcoma in dogs: thirty-one cases (1986–2003). Vet Surg. 2007; 36: 266–271.
• Vinayak et al.: Dedifferentiated Chondrosarkoma in the Dog and Cat:
A case Series and Review of the Literature (2018). J Am Anim Hosp. Assoc 2018; 54: 50–59.