Univ.-Prof. Dr. Christian Korunka:

„Beinahe ein idealtypischer Job!“

Mag. Eva Kaiserseder

Aus Sicht des Arbeitspsychologen: Wie sehen Sie den Beruf des Tierarztes? 
Es handelt sich um einen Beruf, der aus arbeitspsychologischer Sicht sehr positiv zu beurteilen ist. Die Tätigkeiten des Tierarztes erfüllen viele motivationale Kriterien, die ein Tätigkeitsprofil mit hoher Qualität auszeichnen. Damit meine ich zum Beispiel die erlebte Sinnhaftigkeit der Tätigkeit selbst, die gesellschaftliche Akzeptanz und die Variabilität in den Aufgaben, das heißt, der Beruf ist ein sehr abwechslungsreicher. Außerdem bekommt man viel Feedback über die Qualität der eigenen Tätigkeit durch die Kunden. Kundenbindungen ermöglichen gute soziale Kontakte und Rückmeldung zu den Erfolgen der eigenen Tätigkeit. Zum Vergleich ein anderes Beispiel aus der Medizin: Notärzte retten Leben – was natürlich ausgesprochen sinnhaft ist –, aber sie bekommen kaum Rückmeldung, da sie oft die weiteren Entwicklungen ihrer Patienten nicht mitbekommen. Dies wird von dieser Berufsgruppe als sehr belastend erlebt.

Tierärzte arbeiten außerdem sehr autonom und sind meist recht gut in soziale Netzwerke eingebunden. All das zeichnet einen Beruf mit guter Qualität und hohem intrinsischen Motivationspotenzial aus. 

Wie hat sich der Tierarztberuf verändert?
Der Tierarztberuf ist in vieler Hinsicht typisch für einen Gender- und Generationswechsel in der Arbeitswelt, den es ja auch in anderen Berufen gibt. Das klassische Bild aus der Großtierpraxis, ein männlicher Tierarzt, unterstützt von seiner Partnerin, ist seltener geworden. Der Anteil an weiblichen Studierenden ist deutlich gestiegen. Tierärzte sind natürlich auch vom Generationswechsel betroffen: Der Generation Y oder den sogenannten Millennials, also den zwischen 1980 und 2000 Geborenen, ist die Work--Life-Balance viel wichtiger als den Vorgängergenerationen. Das bedeutet eine Abkehr von einer extremen Arbeitsorientierung hin zu mehr Selbstverwirklichung. Die vermehrte Zusammenarbeit in Teams ist eine Möglichkeit, mit diesen neuen Anforderungen umzugehen. Die Flexibilität des Einzelnen ist in Teams höher, die gewünschte Work-Life-Balance kann besser gelebt werden. Flexible partnerschaftliche Lebensplanung, z. B. im Zusammenhang mit Familiengründung und eigenen Kindern, wird so leichter möglich. 

Gute Teams sollten darüber hinaus komplementäre Kompetenzen ergänzend verbinden. Das heißt, die verschiedenen Teammitglieder haben unterschiedliche Fähigkeiten, unterschiedliches Können. Teams sind dann gut und erfolgreich, wenn sie Zusammenhalt, aber gleichzeitig eine gewisse Diversität aufweisen. 

Was sind die wichtigsten Personalkompetenzen bei Teamarbeit?
An erster Stelle steht gerade bei kleinen Teams der Grundaspekt von Vertrauen in der Zusammenarbeit.  Kommunikation im Sinne von Prozesskommunikation ist ebenfalls wichtig. Klare Übergänge zu definieren, damit  beispielsweise ein Kollege weiß, was in einem Behandlungsfall schon erledigt wurde und was noch zu tun ist. Und auch die technischen Kompetenzen sind nicht zu vernachlässigen, Stichwort Dokumentation und neue Technologien. Die ständige Weiterentwicklung von neuen Technologien im medizinischen Bereich und darüber hinaus in vielen Bereichen der Arbeitswelt trifft natürlich auch die Tierärzte. Hier ist die ständige Weiterentwicklung eigener Kompetenzen erforderlich. 

Für den Personalstand in der Ordination könnte das zum Beispiel bedeuten, dass es neben dem Fachexperten eine zweite fachliche Ebene als Ergänzung gibt, die mehr ist als eine einfache Hilfskraft, also das, was aus dem anglo-amerikanischen Raum schon bekannt ist, Stichwort Nurse. Zusätzlich braucht es dann noch eine dritte Ebene, die „echte“ Hilfskraft, die zum Beispiel Administratives übernimmt, den Empfang betreut usw. Auf der horizontalen Ebene geht es dann um praxisübergreifende Modelle der Zusammenarbeit und darum, wie man Fachkompetenzen am -besten bündelt. 

Wo sehen Sie die kommunikativen Herausforderungen in Kleinstteams von drei, vier Personen?
Wenn man Teamarbeit ernst nimmt, sollte auch Bereitschaft da sein, einen Teamentwicklungsprozess mit externen Maßnahmen zu unterstützen. Das wäre zum Beispiel Teamsupervision. Allerdings ist diese Maßnahme in vielen Berufsgruppen noch wenig verankert. Teamentwicklung hat verschiedene Phasen, Teamentwicklungsprozesse brauchen Zeit. Und es sollte intern auch Strukturen geben, die den Rahmen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit bilden, dazu gehören unter anderem regelmäßige Teambesprechungen, genaue Aufgabenverteilung usw. Informationstechnologien im Hintergrund sollten die Grundlage für gutes Daten- und Wissensmanagement bilden. 

Stichwort Marktwert – wo und wie soll der Tierarzt diesen seinen Kunden vermitteln? 
Sie haben in dieser Branche sicherlich das Problem des gesellschaftlichen Marktwertes der erbrachten Leistungen, der geringer ist als bei Humanmedizinern. Es wird nach wie vor darum gefeilscht, ob z. B. 100 oder 200 Euro „nur für die Katze“ gerechtfertigt sind. Im Nutztierbereich herrscht extremer Kostendruck, der sich in weiterer Folge dann auf diese Branche auswirkt. Diesem Problem Herr zu werden ist nicht leicht. Der Wert der tierärztlichen Leistung in einer Gesellschaft, die immer einseitiger ökonomisch denkt, wird vielleicht sogar noch weiter abnehmen. Die Leistung ist zwar gesellschaftlich sehr anerkannt, aber die Produkte werden sowohl im Kleintier- als auch im Großtierbereich preislich stark hinterfragt. Gerade die Bauern spüren ja eine starke ökonomische Belastung. Den Wert der Leistungen in diesem Bereich zu vermitteln ist nicht leicht, aber durchaus möglich, frei nach dem Motto: „Tu Gutes und sprich darüber!“

Der zweite aus unternehmerischer Sicht wichtige Punkt ist, sich eine Kompetenznische zu suchen und diese Nische zu besetzen. Der Kommunikation nach außen kommt hier ein besonderer Stellenwert zu, denn nur so kann ich zeigen, was ich habe und kann. Kundenorientierung und Kundenbindung werden ebenfalls immer wichtiger. 

Der Stadt-Land-Unterschied ist beim Tierarzt vermutlich größer als beim Humanmediziner, die ungleich höhere Konkurrenz in der Stadt ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium dafür, wo ich mich niederlasse und wie ich mich vermarkte. Eine gewisse Spezialisierung ist hier fast unumgänglich. In einer Branche, die keine starken Schutzmechanismen hat und zu einer „Überproduktion“ in der Ausbildung tendiert, ist die Gefahr hoch, dass -Konkurrenz vorwiegend über den Preis verhandelt wird. Die Positionierung Einzelner sollte aber vor allem über Kompetenz, Spezialisierung und Qualität laufen, anstatt mit Preisdumping Kunden zu lukrieren. 

Wir haben zuerst über den sozialen Wert der Arbeit gesprochen. Wie kann ich diesen Wert dem Team vermitteln und wie wichtig ist diese Wertevermittlung?
Der Wert der Arbeit an sich ist relativ leicht zu vermitteln, weil der Beruf viele positive Merkmale verbindet und eine gute Basis für hohe Arbeitszufriedenheit darstellt. Viele intrinsisch motivierende Aspekte sind vorhanden. Das sind etwa die autonome Arbeit, das Feedback vom Patientenbesitzer oder die gesellschaftliche Relevanz und Akzeptanz. Diese Werte werden also laufend automatisch vermittelt, sind eine wichtige, stabile Ressource im Team und müssen im Idealfall nicht erst kommuniziert werden. In Österreich gilt außerdem nach wie vor die Besonderheit, vor allem am Land, dass akademische Grade einen höheren Status haben als in anderen Ländern.

Für wie wichtig halten Sie den Chef, damit Teamwork gelingt?
Gute Mitarbeiterführung ist immer wichtig! Je größer ein Team, desto klarer muss die Struktur sein und umso wichtiger wird Führung. Oft fehlt aber die Auseinandersetzung mit Führung. Ein Ansatzpunkt wäre daher auch hier, sich Unterstützung von außen zu holen, mittels Coaching oder Supervision. Dies ist vor allem bei größeren Teams wichtig; dort, wo es die erwähnten drei Ebenen aus Fachperson, Assistenz und Administration gibt und auch die Ebene der gleichwertigen Zusammenarbeit, etwa durch mehrere Tierärzte in einem Haus. Da zählen dann wiederum Vertrauen und intensiver, auch fachlicher Austausch mehr als strikte Hierarchien. Wenn Kommunikation vernachlässigt wird, kann es passieren, dass Konflikte kontraproduktiv ausgetragen werden oder überhaupt nicht zur Sprache kommen. Damit können Sie die Teamarbeit nachhaltig gefährden. 

Wie kann ich als Tierarzt mit Feedback optimal umgehen? Gerade im Kleintierbereich sind Veterinäre ja fast schon Psychologen.
Ich sehe hier starke Parallelen zum Humanbereich, gerade ältere Personen suchen hier vermutlich genauso Ansprache wie beim Arzt. Da ist eine besondere soziale Kompetenz nötig, die vielleicht schon vermehrt in der Ausbildung vermittelt wird. Eine Situation wie Euthanasie oder ein sterbendes Tier ist ja für die Besitzer oft eine Krisensituation.

Sie haben kürzlich eine Studie rund um die Beschleunigung in der Arbeitswelt publiziert (Korunka, Ch., & Kubicek, B., 2017. Job Demands in a Changing World of Work, Springer International Publishing, Anm.). Sehen Sie diese Beschleunigung auch bei Tierärzten?
Über weite Strecken nein, und zwar deswegen, weil die Grundanforderungen an den Beruf eher stabil sind – und das seit Jahrzehnten; was durchaus positiv gesehen werden kann. Wobei eventuell gesellschaftliche Mechanismen zu einem gewissen Gefühl der Beschleunigung beitragen können, der Druck durch immer mündigere, service-orientierte, aber auch kritischere – wenn man so will, aufmüpfigere – Kunden steigt. Und die frühere Statusrolle wird eher hinterfragt. Aber die Sinnhaftigkeit des Berufs und die Grundanforderungen bleiben unverändert. Es gibt eine Anamnese, es gibt eine Diagnose, es gibt eine Therapie und alle damit verbundenen Aufgaben, das sind bei Tierärzten ebenso wie Ärzten gleichbleibende Anforderungen. 

Wie begegnet man Kunden, die mit Dr. Googles gesammeltem Wissen in die Praxis kommen?
Wichtig ist, nicht in die Falle zu gehen, sich also nicht provozieren zu lassen und die Emotionalität draußen zu lassen. Es steckt ja auch immer ein Stück Entwertung dahinter, wenn ein Kunde das Internet zurate zieht und das Wissen des Arztes damit infrage stellt. Hier sollte man nicht zu stark darauf reagieren. Das heißt, nicht in Konkurrenz mit Google gehen, sondern klipp und klar sagen, ich akzeptiere Ihre Meinung, aber meiner Erfahrung nach kann ich Ihnen dazu etwas anderes sagen.