Prinzipien

erfolgreicher Tumorchirurgie

Dr. Marlis Wessely
Oberärztin Kleintierchirurgie
Tierspital Vet Suisse Faculty Zürich

Die Chirurgie ist die wichtigste Komponente bei der Behandlung von soliden Tumoren. Die Anwendung einer genauen chirurgischen Technik beeinflusst Morbidität und Tumorkontrolle maßgeblich.

Bei unseren humanmedizinischen Kollegen stellt die ­Tumorchirurgie oder auch „onkologische Chirurgie“ seit Jahrzehnten ein wichtiges Steckenpferd in der Behandlung von Tumorpatienten dar. Es ist beeindruckend, zu wissen, dass über 60 Prozent der Patienten alleine durch die Chirurgie geheilt werden. Ähnlich ist es in der Veterinärmedizin – auch bei uns stellt die Chirurgie die wichtigste Komponente in der Behandlung von soliden Tumoren dar. 

Tiere, die an Krebs leiden, werden oft erst sehr spät und dadurch in einem fortgeschrittenen Stadium beim Tierarzt vorgestellt. Viele Tumoren verlangen daher einen aggressiven chirurgischen Zugang, der oftmals effektiv nur noch von spezialisierten Chirurgen durchgeführt werden sollte. Die beste Chance, einen Tumor vollständig zu entfernen, ist die erste Operation. Es ist jedoch ebenfalls wichtig, zu entscheiden, wann ein Tumor schlicht und einfach nicht mehr zu entfernen ist und andere Therapiemöglichkeiten (z. B. Bestrahlung) zum Einsatz kommen sollten. 

Perioperatives Management

Im Vorfeld einer Tumorentfernung muss der Patient sprichwörtlich auf Herz und Nieren geprüft werden. Zusätzliche Erkrankungen (z. B. Erbrechen und Dehydratation sekundär zu einem gastrointestinalen Tumor) erhöhen Morbidität und Mortalität und ändern möglicherweise den chirurgischen Plan und das postoperative Management. 

Eine neurologische Erkrankung stellt beispielsweise eine Kontraindikation für eine Gliedmaßenamputation dar. Kardiotoxische und nephrotoxische ­Chemotherapeutika sollten bei Tieren mit Herz- oder Nierenerkrankungen nicht eingesetzt werden. Komorbiditäten stellen mit ­einem angemessenen und durchdachten prä- und postoperativen Management jedoch keine Kontraindikation für eine erfolgreiche chirurgische Therapie dar.  

Schmerzmanagement

Genaue Daten zum tumorassoziierten Schmerz liegen uns leider nur aus dem Sektor der Humanmedizin vor. Schmerz wird häufiger und intensiver, je invasiver der Tumor ist, und richtet sich auch nach dem Vorhandensein von Metastasen. Er kommt durch mechanische oder chemische Stimulation der Nociceptoren durch den Tumor selbst oder durch diagnostische oder therapeutische Eingriffe zustande. Schmerz sollte auf mehreren Routen (lokal, regional, systemisch) und mit adäquaten ­Analgetika (NSAIDs, Opioide, Alpa-2-Agonisten, N-Methyl-D-­aspartate Antagonisten etc.) therapiert werden. 

Anästhesie und chirurgische Vorbereitung

Anästhesie ist Voraussetzung für die definitive chirurgische Tumorentfernung. Lokalanästhetikum sollte nicht intratumoral verabreicht werden, da es neben einer ­Zerstörung der Tumorarchitektur die pathohistologische Interpretation erschwert und die Bildung von Metastasen begünstigen kann. 

Die Vorbereitung des Patienten selbst ist nicht minder wichtig. Gerade bei Hauttumoren muss das Tier ausreichend geschoren werden – sehr häufig kommen Lappen­plastiken zum Tumorverschluss zum Einsatz. Sanfte Hautvorbereitung ist ebenfalls essenziell – zu aggressives Waschen und Schrubben kann zur Tumorzell-Exfoliation und dadurch einem erhöhten Metastasenrisiko führen. 

Chirurgische Prinzipien

Was vor circa 100 Jahren von einem wahren Pionier der Chirurgie, nämlich Dr. William Halsted, beschrieben wurde, hat heute immer noch Gültigkeit. Sieben Prinzipien gilt es, zu befolgen – nicht nur in der Tumorchirurgie, vielmehr in jeder Art der Chirurgie:

1. Schonende Behandlung der Gewebe

2. Gute Hämostase

3. Erhaltung der Blutgefäßversorgung

4. Strenge Asepsis

5. Keine Spannung im Gewebe

6. Sorgfältige Apposition von Geweben

7. Verhinderung von Toträumen

Ein strenges Befolgen dieser Prinzipien minimiert das ­Risiko postoperativer Komplikationen und lokaler ­Tumorrückkehr. 

Chirurgische Technik

Die Anwendung einer genauen chirurgischen Technik beeinflusst Morbidität und Tumorkontrolle maßgeblich. Prinzipiell sollte eine Skalpellklinge anstelle eines Elektro­chirurgiegerätes verwendet werden. Das herkömmliche Skalpell ist am wenigsten traumatisch, reduziert Gewebetrauma und erhält die Blutgefäßversorgung. Scheren sind nützlich, um Faszien zu separieren, und sind in Körperhöhlen sicherer anzuwenden als Klingen. Gewebe sollte in leichter Spannung präpariert werden – dies erlaubt eine akkuratere Technik, weniger Gewebstrauma und Blutungen und fördert eine bessere Identifizierung von normalen Strukturen (Blut- und Lymphgefäße, Faszien). Ist der Tumor im Vorfeld biopsiert worden, muss der Biopsietrakt unbedingt mit entfernt werden. 

Hämostase mittels Elektrokoagulation oder Ligatur der arteriellen, venösen und Lymphgefäße ist wichtig und verhindert das Freiwerden von Tumoremboli in die ­Zirkulation. 

Das Handling eines Tumors gleicht dem eines Abszesses: 

1. Vorsichtige Handhabung des Tumors, um eine
Tumorzell-Exfolierung zu verhindern 

2. Schutz des normalen Gewebes (Tumorzell-Streuung) durch Isolierung des Tumors mit feuchten Bauchtüchern

3. Ist der Tumor mit anderen Strukturen verwachsen oder stark verklebt, sollten diese mit entfernt werden. Dies minimiert das Risiko einer inkompletten Resektion.

4. Besteck- und Handschuhwechsel nach Entfernung des Tumors

Ein weiterer wichtiger Bestandteil erfolgreicher Tumor­chirurgie ist die Auswahl des richtigen Nahtmaterials. Multifilamente Materialen sollten vermieden werden, Tumorzellen können sich in geflochtenen Fäden festsetzen und es kann zu einem erneuten Tumorwachstum kommen. Monofilamente Materialien oder Stapler sind bevorzugt zu verwenden. Obwohl die meisten Chemotherapeutika keinen direkten klinischen Einfluss auf die Wundheilung haben, sollten Materialien mit lang andauernder Zugkraft (z. B. Polydioxanon, Polyglyconate) verwendet werden. 

Ist eine postoperative Bestrahlung geplant, können die Ränder der Tumorentfernung mit strahlenundurchlässigen Markern gekennzeichnet werden. Dies erleichtert die Bestrahlungsplanung. 

Ob nach einer Tumorentfernung eine Lavage des Gewebes erfolgen sollte, wird derzeit kontrovers diskutiert. Es kann einerseits zur Verdünnung und Entfernung von noch vorhandenen Tumorzellen kommen, andererseits könnten sich die Tumorzellen durch Spülungen noch weiter im Gewebe verteilen. Aktuell wird eine Lavage empfohlen, sie beugt einer Dehydration des Gewebes vor, entfernt Blutclots und Fremdmaterial von der Wunde oder der Körperhöhle. 

Wundverschluss

Prinzipiell ist ein primärer Wundverschluss bevorzugt, sollte die entstandene Wunde jedoch nicht mehr zu schließen sein, ist das kein Grund zur Panik. Es existieren mehrere Möglichkeiten für Wunden, die nicht primär geschlossen werden können. Wird eine Wunde primär mit einem Gefäßlappen („Axial Pattern Flap“) verschlossen, gelten sowohl die Wunde wie auch der Flap als kontaminiert. Dennoch ist es gerade in der Veterinärmedizin üblich, Tumorentfernung und Lappenplastik in einer -Sitzung durchzuführen. Als gängige Techniken eignen sich Verschiebelappenplastiken, Transpositionslappen, Gefäß-lappen oder auch freie Hauttransplantate. 

Tumorränder

Wie aggressiv ein Tumor entfernt wird, lässt sich in vier Kategorien gliedern. 

1. Intraläsional („Debulking“) = makroskopisches -Zurücklassen von Tumorgewebe

2. Marginal = Resektion peripher zur Tumor-Pseudo-kapsel, keine Entfernung von mikroskopischen Satellitentumorzellen

3. Weit = involviert adäquate laterale und tiefe -Ränder. Die Weite der Ränder hängt vom Tumortyp ab und -variiert zwischen 1 cm (gutartig), 3 cm (Weichteil-sarkome) und 5 cm (Injection-site Sarkoma).

4. Radikal = Entfernung eines kompletten Kompartments, wie zum Beispiel eine Splenektomie bei einem Milztumor oder eine Gliedmaßenamputation bei einem Osteosarkom.

Nicht zu vergessen und von großer Wichtigkeit ist die adäquate Kennzeichnung des entfernten Tumors. Markierung mit Nähten oder Tinte ist gängig und essenziell für die pathohistologische Beurteilung. Es empfiehlt sich natürlich auch, einen guten Draht zu seinem Pathologen zu haben – eine gute Vorgeschichte, Beschreibung des Tumors, Kennzeichnung des Tumors und Besprechung der pathohistologischen Befunde können für beide Seiten sehr hilfreich sein. 

Fazit

Aufgrund der steigenden Anzahl von Krebserkrankungen bei unseren Haustieren gewinnt die Tumorchirurgie eine immer wichtigere Bedeutung. Der häufigste Fehler in der Tumorchirurgie ist ein zu knappes Entfernen des Tumors, meist bedingt durch die Angst, eine große Wunde nicht mehr schließen zu können. Den Leitsatz „Es ist besser, eine Wunde offen zu lassen, als Tumorzellen zurückzulassen“, sollte man sich auf alle Fälle zu Herzen nehmen. 

In komplexen Fällen empfiehlt es sich, den Patienten an einen Spezialisten zu überweisen. Die erste Operation -bietet für das Tier und die Prognose die beste und wichtigste Chance und sollte nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt werden.