Spülsystem im Magen

schont die Zähne der Wiederkäuer

Prof. Dr. Jean-Michel Hatt
Klinik für Zoo-, Heim- und Wildtiere, Department für Kleintiere,
Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich

Ziegen, Schafe und Kühe nehmen mit dem Fressen oft zahnschädigende Erdpartikel auf. Wie sich die Tiere vor zu schnellem Zahnabrieb schützen, zeigen nun Forschende der Universität Zürich: Das Magensystem der Wiederkäuer wäscht die aufgenommene Nahrung vor dem zweiten Kauen von Staub und Sand frei.

„Tiere, die auf der Weide grasen, fressen mit den Pflanzenhalmen immer auch etwas Erde und Staub“, sagt Jean-Michel Hatt, Professor an der Klinik für Zoo-, Heim- und Wildtiere der Universität Zürich. In trockenen Regionen mit staubigen Winden ist dies besonders ausgeprägt – entsprechend beansprucht werden die Kauwerkzeuge. Sein Forschungsteam zeigte auf, dass unterschiedliche Mechanismen einen übermäßigen Abrieb der Zähne verhindern – und damit auch das Überleben der Tiere sichern. Pferde oder Zebras zum Beispiel haben sehr lange Zähne entwickelt, um den durch Staub und Sand verursachten Abrieb auszugleichen. Rinder oder Gnus dagegen weisen viel kürzere Kauinstrumente aus. „Man hat sich schon immer gefragt, warum Wiederkäuer im gleichen Habitat mit kürzeren Zähnen auskommen“, erklärt Hatt. Letztere verfügen mit Pansen, Netz-, Blätter- und Labmagen über ein mehrkammeriges Magensystem, das die aufgenommene Pflanzennahrung mithilfe von Bakterien verdaut. Dort wird der Inhalt mit Flüssigkeit umspült und sortiert – und zwar in Material, das schon fein genug zerkleinert ist, und solches, das mit Magensaft umspült und zum erneuten Kauen wieder hochgewürgt wird. Man hatte schon länger vermutet, dass der wiederzukäuende Nahrungsbrei bereits von Staub und Sand befreit ist.

 

Sand sammelt sich im Magen an

Jean-Michel Hatt und sein Team haben erstmals den Einfluss verschiedener Futtermittel auf den Zahnabrieb getestet. Die Forschenden beobachteten anhand von Computertomographien bei Ziegen, dass der mitgefressene Sand nicht gleichmäßig im Magen-Darm-Trakt verteilt wird, sondern sich an bestimmten Stellen sammelt. „Wir konnten zeigen, dass im oberen Pansen – wo das Material zum Wiederkäuen wieder hochgewürgt wird – deutlich weniger Sand enthalten war als im aufgenommenen Futter selbst“, erklärt Hatt.

Was passiert mit dem Sand? Er sinkt zuerst im Pansen nach unten und sammelt sich im Labmagen, passiert den Darm und wird dann mit dem unverdauten Material im Kot ausgeschieden. „Organismen, die ein derartiges Spülsystem entwickeln, werden das abgewaschene Material problemlos auf natürliche Art wieder los“, sagt Hatt. Nur wenn die Tiere auf einmal eine große Menge Sand aufnehmen – zum Beispiel bei schlecht hergestellten Silagen mit ungewöhnlicher Kontamination durch Erde –, können Komplikationen auftreten.

 

Erfolgsmodell Wiederkäuer

Der Befund ist für Hatt ein weiteres Puzzlestück, das den evolutionären Erfolg des „Modells Wiederkäuer“ erklärt – und damit zeige sich auch, warum die Tiere das erste Mal viel weniger gründlich zerkleinern als später, wenn sie das saubere Material wiederkäuen.

 

Literatur
Hatt J-M, Codron D, Müller DWH, Ackermans NL, Martin LF, Kircher PR, Hummel J, Clauss M (2019): The rumen washes off abrasives before heavy-duty chewing in ruminants. Mammalian Biology, June 12, 2019. Doi: 10.​1016/​j.​mambio.​2019.​06.​001.