„Ein bisschen Showmaster

schadet nicht!“

Mag. Eva Kaiserseder

Priv.Doz. OÄ Dr. Ulrike Auer ist kürzlich (Senior) Teacher of the Year geworden. Das war für das Vetjournal willkommener Anlass, um mit der Anästhesistin und Intensivmedizinerin über zeitgemäße Lehre, persönliche Erinnerungen an die Studienzeit und Erfahrungen mit ihren Studenten zu sprechen. 

Welchen Anspruch haben Sie an sich als Lehrende und was hat sich gewandelt seit Ihren Anfängen?
Vorab, ich bin seit meinen Anfängen an der Uni, also seit 25 Jahren, immer auch Lehrende gewesen und habe auch relativ schnell die Vorlesung Anästhesie beim Pferd bekommen. Die ein freies Wahlfach war und noch immer ist, je nach Curriculum. Mein Anspruch ist derjenige, dass ich in die Köpfe und Seelen der Studierenden hineinmöchte, ich möchte Motivation und Interesse wecken und ihnen ein Thema, das auf dem Lehrplan steht, so eindrucksvoll wie möglich näherbringen. Mindestens ein Viertel meiner Studierenden möchte ich begeistern, die sollen rausgehen und sagen: „Cool, das war interessant!“ Allen zu gefallen geht ohnehin nie, aber zumindest die Hälfte soll das, was sie da hören, gut finden und noch einmal die Hälfte von denen soll eben wirklich begeistert sein. 

Wie gehen Sie mit Frust um, wenn das nicht gelingt?
Manchmal hat man einfach einen schlechten Tag und all das, was man sich vorgenommen hat, funktioniert nicht. Aber jetzt zum Beispiel komme ich gerade aus einer Vorlesung, die gut gelaufen ist, inhaltlich und vom Timing her. Man bekommt ja auch direktes visuelles Feedback, alle sitzen mit gespitzten Ohren da, keiner ist desinteressiert, und man merkt ja, da sind gute Schwingungen und das Feedback passt. Wenn es nicht so gut läuft, weiß man das meistens erst hinterher, in der Reflexion. Ich gehöre dann zu denen, die das durchaus frustriert, und gelobe Besserung. (lacht) Meistens stelle ich dann die Vorlesung ein bisschen um, aber wirklich beeinflussen kann ich das vorab nicht, ob eine Vorlesung gut oder schlecht funktioniert. Es ist jedenfalls definitiv keine Einbahnstraße, sondern Lehrende und Lernende sind gleichermaßen am Gelingen beteiligt. 

Was hat sich seit Ihren eigenen Studententagen in der Wissensvermittlung getan?
Im Prinzip gibt es nach wie vor relativ viel Frontal-unterricht, zumindest in der Anästhesie, aber ich versuche, das so launig wie möglich zu gestalten. Am besten geht das mit eigenen Erfahrungen, mit selbst Erlebtem, da baue ich darauf, dass hier viel hängen bleibt. Grundsätzlich würde ich sagen, die Studierenden haben sich stark verändert, sie sind einerseits proaktiv, interessiert und neugierig, also so, wie Studenten eigentlich schon immer waren, aber manche sind auch passiv und von unserem verschulten System überfordert. Sie sind schlicht müde. Müde gemacht. Und weniger mutig vielleicht als früher, wenn etwa das von mir verlangte Wissen nur zögerlich und unsicher kommt. Wahrscheinlich hat das aber auch mit meinem wachsenden Anspruch an die Studenten zu tun. Und die Lehre in Kleingruppen ist ja dann wieder etwas ganz anderes, wenn wir z. B. das erste Mal in der Klinik sind und ich ihnen helfe, diese Unsicherheiten zu überwinden; ihnen zeige, Spaß an der Sache zu haben, sich etwas zu trauen und zuzutrauen. 

Wie stellen Sie das an, die Studenten über diese Hemmschwelle zu lotsen?
Ich konfrontiere sie einfach mit der Aufgabe. Hart, aber herzlich. Wenn mir jemand sagt: „Ich habe aber noch nie ein Pferd intubiert, ich kann das nicht!“, sage ich: „Sehr gut, dann ist jetzt dein erstes Mal. Ich war auch irgendwann an diesem Punkt.“ Ich versuche, sie aktiv ein bisschen hineinzuzwingen in diese Tätigkeit und merke eh schnell, ob das funktioniert. In der Regel sind die meisten dann stolz auf das Erreichte. Kurzfristig lasse ich meine Studenten auch einmal alleine im OP, wenn ich das Gefühl habe, das passt. Da müssen sie wirklich über ihren Schatten springen, aber genau so lernt man etwas. Ich bin auch jemand, der Fragen mit Gegenfragen beantwortet, denn vieles können die Studenten selbst beantworten, wenn man den richtigen Konnex für sie herstellt. Und da schließt sich der Kreis: Wenn ich eine gute Lehrende bin, schaffe ich es, diesen Konnex, diese Verbindungen herzustellen. 

Haben Sie einen Lieblingsprofessor oder eine -Lieblingsprofessorin gehabt?
Nicht wirklich, aber ich habe Lieblingsvorlesungen gehabt. Diejenigen nämlich, wo die Patienten vorgestellt wurden; damals an der alten Uni wurden die Tiere ja noch direkt in den Hörsaal mitgebracht. Davon habe ich am meisten profitiert. Und als visueller Typ habe ich das ohnehin sehr gut gefunden. In Erinnerung ist mir etwa noch eine Vorlesung von Professor Schusser, ich glaube, daraus ziehe ich heute noch mein Basiswissen über Koliken. (lacht) Was daran so gut war, war die Hands-on-Mentalität, die hier gelehrt wurde. Und die vielen eindrucksvollen Erlebnisse, wie er uns das Wissen, verpackt in Geschichten, weitergegeben hat. Das hat mich fasziniert und sicher auch geprägt. Außerdem war ich extrem gern in den Chirurgievorlesungen, aber das hat wohl mit meiner grundsätzlichen Affinität zum Fach zu tun. 

Muss man als Lehrender ein Naturtalent als Show-master haben?
Ich glaube schon, denn noch so viele Didaktikkurse sind sinnlos, wenn man nicht ein gewisses Talent zur Wissensvermittlung mitbringt. Ich glaube, es ist auch wichtig, eine gewisse Abstufung in der Relevanz von Wissen zu vermitteln. Was muss ich wissen, was kann ich wissen und wo ist es in Ordnung, wenn ich es einmal gehört habe? Zum Teil ist das, was man hört, ja auch sehr trocken, wenn ich zum Beispiel über Medikamente vortrage. Wenn man hier nicht mit Erfahrungsberichten arbeitet und die Zuhörer auch zum Schmunzeln bringt, dann funktioniert das nicht. Insofern glaube ich, ein bisschen Showmaster schadet nicht.  

Wie erkläre ich jemandem, der noch nie eine Universität von innen gesehen hat, was Hochschuldidaktik leisten soll und kann?
Ich bin fest überzeugt, dass man nur dann etwas lernt, wenn man einen praktischen Bezug herstellen kann. Früher hat mich etwa Virologie nicht gepackt, weil das sehr trocken war. Heute ist das anders, es wird mit Fallberichten gewürzt und „lebt“ viel mehr. Die Kunst ist es, Leute langsam an das heranzuführen, was den Beruf ausmacht. Dazu kann man anno 2017 natürlich viel audiovisuell arbeiten. Egal ob das Youtube, Animationen oder Clickersysteme mit dem Smartphone sind. Das probiere ich selbst übrigens gerade aus, die Studenten gehen dazu auf eine Website und können via Multiple Choice die richtige Antwort anklicken, die dann auch sofort auf der Leinwand sichtbar ist. Das habe ich vor einem halben Jahr bei einem Kollegen gesehen und das hat mir gefallen. Ich versuche, da immer up to date zu bleiben, muss aber gestehen, immer gelingt das nicht, weil die Zeit fehlt, bewusst auszuprobieren und sich vorzubereiten. Grundsätzlich würde ich aber sagen, Interaktivität ist ein wichtiges Tool für eine zeitgemäße Didaktik. 

Wohin schauen Sie, um sich neue Ideen zu holen? Oder passiert das eher unbewusst?
Ich bin natürlich auf Kongressen, Symposien usw., schaue mir aber durchaus auch gerne Ideen bei Kollegen ab. Bei der letzten derartigen Inspiration hatte ich ein richtiges Aha-Erlebnis: Das war so beeindruckend simpel und provokativ gemacht, wie man Dinge leichter erklärbar macht. So etwas übernehme ich dann mit Freuden.

 

Wir haben jetzt viel über die Lehre gesprochen und die Forschung außen vor gelassen. Wie lassen sich denn diese beiden Bereiche vereinbaren?
Das sind Parallelwelten ganz unterschiedlicher Natur. Ich habe einen Kollegen beim Teaching-Vets-Symposium einen sehr intelligenten Satz sagen gehört, der sinngemäß gelautet hat: „Es ist ein akademischer Beruf, alle Bereiche unter einen Hut zu bringen.“ Also Lehre, Forschung und Klinik. Natürlich treten viele mit dem Ziel an, Tierarzt an der Uni sein zu wollen, so auch ich. Aber der Auftrag zu Forschung und Lehre ist ein eminent wichtiger! Dass das alles hin und wieder extrem fordernd ist: Natürlich! Aber es ist meine Existenzberechtigung dafür, auf der Uni zu sein, mein Wissen auch weiterzugeben. Ich glaube, bei vielen Lehrenden ist es so, dass die Lehre sozusagen in Kauf genommen wurde, damit man forschen darf. Es ist umso wichtiger, sich bewusst zu machen, dass das eine nicht ohne das andere existiert. Hier eine Balance zu finden ist etwas, das immer wieder neu gelingen muss.  

Ist Ihnen die Lehre mittlerweile ans Herz gewachsen?
Eine schwierige Frage. Um ganz ehrlich zu sein: Im Moment würde ich mir mehr Zeit und Ruhe wünschen, um mich zum Beispiel auf meine Patienten konzentrieren zu können. Was aber mit der Umstellung des Studiums zu tun hat, es gibt de facto kaum mehr Zeit ohne Studenten, es ist fast immer jemand neben mir, der etwas wissen möchte. Sogar wenn ich zum Beispiel einen Koliker um drei Uhr früh habe, kann es sein, dass da ein Student steht und etwas von mir wissen will. (lacht) Das ist nicht leicht, dieser Spagat zwischen Klinik, Forschung und Lehre. In der Anästhesie muss ich auch permanent dieselben Basics erklären, weil ja immer neue Studenten kommen, was aber das Dilemma von vielen Lehrenden ist. Da verliert man dann hin und wieder den Kontakt mit sich selbst, wenn man Wissen immer wieder von null sozusagen aufrollen muss. 

Wie hat die Verschulung des Studiums die Lehrer--Studenten-Beziehung beeinflusst? 
Früher mussten wir in der Ausbildung viel weniger anwesend sein und uns selbst organisieren, heute dagegen sind die Studenten den gesamten Tag auf der Uni, von 8 bis 16 Uhr. Sie wollen auch überall dabei sein, andererseits hat sich aber auch die Eigeninitiative verringert und ich glaube schon, dass das mit der Verschulung zu tun hat. Gleichzeitig wollen sie von Anfang an komplexe Hintergrundinfos, was insofern problematisch ist, weil das Ganze ja step by step passieren soll. Bei einer Woche Pferdeklinik sieht das etwa so aus: Zuerst wird zugeschaut, am nächsten Tag ein Protokoll angefertigt und dann erst abgelegt und intubiert. Bei vielen funktioniert das gut, aber bei anderen habe ich das Gefühl, sie sind richtiggehend sauer, wenn ich sie nicht von Beginn an zu den komplizierten Dingen lasse. Ich denke aber, das braucht Zeit, und vor allem ist es wichtig, ein Gefühl für die Dinge zu entwickeln. Da muss man gar nicht zwingend intellektuell, mit dem Kopf, herangehen. Ich glaube, alles, wo man zuschaut, was man dadurch lernt, indem man sich schrittweise herantastet, ist ein neues Mosaiksteinchen in diesem Erfahrungsschatz. Ich habe grundsätzlich das Gefühl, die Studenten wollen viel erzählt bekommen, fragen aber interessanterweise weniger als früher, Stichwort Eigeninitiative. Und eigentlich wäre das ja das Ziel gewesen, diese zu verstärken. 

Was wäre denn Ihr Traumstudent?
Das ist leicht: Ein begeisterter, enthusiastischer Student, der diese Ausbildung „lebt“, der versucht, möglichst viel Wissen aufzusaugen, der aufmerksam ist und der mehr bringt als den durchschnittlichen Einsatz. Ich verstehe das, wenn jemand nach einem Nachtdienst kaum mehr Energie hat, aber eigentlich würde ich mir wünschen – zumindest vom besagten Traumstudenten –, dass er oder sie dann eben trotzdem noch in die Vorlesung geht. Das wäre dieses Mehr an Einsatz, das ich meine. Was der Beruf nämlich dann auch oft verlangt. 

Wo verlieren Sie rasch die Geduld?
Ganz ungeduldig werde ich, wenn sich jemand etwas nicht traut und zutraut. Wenn jemand im siebenten Semester vor mir steht und sagt: „Bitte, ich kann das nicht!“, dann kann es sein, dass ich grantig werde. Ich mag und schätze Leute, die sich trauen, etwas zu probieren. Von denen bin ich begeistert. Und zum Glück gibt es von denen auch genügend.  

Die Angestellten im Tierarztberuf nehmen ja stetig zu. Haben Sie den Eindruck, diese Bereitschaft, für den Beruf zu brennen – auch im Negativen: auszubrennen –, nimmt ab?
Ja, sicher. Das zeigt sich natürlich auch beim Nachwuchs. Ich denke aber, das hängt auch stark mit dem verschulten System zusammen. Dieses System laugt die Studenten teilweise aus, man kann nicht noch Extrabegeisterung und Enthusiasmus erwarten von jemandem, der schon acht Stunden in Vorlesungen gesessen ist! Bei uns war das Level an Eigenverantwortung noch wesentlich höher und das hat natürlich auch Freiheiten erlaubt, die das derzeitige System mit der Durchtaktung der Studenten nicht mehr zulässt. Die Aufgaben, die hier auf die Studenten warten, sind für viele überfordernd, die Energie wird ihnen geraubt. Viele schaffen es aber auch gut, das muss auch gesagt werden. Ich denke, man wird die Früchte dieses Systems erst in ein paar Jahren sehen. 

In welche Richtung geht die Lehre? 
Wo wir uns als Lehrende definitiv bewegen müssen, sind die technischen Möglichkeiten. Studenten kommen sehr gut mit neuen technischen Optionen zurecht, da müssen wir uns anpassen. Das wird eine Herausforderung. 

Wie könnte man die Verschulung wieder ein bisschen aufbrechen?
Ich glaube, wenn man den Studenten wieder ein bisschen Eigenverantwortung gibt, würde das helfen; Selbstorganisation. Die Studenten gehen dann in genau die Vorlesungen, die richtig gut sind, was das Level der Lehre insgesamt verbessert. Und die Vereinbarkeit von Studium und Arbeit wäre auch wieder leichter.