Sind Viren die Antibiotika der Zukunft?

Auf der Suche nach Alternativen

Tierärztin Tanja Warter

Schon in 30 Jahren, so fürchten ExpertInnen, könnten Antibiotika kostbar und teuer werden wie heute Chemotherapien. Alternativen sind jetzt gefragt.

Werden Antibiotika zu oft verwendet, können Bakterien Abwehrmechanismen gegen sie entwickeln – es kommt zu Resistenzen. Der Krankenhauskeim MRSA ist der bekannteste Vertreter jener Bakterien, die mit Antibiotika nicht mehr in den Griff zu bekommen sind; auch Pseudomonas aeruginosa bereitet Sorgen. Die WHO spricht von alarmierenden Ausmaßen weltweiter Antibiotikaresistenzen. Für Human- wie Veterinärmedizin ist es daher wichtiger denn je, wirksame Medikamente gegen bakterielle Erkrankungen auf Reserve im Lager zu haben – oder Alternativen anbieten zu können. Und so rückt aktuell eine in der westlichen Welt beinahe in Vergessenheit geratene Therapiemethode wieder in den Fokus: die Phagentherapie.

Phagen sind Viren, die wie kleine Raumstationen auf Bakterien landen, sie anbohren und ihr Erbgut in das Bakterium einschleusen. Damit verfolgen sie ein spezielles Ziel: Sie bringen das Bakterium dazu, massenhaft weitere Phagen zu produzieren. Das halten die Bakterien nur eine gewisse Zeit lang aus – sie werden zum Platzen gebracht und sterben dadurch ab. Gleichzeitig besiedeln die neuen, jungen Phagen alle übrigen bakteriellen Krankheits­erreger im Körper. Sie vermehren sich so lange weiter, bis alle Bakterien einer Art abgestorben sind. Dann sterben auch sie selbst ab, weil sie keine Wirte mehr finden.

Bekannt ist das Potenzial von Phagen schon seit 1917 – also seit einer Zeit, in der auch die Antibiotikaforschung erste Erfolge feierte. Ein französisch-kanadischer Bio­loge namens Félix Hubert d’Hérelle war es, der die Möglichkeiten der Phagentherapie entdeckt hatte. Zunutze gemacht hat man sich den Mechanismus danach nur im ehemaligen Ostblock, wo es wenig an Antibiotika gab – Tiflis in Georgien ist bis heute die „Hauptstadt“ der Phagen­forschung. Im Westen verlor man mit der Entwicklung der Antibiotika in den 1940er-Jahren das Interesse daran.

Die zentrale Idee der georgischen PhagenforscherInnen: Wenn man in einem Labor eine Sammlung an Phagen hat, die gegen bestimmte Bakterien arbeiten, dann könnte man diese auch gezielt als Medikament einsetzen. Das klappte – und so gibt es in Georgien heute Phagencocktails gegen bakterielle Erkrankungen in Apotheken.

Die Phagentherapie hat im Vergleich zur Antibiose inte­ressante Vorteile: Viele Antibiotika wirken wenig spezifisch und töten auch Bakterien ab, die nicht am Krankheitsgeschehen beteiligt sind. Am bekanntesten sind die Nebenwirkungen der Antibiose auf das Mikrobiom des Darms. Bei Phagen ist das anders, denn sie lassen sich ganz gezielt einsetzen und bekämpfen hochspezifisch nur eine Bakterienart. Sind die Wirtsbakterien erst einmal getötet, verschwinden auch die Phagen wieder. Es sind bisher keine relevanten Nebenwirkungen bekannt.

Das alles klingt wie ein Wundermittel. Dennoch hat es seine Tücken: Bisherige Studien kamen zu dem Ergebnis, dass es gerade die Phagen sein können, die dazu beitragen, dass Resistenzen gegen Antibiotika weiterverbreitet werden, indem die Phagen entsprechende Gene auf die krankheitsauslösenden Bakterien übertragen. Weiterer Knackpunkt ist für Martin Lössner, Mikrobiologe an der ETH Zürich, die Verabreichung, die schwieriger sei als bei Antibiotika. Man könne etwa bei einer Blasenentzündung nicht eine Phagentablette nehmen, sondern müsse diese Viren exakt an den Ort der Infektion bringen.

Die deutsche Plattform „Phage4Cure“ setzt genau hier an: Ziel des Kooperationsprojekts – an dem die Charité Universitätsmedizin Berlin, die Charité Research Organisation GmbH, das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin und das Leibniz-Institut beteiligt sind – ist es, Bakteriophagen als zugelassenes Medikament zu etablieren. Im Mittelpunkt stand beim Projektstart 2017 ein inhalierbarer Cocktail aus drei Arten von Bakteriophagen gegen Pseudomonas aeruginosa. Zu diesem Cocktail beginnen nun die präklinischen Studien.

Das ist aber noch nicht alles aus dem Bereich der Phagenforschung: Mittlerweile ist es auch gelungen, spezielle Eiweiße aus den Phagen zu isolieren – äußerlich angewendet, beispielsweise auf infizierten Wunden, haben sie Erfolge gebracht. Diese Eiweiße sind beinahe marktreif und könnten bald helfen, antibiotikaresistente Keime wieder kontrollierbar zu machen. Sogar Lebensmittel könnten sicherer werden, wenn Phagen sie vor potenziell gefährlichen Bakterien schützen.

Das deutsche „Forum Phagen“ hat den Einsatz von Phagen in der Tiergesundheit und tiermedizinischen Therapie speziell zu einem seiner Ziele erklärt. Noch gibt es kein gesetzliches Regelwerk für Phagentherapie und auch noch keine ausreichend großen Sammlungen, in denen die Phagen für die Behandlung bestimmter Bakterien gezüchtet werden.

Und: Noch liegt nicht genügend Forschungsmaterial nach westlichen Standards auf dem Tisch, um den Einsatz dieser Therapie zu ermöglichen. Dennoch – darin sind sich die Experten einig – lässt sich viel von den Erkenntnissen aus Tiflis lernen. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Phagen als Alternative zu Antibiotika eingesetzt werden.