Palliative Therapie

in der Onkologie

Mag. Katharina Kinner
Dr. Hannes Meißel
Fachtierarzt für Kleintiere, ÖTK – Diplom Kleintieronkologie
Tierärzte Oberalm

Das Ziel einer Immuntherapie gegen Krebs ist es, die Immuntoleranz zu durchbrechen und die physiologische Tumorabwehr des Organismus wieder herzustellen und zu unterstützen.

Die verbesserten Lebensbedingungen im Einklang mit dem neuen Stellenwert unserer Heimtiere in der Familie (Kinderersatz, Verlust eines Partners usw.) führen glücklicherweise zu einer wesentlich längeren Lebenserwartung. In Kombination mit den Fortschritten der modernen Tiermedizin (verbesserte Diagnostik und Therapien) bringt dies eine Verschiebung der auftretenden Krankheiten und deren Wertigkeit mit sich. Immer älter werdende Tiere führen uns zu einem zunehmend wichtiger werdenden Gebiet der Tiermedizin: der Onkologie mit extrem variantenreichen Facetten der Betreuung.

Während früher die Onkologie nur ein Randgebiet der Veterinärmedizin war, gewinnt sie nun rasch an Bedeutung: Nicht nur das höhere Lebensalter der Tiere und die spezielle Bedeutung des betroffenen Tieres machen spezifische Kenntnisse notwendig, um dem gesteigerten Bedarf an onkologischem Wissen gerecht zu werden. ­Diese Vielfalt an neuen Möglichkeiten bringt aber auch einige Stolpersteine mit sich: Die immense Breite an Diagnosemöglichkeiten (zusätzlich zu den gängigen Blutuntersuchungen spezielle Fragestellungen, Röntgen, Ultraschall, Computertomografie, histologische Zytologie und spezielle Pathologie) führt uns in einen Bereich, wo die finanzielle Situation des Tierbesitzers unseren Bestrebungen ein Ende setzt. Dazu kommt noch, dass nach einer kostenintensiven Diagnostik erst mit einer eventuell noch teureren Therapie in mehreren Sitzungen begonnen werden soll. Dies ist zu akzeptieren und man darf nicht mit allzu optimistischen Prognosen die Tierbesitzer subjektiv überreden wollen, um unsichere Zustimmungen zu beeinflussen.

Ein weiterer Knackpunkt ist die oft extrem negative Einstellung zur Chemotherapie: „Lass ich nie und nimmer mit meinem Tier machen“; dafür verantwortlich sind negative Schilderungen aus der Humanmedizin mit vollkommen falschen Rückschlüssen auf die Tiermedizin. Zum Glück kommen uns hier aber auch die vielen positiven Rückmeldungen aus der Humanmedizin zu Hilfe: Es gibt schon viele Tierbesitzer mit eigenen Erfahrungen in der Onkologie; mit diesen Besitzern kann man viel freier und ehrlicher über alle Bereiche sprechen.

Gerade in der Onkologie gibt es einen ganz wichtigen Grundsatz: zuerst genaueste Diagnose und dann ausführliches Gespräch über alle Eventualitäten der Therapie und Prognose. Man muss dem Besitzer genügend Zeit für Überlegungen in aller Ruhe geben und darf ihn auf keinen Fall bedrängen oder überreden. Hier zeigt sich immer wieder, dass offene, ehrliche und umfangreiche Gespräche auch bei diesen manchmal enttäuschenden Ergebnissen zu annähernd zufriedenen Tierbesitzern führen.

Während der Tierbesitzer zunehmend bereiter für intensive Therapie mit umfangreichen Varianten wie Chirurgie, Chemotherapie mittels Infusionen in mehreren Sitzungen, Bestrahlungen, Hyperthermie oder Fotodynamische Therapie ist, gibt es berechtigterweise eine große Gruppe von Leuten, welche für ihr Tier eine Therapie wünscht, wo mit Bedacht auf finanzielle Kosten und nicht zu großem Aufwand für das Tier (denken Sie nur an die regelmäßige Medikamenteneingabe bei Katzen!) eine sinnvolle Behandlung ohne großen Stress für das Tier durchgeführt werden kann. Hier bieten sich mehrere Möglichkeiten zur palliativen Therapie an.

Wir verstehen darunter Maßnahmen bei Tumoren, wenn eine Heilung nicht möglich ist und wir damit wenigstens die Beschwerden, also die Schmerzen, lindern können. Ziel ist eine Verbesserung der Lebensqualität des Patienten ohne Verlängerung der Überlebenszeit; oft gelingt uns wegen deutlicher Funktionsverbesserung eine beachtliche Verlängerung einer qualitativ guten Überlebenszeit. Auch, wenn manchmal eine palliative Chirurgie sinnvoll erscheint – selbst bei bereits erfolgter systemischer Metastasierung kann eine Resektion eines infizierten, nässenden, eitrigen oder nekrotisierenden Primärtumors den entscheidenden Faktor zur Verbesserung der Lebensqualität bedeuten –, steht im Vordergrund unserer palliativen Therapie eine möglichst minimale Belastung des Tieres wie auch des Besitzers. Zwar will der Besitzer seinem Tier unbedingt helfen, aber aus finanziellen Gründen, wegen allgemeiner Ablehnung einer zytostatischen oder invasiven Therapie oder wegen mangelnder Compliance will er sich auf eine möglichst schonende Behandlung und ­Begleitmaßnahmen beschränken.

CORTISON

CARLOS war eine schwergewichtige, natürlich bequeme Zimmerkatze mit neun Jahren. Seit einiger Zeit bemerkte die Besitzerin eine Veränderung im linken Auge: Die Umfangsvermehrung in der linken Iris war ein Lymphom, und diese Diagnose war für die Besitzerin eine schwere psychische Belastung: Ihr Tier darf auf keinen Fall leiden. Wir diskutierten ausführlich alle zu erwartenden Eventualitäten, kontrollierten das Blutbild, kontrollierten den intraokulären Druck und das gesunde Auge und schlugen der Besitzerin eine alleinige Cortisontherapie in wechselnder Dosierung je nach Klinik und Kontrollen vor: CARLOS lebte noch 19 Monate beschwerdefrei bei seiner zufriedenen Besitzerin.

MISTEL

Um 1920 führte Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, gemeinsam mit der niederländischen Ärztin Ita Wegmann die Anwendung der Mistel in die Onkologie ein. Von der parasitär lebenden Pflanze sind über 1.500 Arten bekannt; in Europa wird die weißbeerige Mistel (Viscum album) am häufigsten eingesetzt. Je nach Wirtsbaum unterscheidet sich die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe: Die wichtigsten sind Lektine und Viscotoxin. Viscotoxin reichert sich im Sommer vor allem an der Peripherie der Pflanze an und entspricht chemisch dem Kobragift. Jahreszeitlich unterschiedliche Konzentrationen der Inhaltsstoffe machen unterschiedliche Erntezeitpunkte notwendig. In zahlreichen Laborversuchen an Zellkulturen und auch Tierversuchen wurde eine immunmodulatorische und zytotoxische Wirkung und Reduktion der Neoangiogenese nachgewiesen. Die Wirkungen sind abhängig von der Konzentration und der Lokalisation des Mistelpräparates. Wir setzen von Weleda meistens Iscador Q (Eiche) und von Helixor die Kiefermistel als Rezidiv-prophylaxe nach Chirurgie oder palliativ bei inoperablen Tumoren ein. Wir starten dreimal pro Woche mit 1 ml subkutan mit der Serie 0 und erhöhen die Konzentration; je nach Reaktion versuchen wir auch, die Konzentrationen und Präparate zu wechseln, um einen Gewöhnungseffekt des Körpers zu reduzieren; je nach körperlichem Zustand des Patienten legen wir auch Pausen ein.

ARCO ist ein zwölfjähriger Bayrischer Gebirgsschweißhund mit Gonarthrose rechts, Spondylarthrosen und Cauda equina. Er wurde wegen Apathie vorgestellt: Am Röntgenbild zeigte sich ein großer Milztumor. Die Besitzerin wollte den Hund gleich erlösen: Im Gespräch vereinbarten wir eine Misteltherapie: Wir begannen mit Iscador quercus Serie 0, wechselten dann auf Helixor P: Mittlerweile lebt ARCO bei guter Lebensqualität seit mehr als 13 Monaten.

LILLY, eine 13-jährige Labrador-Hündin, wurde wegen hochgradigen Zahnsteins zur Sanierung nach vorangegangener klinischer Untersuchung narkotisiert: Zusätzlich wurde an der linken caudalen Zungenseite ein kastaniengroßer ulzerierender Tumor reseziert. Das Ergebnis der Pathologie war: entzündlich überlagertes, pigmentiertes malignes Melanom der Zunge (strahlensensibel); Mitoserate: circa 40 Mitosen pro zehn Gesichtsfelder der HPF. Wegen des Alters des Hundes wollte der Besitzer keine weitere Abklärung und Metastasensuche; nach Beratung entschloss er sich zur Misteltherapie mit Iscador P Serien 0 bis II; nach einem Jahr weiterhin kein Rezidiv dieses sehr bösartigen Tumors im Maul; Rezidiv nach 24 Monaten; ÜLZ: 981 Tage (Prognose war vier bis sechs Monate).

COX- 2-INHIBITOREN

Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) werden nach der palliativen onkologischen Chirurgie wegen ihrer analgetischen, antipyretischen und antiphlogistischen Wirkung ständig eingesetzt. Mehrere Studien und Erkenntnisse aus neuester Zeit (Queiroga, Wiedemann, Souza, Khan, Lloret, Kessler u. v. a.) zeigen, dass der Einsatz von NSAID aus onkologischer Sicht sinnvoll ist. Als selektive COX-2-Hemmer (das Enzym Cyclooxygenase COX nimmt eine wichtige Rolle bei der Synthese von Entzündungsmediatoren – Prostaglandine, Prostazykline – ein) finden sie alleine oder in Kombination mit Chemotherapeutika Verwendung bei zahlreichen COX-2-expressiven Tumoren wie Prostatakarzinomen, Übergangszellkarzinom der Blase, Plattenepithelkarzinomen, Mammakarzinomen und oralen Melanomen beim Hund und bei Mammakarzinomen bei der Katze. 

Die am häufigsten verwendeten NSAID sind Meloxicam (0,2 mg/kg am ersten Tag, dann 0,1 mg/kg/Tag p. o. beim Hund und 0,1 mg/kg/Tag am ersten Tag und dann 0,05 mg/kg/Tag bei der Katze) und Firocoxib 5 mg/kg/Tag beim Hund. Für Katzen ist Firocoxib noch nicht zugelassen. Wir verwenden ausschließlich Firocoxib (5 mg/kg/Tag).

SAMY ist eine achtjährige sterilisierte Mischlingshündin (WHT – Shi Tzu), welche mit hochgradigen Harnabsatzproblemen überwiesen wurde: Nach Inspektion der Scheide und Resektion des Übergangszellkarzinoms bekommt SAMY Firocoxib und freut sich seit drei Monaten ihres Lebens.

SINDY ist eine sterilisierte zwölfjährige Cocker-Spaniel-Hündin mit bereits inoperablen Mammatumoren mit zahlreichen Metastasen. Wir versuchen eine palliative Therapie mit Firocoxib. Die Therapie mit NSAID soll bei guter Verträglichkeit mindestens ein Jahr durchgeführt werden.

TARANTULA CUBENSIS

Theranekron als eine in Alkohol mazerierte Zubereitung aus der Vogelspinne Tarantula cubensis verwenden wir häufig bei septischen und eitrigen Zuständen, Bissverletzungen, infizierten Wunden, subkutanen Fremdkörpern (Holz, Schliafhansl). Die demarkierende, nekrotisierende, resorptionsfördernde und regenerative Wirkung führt zu einer beschleunigten Wundheilung und reduziert so den Schmerz und verbessert das Wohlbefinden des Tieres. Die positive Wirkung auf das Tumorwachstum (speziell bei Mammatumoren) ermöglicht den sinnvollen Einsatz von Theranekron in der palliativen Onkologie. 

Meist in Kombination mit Chirurgie und COX-2-Hemmern zeigt es gerade bei sekundären Entzündungen, -Flüssigkeitsansammlungen oder Ödemen eine hervorragende Wirkung. Wegen der Möglichkeit der verfrühten Abstoßung des Nahtmaterials setzen wir es erst nach circa zwölf Tagen postoperativ ein.

ERNÄHRUNG

Ziel der Ernährung von Tumorpatienten soll eine ausreichende Energieaufnahme zur Verhinderung von prognostisch ungünstigen Gewichtsverlusten und eine adäquate Nährstoffversorgung peroral sein. Fett- und energiereiche Mischfutter sind für die Fütterung von Tumorpatienten zu bevorzugen, da eine ausreichende Energieversorgung mit relativ kleinen Futtervolumina erreicht werden kann. Empfehlenswert sind Mischfuttermittel, deren Nährstoffgehalt oberhalb den Mindestempfehlungen für Hunde und Katzen im Erhaltungsstoffwechsel liegen. Eine ausreichend hohe Aufnahme essenzieller Aminosäuren ist wichtig für die Immunfunktionen.

Omega-3-Fettsäuren dienen als Energiequelle und haben einen positiven Einfluss auf verschiedene physio- und -pathophysiologische Prozesse. Fettsäuren aus Fischöl können die Überlebenszeiten verlängern, während der Anteil an Linolsäure reduziert werden soll; reich an Linolsäure sind Pflanzenöle wie Sonnenblumen-, Distel-, Soja- und Maiskeimöl. Omega-3-Fettsäuren nehmen Einfluss auf Zytokinmuster und führen dazu, dass verstärkt immunregulatorische oder weniger inflammatorisch wirksame Zytokine entstehen.

Ausreichend hohe Rohfasergehalte sind für die Motorik des Magen-Darm-Trakts sowie für die Zusammensetzung und Fermentationsaktivität der intestinalen Mikroorganismen vorzusehen; hier bieten sich Weizenkleie, Flohsamen oder Karotten an. Eine erhöhte Zufuhr bestimmter Spurenelemente wie Zink, Kupfer, Jod und Selen erscheint wegen der Bedeutung für immunologische Vorgänge sinnvoll.

ZUSAMMENFASSUNG

Wegen der verbesserten Lebensbedingungen für Tiere und deren Besitzer werden zunehmend onkologische Fälle in der tierärztlichen Praxis vorgestellt. Nach einer möglichst genauen Diagnose bieten sich zahlreiche Möglichkeiten einer tierärztlichen Intervention an.

Ausführliche Aufklärung, Beratung und offene -Gespräche können gerade in diesen emotional schwierigen Situationen helfen, für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösungen zu finden. So können oft auch in fast ausweglosen Fällen dem Tierbesitzer für seinen Liebling sinnvolle Hilfe und Unterstützung angeboten werden: Das Tier wird wieder aktiver, fühlt sich wohl, hat mehr Appetit und erfreut seinen Besitzer mit einem schöneren Fell.