Tierpräparator Peter Morass:

„Ich gehe jeden Tag pfeifend in die Arbeit!“

Mag. Eva Kaiserseder

Was passiert eigentlich mit Long Hui, dem kürzlich verstorbenen Panda aus Schönbrunn, der quasi eine tierische Berühmtheit war? Er wird fachmännisch präpariert und nächstes Jahr wieder nach China gebracht. Der Mann, der diesen Auftrag übernommen hat, heißt Peter Morass. Er ist Tierpräparator mit Leib und Seele im Tiroler Landesmuseum und erzählt über seinen ungewöhnlichen Beruf mit ansteckender Begeisterung.

Tierpräparator gehört nicht unbedingt zu den alltäglichen Berufen. Wann und wie hat sich denn dieser Berufswunsch entwickelt?
Ich bin in einem ländlichen Teil von Innsbruck aufgewachsen, daheim bei uns hat es Hendln und Hasen gegeben. Und einmal, da war ich fünf Jahre alt, habe ich zu meinem Opa gesagt: Bitte, da sitzt ein Hendl mit einer anderen Farbe! Der Opa ist dann hinausgegangen, hat das vermeintliche Hendl eingefangen und siehe da, es war ein Sperber. Tja, dieser Sperber, den damals ein Bekannter von uns präpariert hat, der hängt heute noch im Elternhaus, und so ist mein Interesse geweckt worden. Ich war ein Kind, das immer mit dem Opa im Wald war, und mich hat das einfach neugierig gemacht: Wie schauen die Tiere innen drinnen aus, wie sind die konstruiert, all diese Dinge. In der Mittelschule hab ich dann ein Buch in der Buchhandlung darüber entdeckt, wie man Vögel und Säugetiere präpariert. Damals noch ohne Taschengeld bin ich dort einfach jeden Tag hingepilgert, hab seitenweise gelesen und das dann daheim aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Und mit 16 habe ich dann meinen ersten Grünling präpariert. Ich bin also reiner Autodidakt. Den Grünling kann ich heute übrigens nicht mehr guten Gewissens anschauen. (lacht)

Wie ging Ihr Weg dann weiter?
Ich habe einfach permanent probiert und bin über „learning by doing“, wie man das heute nennt, immer besser geworden. An und für sich ist das ja ein Lehrberuf, inzwischen ist es ein freies Gewerbe geworden; ich habe dann noch eine Prüfung beim Präpariermeister abgelegt, mein Gewerbe angemeldet, hier in Innsbruck ein wenig ausgeübt – und dann bin ich nach Japan gegangen, für 16 Jahre. Dort habe ich teilweise für das kaiserliche Vogelmuseum gearbeitet, da sind einem natürlich die tollsten Stücke untergekommen. Und dann, als meine Zeit dort vorbei war, bin ich wieder zurück nach Innsbruck gegangen und habe ein bisschen geschaut, was die Kollegen europaweit so treiben. Da hat sich die damalige Präparatoren-EM in Dortmund angeboten, und außerdem wollte ich unbedingt einen Preis gewinnen. Gesagt, getan: Ich habe gleich 14 Präparate eingereicht, und alle 14 sind prämiert worden, eines wurde sogar Europameister. Mit dem Tiroler Landesmuseum war ich dann seit jeher verbandelt; durch die Direktion von Helmut Pechlaner, der ja vorher den Innsbrucker Alpenzoo geleitet hat, war ich auch mit Schönbrunn verbunden, und so hat eins das andere ergeben und ich bin im Tiroler Landesmuseum gelandet – das übrigens demnächst nach Hall übersiedeln wird, wir sind gerade mittendrin. Jedenfalls bin ich Präparator mit Leib und Seele, mir macht das eine Riesengaudi. Aber lebendig mag ich Tiere auch sehr, sehr gern, und bitte, ich bring keine Tiere um, die werden mir schon tot angeliefert. Sie glauben ja nicht, was die Leute für Fragen stellen … (lacht)

Wie kann man sich das Ganze eigentlich vorstellen? Wie funktioniert der Arbeitsprozess? Haben Sie vorab einen Plan im Kopf oder kristallisiert sich das währenddessen heraus? 
Als Museumspräparator ist die Aufgabenstellung grundsätzlich einmal eine andere als beim Trophäenpräparator. Mir wird z. B. ein totes Tier angeliefert, mit einer Eingangsnummer und dem Fundort und dem Datum vom Finder, und dann kommt dieses Tierchen einmal in den Tiefkühler, Sie wissen ja, Parasiten und so weiter. Sobald ich dann die Zeit dafür habe, wird es mir heraufgebracht, aufgetaut und dann genauestens vermessen, das Gewicht ermittelt und der Ernährungszustand festgestellt. Dann gibt es einen Parasitencheck, und dann geht es ans Aufschneiden. Ich habe natürlich eine ganz andere Schnittführung als die Veterinäre, beim Vogel schneide ich von der Mitte des Sternums bis zur Kloake, bei Säugetieren vom Ende des Sternums bis zum Anus und bei großen Säugetieren wie zum Beispiel einem Bären vom Jugulum bis zum Schwanzende. Und dann wird gehäutet. Bei Vögeln schaut das aus, als würde man einen Pullover ausziehen, die Innenseite wird quasi nach außen gestülpt. All das wird dann sauber geputzt und streichgegerbt, damit nichts mehr verwesen kann. Übrigens passiert das heute ohne jegliches Gift, früher wurde ja oft mit Arsen präpariert, das giftig und karzinogen ist. Große Tiere werden ganz „normal“ gegerbt, so wie es auch der Gerber machen würde. Dann wird die Haut über einen künstlichen Körper gezogen, und das ist der Schritt, den ich gerne mit einem Schaufensterdekorateur vergleiche – außer, dass ich keine Knöpfe habe, sondern das Ganze zunähen muss. Bei einem Tiger habe ich rund sechs Meter, die ich mit einem Stichabstand von fünf bis sechs Millimetern vernähen muss, da sitze ich also schon ein Zeiterl. Nachdem ich diese Schritte alle alleine mache, gibt’s natürlich Grenzen nach oben: Eine Giraffe oder ein Elefant wird schwierig. Aber bis Elchgröße habe ich mich so ziemlich durch Brehms Tierleben durchgearbeitet. Auch viele Bären waren dabei, Braunbären, weil viele Japaner nach Kamtschatka (russische Halbinsel, Anm. d. Red.) fahren und dort jagen. Die sind mit drei Metern Größe, wenn sie aufrecht stehen, auch nicht gerade Winzlinge. 

 

Stichwort Bär: Sie haben die Ehre, den an Krebsverstorbenen Schönbrunner Panda Long Hui zu präparieren. Sind Sie da nervöser als sonst – und wie ist denn aktuell der Stand der Dinge?
Nein, nervös bin ich nicht, aber ich brauche viel Ruhe für diese Aufgabe, ich will einfach eine Zeit lang an nichts anderes denken außer „Panda, Panda, Panda“. Das ist sicher der absolute Höhepunkt meiner Karriere und eine wirkliche Ehre für mich, mehr geht nicht. Grundsätzlich kommt alles, was von Long Hui überbleibt, wieder zurück nach China, das muss bis Frühjahr 2018 passieren; das heißt, nicht nur das Präparat, auch alle Knochen kommen retour. Wir haben ihn schon von Wien heraufbekommen, ich habe ihm jetzt die Decke abgezogen – natürlich waren da vorher schon die Veterinäre dran mit ihrer eigenen Schnitttechnik – und habe die Haut grob eingesalzen und ihn eingefroren. Wir übersiedeln ja gerade nach Hall, das heißt, ich fange dann damit an, wenn der Umzug in der Endphase ist, klarerweise will ihn ja jeder sehen und das mediale Interesse ist groß. Mein Zeitlimit ist ein Monat. Jedenfalls habe ich mich mental schon eingestimmt, weil mich als Erstes der Long Hui am PC anlacht, wenn ich den Rechner einschalte. Es gibt da ein Foto von ihm, das ich von der Schönbrunner Direktorin bekommen habe, das sein entspanntes, freundliches Wesen ganz gut einfängt, wurde mir gesagt; und dem möchte ich gerecht werden.

Wenn wir schon in Asien sind: Was haben denn die Japaner für einen Zugang zur Jagd und zu Tieren?
Das sind eigentlich keine großen Jäger, denn die Waffengesetze dort sind extrem scharf und Jagd ist mit hohen Kosten verbunden. In Japan selbst werden maximal zum Beispiel in Hokkaido Sikahirsche oder Fasane gejagt, aber sonst fahren die betuchten Japaner eher ins Ausland; da bietet sich natürlich Russland an. Dort werden dann Elche oder Bären gejagt. Bei meiner Arbeit in Japan habe ich selber dann teilweise sehr gute Sachen bekommen, Japanmakaken unter anderem oder seltene Vögel, da habe ich ganze Museen bespielt. Das war sehr spannend. 

Weil wir zuerst die Unterschiede zwischen Museums- und Trophäenpräparator kurz gestreift haben – wo liegen diese denn konkret?
Ganz banal gesagt: Beim Trophäenpräparator ist Zeit Geld. Ich als Museumspräparator kann dagegen Feinheiten einbauen, die ein normaler Kunde, der sich zu Hause die Gams hinhängt, niemals bezahlen würde; zum Beispiel ein durchsichtiges Nasenseptum, das ist bei einem sehr guten Präparat Pflicht. Das wird sich der Trophäenkunde nicht leisten wollen. Und als Museumspräparator habe ich natürlich viel mehr Möglichkeiten, zum Beispiel baue ich bei jeder Ausstellung auch ein sogenanntes Streichelpräparat ein, das ausdrücklich dazu da ist, es anzugreifen – dass da null giftige Stoffe verwendet werden, versteht sich von selbst. Für Kinder ist das toll, da können sie herausfinden, wie steif eigentlich die Schnurrhaare eines Tigers sind und wie weich sich das Fell anfühlt. Oder meine kopulierenden Tiger, wo die schon überall waren … Als Museumspräparator kommt man natürlich legal an ganz andere Tiere. 

Als was begreifen Sie Ihren Beruf? Als Kunst, Handwerk, Vermittlertätigkeit – oder vielleicht als etwas ganz anderes?
Ich glaube, es ist eine Verknüpfung aus all dem. Ich seh mich durchaus auch ein bisschen als Künstler, wobei das ja immer eine Definitionssache ist, was genau jetzt Kunst ist. Trotzdem bin ich auch ein Vermittler, zu mir kommen oft Schulklassen, die mir über die Schulter schauen, da versuche ich, denen über meine Arbeit einen Zugang zur Natur zu bieten. Und ich bezeichne mich auch als Wissenschaftler: Alleine bezüglich meines absoluten Faibles, das sind die Rauhfußhühner, habe ich schon enorm viele Daten und Informationen gesammelt. Und die Vögel, die ich präpariere, schaue ich mir ja auch ganz genau an, da kooperiere ich übrigens auch viel mit der AGES, ob der Vogel z. B. vergiftet worden ist oder Ähnliches. Bei jedem Vogel oder Säuger wird übrigens ein ca. 3 cm großes Stück für die DNA-Datenbank konserviert, da bekommt man auch einiges heraus.

 
 
 

Welche Tiere sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Der Grünling natürlich, als mein erster selbst präparierter Vogel, und dann gab es da etwas Besonderes, ein Japan--Serau oder Wollhaargämse. Die ersten hierzulande waren ein Geschenk an Helmut Pechlaner, der damals noch Direktor des Alpenzoos war. Die gingen dann nach Schönbrunn, weil der Alpenzoo ja nur europäische Tiere zeigen darf. Leider sind sie dann dort verstorben und ich durfte den Bock präparieren. Dann waren die Japanmakaken etwas Spezielles, die sind ja in ihrer Anatomie dem Menschen sehr ähnlich, und dann durfte ich einmal eine Okinawaralle präparieren. Das ist etwas ganz Seltenes, die sind drüben in Japan erst Ende der 70er-Jahre entdeckt und ein paar Jahre später beschrieben worden. Außerdem gibt es auf der Insel Tsushima zwischen Korea und Japan eine Katze, von der man lange angenommen hat, sie sei eine Unterart der Bengalkatze, dabei ist sie eine ganze eigene Katzenart, von der es nur mehr rund 100 Stück gibt. Da durfte ich zwei Tiere präparieren. Oder der Quetzal … da war ich vielleicht nervös, das ist so etwas Seltenes, Wertvolles … Sie sehen, da gibt’s viel zu erzählen. (lacht) Ein Museumspräparator hat auf jeden Fall seine Berechtigung, traue ich mich ganz objektiv zu sagen, die Tiere kommen ja zu uns, damit sie für die Nachwelt aufbewahrt werden. Und man kommt auch immer wieder auf ganz spannende Sachen drauf, zum Beispiel sind bei uns in Tirol ja viele Biber unterwegs. Ein Kollege hat mich gebeten, die Augen offenzuhalten, sollte wieder einmal ein Biber hereinkommen – er wollte die sogenannte Biberlaus, eine Käferart, die nur auf Bibern zu finden ist, dingfest machen. Ja, und dann kam der gewünschte Biber, und ich denk mir noch: Was ist denn das für ein Tierchen bitte, das da auf dem Biber herumkrabbelt? Ich hole den Kollegen – und der ist mir schier ausgeflippt: Es war der erste Nachweis der Biberlaus in Westösterreich.

Was kann man aus einem toten Tier herauslesen?
Das sind ganze Romane, wenn man weiß, wie man es lesen muss. Zum Beispiel, wenn ein Vogel Blut bei den Nasenlöchern hat: Gemeinhin heißt es ja, Vögel brechen sich das Genick, wenn sie gegen eine Fensterscheibe fliegen. Dabei sind das meistens zerebrale Blutungen. Ich schaue auch immer, was sie gefressen haben und ob sie Endo- oder Ektoparasiten haben; diese Daten sammle ich dann gewissenhaft in meinem Computer, da verbringe ich wirklich viel Zeit vor meinem Kastl. Man kann natürlich auch herausfinden, welche Frakturen so ein Tier hatte, wenn es ein Verkehrsopfer war, gemeinsam mit den Tierärzten. Oder beim Biber, da findet man mittels Penisknochen, den man ja von außen nicht sieht, heraus, ob es Männchen oder Weibchen war. Kann ich in dem Bereich durchschneiden, war es ein Weibchen; knackt und knirscht es, dann war es ein Männchen. Und „unbrauchbare“ Tiere, also Tiere, die zum Beispiel zu verwest sind, gibt es kaum. Dann verwertet man entweder das Skelett oder macht bei Vögeln eine Federkarte, wo die Federn einzeln aufgeklebt werden. 

Wie lange möchten Sie denn Ihren Beruf noch ausüben?
Ich könnte zwar in rund zweieinhalb Jahren in Pension gehen, aber ich arbeite so gerne, und solang sich mein Chef darüber freut, bleibe ich dem Museum erhalten. Mein Hobby ist zum Beruf geworden, was gibt’s Schöneres? Ich gehe in der Früh pfeifend und mit einem Lächeln im Gesicht in die Arbeit. Da kann man Danke sagen!