Schweinemast braucht keine Antibiotika

Fiktion oder Realität?

DR. WOLFGANG SCHAFZAHL
Tierklinik St. Veit, St. Veit am Vogau

Schweineproduktion ist Lebensmittelproduktion – darüber besteht heute zwischen Konsumenten, Produzenten und der Tiermedizin ein klarer Konsens.

Dennoch wird aktuell europaweit über Einsatzbeschränk-ungen von Arzneimitteln, die der Abtötung von Bakterien dienen, den sogenannten Antibiotika diskutiert. Ausgangs-punkt dieser Diskussion ist einerseits die ungerechtfertigte Anschuldigung, dass Bauern mit dem Einsatz dieser Mittel in der Tierhaltung für die resistenten Bakterien in den Krankenhäusern hauptverantwortlich sind, andererseits die berechtigte Konsumentenforderung nach antibiotikafreiem Fleisch.

Obwohl in den Niederlanden seit Jahrzehnten eine weitaus intensivere Veredelungsproduktion beim Schwein als in Österreich betrieben wird, haben dort die Krankenhäuser keine Probleme mit multiresistenten Bakterien (z.B. MSRA), weil seit Jahren weitaus wirkungsvollere Hygienemaßnahmen in den Krankenhäusern als bei uns umgesetzt werden. Aus diesem Grund kann die einseitige Schuldzuweisung für die Resistenzproblematik an die bäuerliche Tierhaltung nicht unwidersprochen akzeptiert werden. In diesem Spannungsfeld sind die Behörden in vielen EU-Staaten gerade dabei, EDV-Systeme zur Erfassung der verbrauchten Antibiotikamengen in der Tierhaltung zu implementieren. Tatsache ist, dass Österreich momentan im Vergleich zu anderen EU-Ländern im Antibiotikaverbrauch im unteren Drittel angesiedelt ist, was auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Arzneimitteln vonseiten der Tierärzte und Bauern hinweist. Im Vergleich zu Österreich werden in Ungarn dreimal so viele Antibiotika beim Schwein eingesetzt.

Auch wenn man in Österreich auf jeden Antibiotikaeinsatz verzichtet, was unrealistisch ist, wird das keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung Resistenzproblematik haben.

Ein OECD Bericht aus dem Jahre 2015 prognostiziert eine weltweite Zunahme des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung bis zum Jahr 2030 von 67% und das vor allem in Indien und China. Neben dem globalen Waren- und  Reiseverkehr stellt auch Habitate unseres  Ökosystems eine sprudelnde Quelle dar, aus der wir uns mit neuen multiresistenten Bakterien und deren Resistom infizieren. So wurden jüngst in einem Bereich  der Lechuguilla-Höhle in den USA, der 4 Millionen Jahre von der Oberfläche abgeschnitten war,  ein Bakterium isoliert, das 18 Resistenzgene trägt, von denen drei durch bisher noch unbekannte Mechanismen wirken. Aus diesen Gründen ist in der Antbiotikadiskussion primär Sachlichkeit und nicht Populismus gefragt. Die moderne Veredelungsproduktion beim Schwein mit ihrem Tiergesundheitsmanagement steht heute an einem Punkt, der es möglich macht, die fachliche Diskussion um den Antibiotikaeinsatz in der Schweinemast auf ein ganz neues Niveau zu führen. Das Lebensmittel Schweinefleisch wird beinahe ausschließlich im Mastbetrieb produziert, da im Wesentlichen nur die Nutzungsgruppe der Mastschweine für die Versorgung der Konsumenten mit Schweinefleisch verwendet wird. Die heutigen Produktionssysteme in der Sauenhaltung und der Ferkelaufzucht, kombiniert mit einer modernen tierärztlichen Herdenbetreuung, machen es möglich, Ferkel mit einem so hohen Gesundheitsstatus aufzuziehen und an die Mastbetriebe zu liefern, dass in der Schweinemast eine Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten mit antibiotischen Substanzen nicht mehr notwendig ist, da die Tiere ganz einfach gesund sind.

Laut der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation ist Gesundheit ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens, und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Ein bestmöglicher Gesundheitszustand ist nicht nur eines der Grundrechte des freien Menschen, sondern in unserer zivilisierten Gesellschaft auch eines der Haustiere. Dies nicht nur alleine wegen der ethischen Betrachtung der Tiere als Mitgeschöpfe, sondern notwendigerweise auch aus leistungsbiologischen Überlegungen in der Tierproduktion.

Grundsätzliches zum Gesundheitsmanagement

Schweinemedizin ist beinahe reine Infektionsmedizin, da Schweine bereits als „Heranwachsende“ im Alter von 6–8 Monaten, lange vor ihrer Erwachsenenphase, der Schlachtung zugeführt werden und bis dahin kaum andere Leiden als Infektionskrankheiten ihre Gesundheit gefährden.

Schweine werden grundsätzlich frei von allen Infektions-erregern geboren, der erste Kontakt mit Bakterien erfolgt im Geburtskanal. Mutter, Bauer, Umgebung  und ältere Tiere sind die nächsten Infektionsquellen. Das tierärztliche Know-How, sowie die notwendigen Werkzeuge, wie Impfstoffe usw., um die Infektionskette  effizient zu unterbrechen, existieren bereits. Nur in der praktischen Umsetzung beim Schwein existieren noch große Defizite. Ein Beispiel für eine erfolgreicheres Gesundheitsmanagement ist die Geflügelproduktion. Deshalb ist alle Kraft darauf zu lenken, die Tiere frei von Infektionserregern (Bakterien und Viren…) zu halten.

Die bereits mehr als ein Vierteljahrhundert dauernde intensive klinische und labordiagnostische Arbeit der Tierklinik St. Veit mit Schweinebetrieben in vielen Regionen Österreichs zeigt, dass es ein Großteil der Betriebe mit denselben Krankheiten klinisch oder subklinisch zu tun hat und die Verteilung der Infektionserreger in den intensiven Veredelungsregionen sehr einheitlich ist. Dennoch ist der klinische Status, d.h. die Gesundheit der Betriebe und das damit verbundene Leistungsniveau, sehr unterschiedlich. Trotz gleicher Keimflora ist der eine Betrieb gesünder als der andere. Die Ursache bzw. der Verdienst dafür liegt in erster Linie am Betriebsleiter und seinen gesamtheitlichen Fähigkeiten zur Führung eines Schweinebetriebes.

Ein umsichtiges Betriebsmanagement, welches neben der Betriebswirtschaft vor allem die Gabe der Tierbeobachtung, das Fütterungsmanagement und das wirkungsvolle Umsetzen der Bereiche Hygiene und Gesundheitsmanagement beinhaltet, sind der Schlüssel zum Erfolg.

Entgegen der landläufigen Meinung spielen die technische Ausstattung und die Lage des Betriebes hinsichtlich des Gesundheitsstatus nur eine untergeordnete Rolle. Die Größe des Betriebes genauso wie die Frage, ob es ein Biobetrieb ist oder nicht, ist überhaupt irrelevant.

Die bestmögliche Gesunderhaltung der Tiere ist nicht nur angewandter Tierschutz, sondern auch eine zwingende Voraussetzung für eine gute Rentabilität in der Veredelungsproduktion. Nur solche Tiere, die in guter Fitness (d.h. im guten körperlichen und seelischen Wohlbefinden) gehalten werden, können Infektionen widerstehen und bringen die besten Leistungen.

Einflussfaktoren auf den Gesundheitszustand des Schweines, die zu einem erfolgreichen Ergebnis führen
  • Infrastruktur
  • Befunde/Beobachtungen
  • Herdenmanagement
  • Stallklima (v.a. Zugluft)
  • Futter
  • Impfprogramme
  • Abschirmung des Bestandes (externe Biosicherheit)
  • Hygiene (interne Biosicherheit)                                     

Quelle: n. Haxsen, 2004

Was kosten Krankheiten?

Die Kosten für Krankheiten beim Mastschwein setzen sich zusammen aus dem entgangenen Gewinn durch schlechtes Wachstum (Abbildung 1) oder Ausfall und aus den Behandlungskosten.

Das schlechte Wachstum bei kranken Mastschweinen entsteht aus mehreren Gründen:

im ersten Stadium durch den Anteil der zugeführten Nahrungsenergie, der zur Krankheitsabwehr verbraucht wird, durch Beschleunigung der Stoffwechselvorgänge und der Arbeit des Abwehrsystems. Dieser Energieverbrauch tritt bereits bei Infektionskrankheiten auf, die noch nicht klinisch manifest geworden sind (sogenannte subklinische Infektionen), meist noch ohne Rückgang der Futteraufnahme und ohne Fieber. Das Hauptsymptom einer subklinischen Erkrankung ist eine schlechte Futterverwertung. Häufig auftretende Beispiele für solche Infektionen sind die chronische Schnüffelkrankheit, die PIA (Lawsonieninfektion des Dünndarms), Räude und Würmer.

Reicht die Kraft des Abwehrsystems nicht mehr aus, solche Infektionen im subklinischen Stadium zu halten, dann werden sie zu klinischen Infektionen, d.h., Fieber und Schmerzen treten auf, die Nahrungsaufnahme geht stark zurück und die Zunahmen gehen drastisch zurück, die Tiere können sogar an Gewicht verlieren.

Eine Faustzahl, die aus vielen tiergesundheitsöko-nomischen Studien abgeleitet werden kann, besagt, dass die Gesamtkosten einer Krankheit im Stall das Zehnfache der Behandlungskosten ausmachen.

So kostet momentan ein minimaler Mehrverbrauch an Futter von 1%, was eine Verschlechterung der Futterverwertung von 3,00 auf 3,03 kg Futterverbrauch pro kg Zuwachs ist, beinahe 1,00 Euro pro Mastschwein.

Wenn der Verbrauch von antimikrobiellen Wirkstoffen beim Schwein näher betrachtet wird, so zeigt sich, dass der überwiegende Anteil der Antibiotika, die in der Schweineproduktion verbraucht werden, über das Futter beim Mastschwein verabreicht wird, d.h., der Großteil der angewandten Antibiotikamenge kann bei entsprechendem Betriebs- und Gesundheitsmanagement eingespart werden, was nicht nur den Konsumenten und Behörden zur Freude gereicht, sondern vor allem den Schweinemästern.

Praktische Erfahrungen in solchen Betrieben mit gesunden Ferkeln zeigen, dass die täglichen Zunahmen um bis zu 35% höher liegen.

Infektionsübertragung durch die Luft

Die Krankheitsübertragung durch die Luft ist zwar möglich, aber mit geringem potenziellen Risiko, da es mit Ausnahme des Schweineinfluenzavirus selten einen Erreger zu übertragen gibt, den man nicht schon im Bestand hat, und die meisten Erreger sind relativ schwer übertragbar. Auch bei den in unserer Region vorkommenden Varianten des PRRS-Virus ist die Übertragung mit der Luft eher die Ausnahme als die Regel. Sonst wäre es nicht möglich, dass in unmittelbarer Nähe zu PRRSV-positiven Mastbetrieben absolut negative Sauenbetriebe jahrelang frei von PRRS bleiben können. Bespiele dieser Art gibt es in allen österreichischen Regionen. Die Hauptursache der Einschleppung von PRRSV in einen negativen Betrieb ist nach dem Tierverkehr der Personenverkehr und der extern zugekaufte Samen.

Voraussetzungen für eine Mast ohne Antibiotika

Alle obigen Voraussetzungen gelten uneingeschränkt sowohl für Ferkelerzeuger als auch für Mastbetriebe.

Die entscheidenden Faktoren für den Masterfolg sind: 

  • Betriebsleiterqualifikation
  • Gesundheitsstatus der Ferkel
  • Fähigkeit zur System- und Tierbeobachtung ("Schweineflüsterer"); sowohl für Bauern als auch für Tierärzte gilt: "Nur wer sich in ein Schwein hineindenken kann, kann es betreuen!"
  • Sicherstellung der Futterqualität und Diätetik
  • Beherrschung der Stalltechnik, vor allem der Klimasteuerung
  • Bereitschaft zum konsequenten Fehlermanagement
  • Unangenehme Zugluft ist der größte krankmachende Faktor in der Schweinemast.
  • Wirkungsvolles partnerschaftliches Verhältnis zu einem Fachtierarzt für Schweine
Was umfasst die Arbeit des Tierarztes im Mastbetrieb?

Obwohl in den Mastbeständen das Lebensmittel Schweinefleisch produziert wird und dort heute noch gewaltige Leistungsdefizite aufgrund eines oft schlechten Gesundheitsstatus bestehen und der Großteil der verbrauchten Antibiotika dort eingesetzt wird (Abbildung 2)., ist eine TGD-Betreuung mit nur maximal zwei Tierarztbesuchen pro Jahr vorgesehen, was für eine effiziente tierärztliche Betreuung nicht ausreicht.

Die Fülle des ungefilterten Angebotes an Informationen über die verschiedensten Fachmedien macht es dem Schweinehalter heute besonders schwer, richtige Informa-tionen von plausibel klingenden Anekdoten zu unterscheiden. Diese Kritikfähigkeit sollte der Bauer neben der Tierhaltung auch noch auf allen anderen Gebieten der Landwirtschaft haben – fast ein Ding der Unmöglichkeit. Gerade aus diesem Grund ist es für die richtige Entscheidungsfindung in tierärztlichen Fragen von wesentlicher Bedeutung, einen tierärztlichen Fachmann als ständigen Ansprechpartner zur Verfügung zu haben.

Weder der ungehinderte Zugang zu Arzneimitteln noch der billige Preis dieser hat jemals eine dauerhafte Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Wirtschaftlichkeit der Betriebe gebracht. Allein die Tatsache, dass die Gesamttierarztkosten in den besten kombinierten Betrieben bei ca. 7,00 bis 9,00 Euro pro erzeugtem Schwein liegen, zeigt, dass diese in Relation zu Minderleistungen durch Krankheiten sehr gering sind. Eine um 10% schlechtere Futterverwertung, was nicht selten ist, kostet ca. 10,00 Euro pro Mastschwein.

Der größte Schritt in Richtung einer besseren Gesundheit ist sicherlich durch eine laufende konsequente Fehleranalyse des Systems (Fütterung, Haltung, Diagnosenstellung) mit dem Tierarzt zu erzielen. Dies erfordert aber regelmäßige tierärztliche Bestandsbesuche, die immer einen Stallrundgang mit dem Bauern beinhalten müssen, um sich ein klinisches Bild vom Bestand machen zu können.

Die Stellung des Tierarztes als einfacher Arzneimittellieferant ohne spezialisierte tierärztliche Beraterfunktion ist nicht akzeptabel. Die Spezialisierung in der Landwirtschaft hat es mit sich gebracht, dass es heute österreichweit genug spezialisierte Schwein-Fachtierärzte gibt, um jedem interessierten Betrieb beste Betreuung zu bieten. Die Auswahl des Tierarztes obliegt in Österreich ausschließlich dem Bauern, weshalb gelegentliche Kritik vonseiten der Landwirtschaft an der fachlichen Qualifikation von Tierärzten nicht verständlich ist.

Das fachliche Niveau der österreichischen Schweinetierärzte genießt weltweit höchste Anerkennung, wobei mehrere auf Schweine spezialisierte Tierarztpraxen mit ihren Fachtierärzten alle Bereiche der Schweineproduktion von Haltung, Fütterung, Management bis zur betriebs-wirtschaftlichen Beratung zur Gänze abdecken. Für kleiner strukturierte Praxen besteht in Österreich die Möglichkeit, leistungsfähige Beratungsdienste, wie zum Beispiel die Dienste der Landwirtschaftskammer und Erzeugergemeinschaften, zur Mithilfe heranzuziehen.

Die Erklärung des EU-Parlaments, die Versorgung der Landwirtschaft mit Arzneimitteln vom verschreibenden Betreuungstierarzt zu trennen, um die Versuchung des Tierarztes, viele Arzneimittel zu verkaufen, zu unterbinden, hat in keinem Land zu einer Senkung des Arznei-mitteleinsatzes geführt und gereicht der Landwirtschaft zum Schaden. Vielmehr hat es dazu geführt, dass die Anzahl der fachlich qualifizierten Tierärzte in diesen Ländern, bei steigendem Antibiotikaverbrauch, stark abgenommen hat, die tierärztliche Weiterbildung anderen Aktivitäten gewichen ist und die tierärztlichen Beratungskosten stark gestiegen sind. Zusätzlich hat es in manchen Ländern?mit behördlichen Überwachungssystemen des Antibiotikaeinsatzes dazu geführt, dass die tierärztliche Beratung primär dafür genutzt wird, zu eruieren, wie man bei Überschreitungen der gesetzlich erlaubten Wirkstoffmengen pro Bestand dennoch sanktionsfrei bleibt und nicht, wie man die Gesundheit verbessert. Diese Vorgehensweise ist gesamtwirtschaftlich absolut kontraproduktiv, da diese betroffenen Betriebe mittelfristig wegen Minderleistungen unwirtschaftlich werden und aus der Produktion weichen müssen. Im Vergleich dazu zeigt die Abbildung 2, dass in guten österreichischen Betrieben der Antibiotikaeinsatz in der Mast minimal gehalten werden kann. Da in Österreich der Tierarzt die Möglichkeit hat, über die geregelte Arzneimittelspanne einen Teil seiner Betriebskosten abzudecken, können die reinen Beratungskosten für den Bauern, trotz intensiver Beratung (17 Betriebsbesuche pro Jahr), sehr gering gehalten werden (Abbildung 2). Diese Arzneimittelspanne fällt sonst den öffentlichen Apotheken zu und fließt nicht mehr an die Bauern zurück.