Veterinärmedizin -

eine Branche am Leistungslimit

Mag. Eva Kaiserseder

Wie man das Optimum aus sich selbst und seinem Team herausholt, ohne auszubrennen.

Tierarzt – ein enorm stressiges Berufsfeld, in dem Teamwork meistens im kleinen Rahmen passiert, Stichwort: Einzelkämpfer. Nichtsdestotrotz wird es auch hier zunehmend wichtiger, aus jedem einzelnen Mitarbeiter, inklusive sich selbst, das Beste herauszuholen: Auch, um konkurrenzfähig zu bleiben, denn je besser die Zusammenarbeit, desto produktiver das Team.

„Durchs Reden kumman d’Leit z’samm.“ Ein Spruch, den jeder kennt und der ewig gültig scheint, ist der Mensch doch eindeutig ein soziales Wesen, das „nicht nicht ­kommunizieren kann“, wie einst der Soziolge und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick feststellte. Im Klartext heißt das: Auf zwischenmenschlicher Ebene geht es nicht ohne einander, egal ob wir uns durch unser Verhalten austauschen oder durch Worte. Das kann und sollte man gerade in einem so sozialen, „menschelnden“ Beruf, wie ihn der Tierarzt ausübt, vor Ort in der Praxis nutzen, um aus seinem Team eine eingeschweißte Truppe zu formen. Praxiscoach Petra Eibl-Schober sieht Kommunikation überhaupt als Grundvoraussetzung dafür, dass Teamwork funktionieren kann: Individualisierte Gespräche mit den Mitarbeitern, parallel mit Teambesprechungen zum gemeinsamen Austausch seien hier das A und O:
„Es geht schließlich darum, eigene Ziele und Vorstellungen zu vermitteln. Und es geht darum, Praxisprozesse und -strukturen laufend abzugleichen und zu hinterfragen. Das ist für die Gestaltung einer positiven Beziehungsebene im Team sehr wichtig.“ Was Eibl-Schober für mindestens genauso wichtig hält: Transparenz und Orientierung. „Klare Prozesse und Strukturen sind dafür nötig; es geht darum, dass Mitarbeiter die Aufgabenbereiche erhalten, die ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechen. Wenn das gelingt, kann man längerfristig mit einem homogenen Team arbeiten.“

Das alles klingt in der Theorie gut, schön und durchaus umsetzbar, jeder Tierarzt weiß aber, dass an Tagen, in denen es in der Ordi rundgeht – also an den meisten–, nicht viel Zeit für Dialog oder Basisdemokratie bleibt. Im Gegenteil, hier gilt es vorrangig, Führungskompetenz an den Tag zu legen und kluge Entscheidungen zu treffen. Alleinherrschaft ist damit nicht gemeint, gut zu führen heißt vielmehr, „Ziele, Vorgaben und Anweisungen klar und deutlich zu formulieren“, so Eibl-Schober: „Eine gute Führungskraft gibt Sicherheit und Orientierung, ist in ihrem Verhalten berechenbar und konsistent, ist bereit und fähig, sich auf Mitarbeiter einzulassen, und kann ihnen empathisch begegnen. Im richtigen Moment konstruktives Feedback zu geben und auch zu loben ist genauso wichtig wie im individualisierten Gespräch klare Vereinbarungen zu treffen und Sinn aufzeigen zu können.“

Respekt als wichtige Währung

Sicherheit und Orientierung sind also verständlicherweise zwei wichtige Eigenschaften für Leadership. Was laut einer Studie für die RespectResearchGroup aus 2011 ebenfalls essenziell ist und ohnehin mehr sein sollte als ein netter Bonus am Arbeitsplatz, sind Anerkennung und Respekt. Warum? Der Sinn, der dahintersteckt, ist abseits vom nicht unwesentlichen menschlichen Aspekt recht ­profan: Wirtschaftswissenschaftler Jan Borkowski kam in oben genannter Studie gegenüber dem Magazin „Psychologie heute“ zu folgendem Schluss: „Respektvolle Führung wirkt sich direkt auf die Mitarbeiterleistung aus.“ Heißt, wer es schafft, seinen Mitarbeitern zu zeigen, wie wertvoll sie für das große Ganze sind, kann mit mehr Einsatz und proportional dazu mit mehr Produktivität rechnen. Was eine respektvolle Führungskraft laut Studie ausmacht, ist erwartbar: Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität und Offenheit für Erfahrungen. Was für Borkowski aber durchaus überraschend war: Dass Persönlichkeit Trumpf ist und sogar Werte schlägt. Entscheidend ist das, was die Führungskraft von innen her vorlebt. Das hat deutlich größeren Einfluss darauf, wie respektvoll ihr Führungsverhalten empfunden wird, als die Werte, die sie plakativ vor sich herträgt.

Was aber, wenn es berechtigterweise zu Konflikten kommt, weil Mitarbeiter nicht die erwünschte Leistung bringen? Wie kann man hier trotzdem respektvoll miteinander umgehen? Borkowski empfiehlt, „höflich im Ton, klar in der Sache“ zu sein. „Respektvoller Umgang hat nichts mit Kuscheln zu tun. Und: Es gibt ja Menschen, die machen Management by Decibel. Das halte ich nicht für angebracht. Eine Führungskraft soll berechenbar sein: Wenn man klar sagt, welche Leistungen man erwartet, kann man diese später auch einfordern“, so der Wirtschaftswissenschaftler.

Veterinärmedizin als Branche am Limit

Überhaupt das Thema Leistung: Die Tiermedizin gilt als eines der Berufsfelder, die immer hart an der Grenze zur Selbstausbeutung navigieren, viele Freiberufler verlangen sich selbst oft mehr ab, als sie geben können. Sei es aus Einkommensgründen, sei es aus purer Hingabe an den Job, sei es, weil die Umstände den extremen Einsatz mehr oder weniger verlangen. Daher kennen die meisten Tierärzte das leidige Thema Stress, wenn nicht gar Burn-out, aus eigener leidvoller Erfahrung: Fordernde Patientenbesitzer, schwierige Fälle, dazu noch Rufbereitschaften, Wochenenddienste und Praxen, die beinahe im Alleingang betrieben werden – dem wird oft mit Raubbau am eigenen Körper, an der eigenen Psyche Rechnung getragen. Der Stehsatz „Selbstständige arbeiten selbst und das ständig“ kommt schließlich nicht von ungefähr

In einer WIFO-Erhebung aus dem Jahr 2012, die von der Österreichischen Tierärztekammer in Auftrag gegeben wurde, lässt sich dieses enorme Engagement schwarz auf weiß nachlesen: „Die Erhebung brachte ans Licht, dass innerhalb der Tierärzteschaft ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft vorhanden und hoher Arbeitseinsatz die Regel ist. Dies hat für den Kunden und die Nachfrager nach tierärztlichen Dienstleistungen große Vorteile und unterscheidet die Veterinärmedizin deutlich von anderen Branchen.“ Der Viechdoktor als Arbeitsviech. Woher das kommt, lässt die Erhebung ebenfalls erahnen – überraschend ist das nicht: „Die empirische Untersuchung legt nahe, dass für viele Tierärztinnen und Tierärzte die kurative Tätigkeit und der Umgang mit Tieren zu einem sinnerfüllten Leben beitragen. Einkommensmotive stehen eher im Hintergrund. Das hohe Maß an intrinsischer Motivation erleichtert es den Betroffenen, mit den Schattenseiten des Berufs umzugehen, und viele ziehen ein hohes Maß an Arbeitszufriedenheit aus den Erfolgen ihrer kurativen Tätigkeit.“

Was die Kehrseite der Medaille ist, wo auf der Vorderseite noch der mit Hingabe heilende Veterinär glänzt, lässt sich recht rasch skizzieren: Lange Arbeitszeiten, kurze Urlaube, Bereitschaftsdienste, die kraftraubend sind und auf Kosten des Familien- und Soziallebens gehen, die Beziehung zu den Tierhaltern und deren Erwartungen – all das wurde in der WIFO-Studie bekrittelt und macht den Arbeitsalltag eines Tierarztes teilweise so anstrengend. Lange Arbeitszeiten sind für die großteils recht idealistischen Veterinäre zwar einerseits ein Teil des Jobs, den es hinzunehmen gilt, andererseits sind sie zentrales Problemfeld, Stichwort: ständige Erreichbarkeit. Dass eine dauernde, quasi innere Rufbereitschaft psychisch als enorme Belastung erlebt wird, wird wohl keinen Leser überraschen. Mit ihrer Einkommenssituation sind heimische Veterinäre übrigens nicht besonders zufrieden, laut WIFO-Studie legen „Ergebnisse aus anderen ­nationalen und internationalen Befragungen den Schluss nahe, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Einkommen im tierärztlichen Bereich überdurchschnittlich bzw. die Zufriedenheit unterdurchschnittlich stark ausgeprägt ist“.

Auf der Suche nach dem heiligen Gral

Wie die viel zitierte Work-Life-Balance in all diesen Problemfeldern Platz finden soll, ist für Petra Eibl-Schober eine Frage von Achtsamkeit: „Es geht um ein hohes Maß an Selbstreflexion. Und um die laufende Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen und Werten, was eigentlich eine gesunde Basis ist, um die entsprechende Abgrenzung zu gewährleisten und individuelle Strategien gegen die Dinge, die mich Energie kosten, zu entwickeln.“

Allgemeingültige Antworten auf derart komplexe Themen­bereiche wie etwa auch die Burn-out-Problematik zu geben sei ein Ding der Unmöglichkeit, meint Eibl-Schober, die auch als Profi mit langjähriger Berufs­erfahrung um die Schwierigkeit weiß, hier Lösungen aus dem Ärmel zu schütteln. Eine Idee und ein Ansatz sei aber „die achtsame Haltung sich selbst gegenüber als entscheidender protektiver Faktor, die Beachtung eigener Gefühle und der damit verbundenen Reaktionen als Grundlage zur Selbstregulation“.
Sprich: Auf sich selber zu schauen und nicht permanent die eigenen Grenzen zu ignorieren könnte schon ein praktikabler Schutzschild sein.