Ein gewichtiges

Problem

Petra Sladky
Redakteurin bei „Pferderevue“

Dass Pferde nicht zum Tragen eines Reiters geboren sind, ist hinlänglich bekannt. Erst gezieltes Training macht den Pferderücken so weit tragfähig, dass er durch das Reitergewicht keinen Schaden nimmt. Doch auch das beste Training hat Grenzen.

Die Frage, wie viel Gewicht ein Pferd ohne gesundheitliche Nachteile tragen kann, ist immer wieder Gegenstand hoch emotional geführter Diskussionen. Obwohl es naheliegend ist, dass ein zu schwerer Reiter das Wohlbefinden seines Pferdes negativ beeinflussen kann, gab es bislang keine wissenschaftlichen Studien, die diese These unter ­lebensnahen Bedingungen stützen konnte. Seit einigen Monaten untersucht deshalb ein Team britischer Forscher unter der Leitung von Dr. Sue Dyson, Spezialistin für Equine Orthopädie bei Animal Health Trust, die Auswirkungen des Reitergewichts auf Reitpferde. Die ersten Ergebnisse, die im Rahmen des National Equine Forums in London offiziell gemacht wurden, geben Anlass zur Beunruhigung: Zu viel Gewicht im Sattel kann beim Pferd nicht nur Unbehagen auslösen, sondern sogar ­Lahmheiten.

Die Studie

Im Versuch beobachteten Dyson und ihre Kollegen sechs Pferde in einem standardisierten Training unter verschiedenen Reitern. Anhand ihres Body-Mass-Index wurden die Reiter als leicht, normal, schwer und sehr schwer eingestuft. Geritten wurde jeweils für 30 Minuten in allen drei Grundgangarten, wobei der Löwenanteil auf Schritt und Trab entfiel. Die Pferde waren dabei mit ihrem gewohnten Equipment ausgestattet, die Sattelpassform wurde vor Beginn der Testreihe von einem Experten beurteilt. ­Dyson und ihr Team beobachteten Verhalten, Bewegungen und Ausdruck der Pferde, außerdem wurden die auf den ­Pferderücken wirkenden Kräfte unter dem Sattel nebst Herzschlag, Atemfrequenz, Cortisolspiegel im Speichel sowie die Veränderung der Rückentätigkeit mit und ohne Reiter gemessen.

Beim schweren und sehr schweren Reiter war die Auswertung im Detail gar nicht erst nötig, um die Auswirkungen aufs Pferd sichtbar zu machen. Sämtliche Testläufe mit diesen beiden Reitern im Sattel wurden vorzeitig abgebrochen – alle bis auf einen deshalb, weil die Pferde mit Lahmheit reagierten. Festgestellt wurde diese subjektiv von einem Orthopädieexperten. Die objektive Bestätigung lieferten Messgeräte, die am Genick, am Widerrist und am Becken angebracht waren. Der verbleibende Ritt wurde angehalten, nachdem das Pferd zehn von 24 zuvor definierten Anzeichen von Unbehagen oder Schmerz erkennen ließ. Anhand dieses Ethogramms stellten die Forscher auch fest, dass die Schmerzindikatoren insgesamt deutlich zunahmen, wenn sich das Gewicht im Sattel erhöhte.

Für Dr. Sue Dyson sind diese Ergebnisse wenig überraschend. „In Anbetracht der klinischen Beobachtungen der vergangenen Jahre hatte ich schon damit gerechnet. Immer wieder habe ich klinisch komplett unauffällige, gut trainierte Pferde gesehen, die plötzlich lahm gingen, wenn sie von einem schweren Reiter geritten wurden. Geringgradige Lahmheiten unter einem leichten Reiter wuchsen sich zu deutlich verstärkten Taktunreinheiten aus, sobald sich das Gewicht im Sattel erhöhte.“ Weil es sich bei diesen Ganganomalien um direkte Reaktionen auf das Reitergewicht handelt, sind sie temporärer Natur; so auch während der Studie: Innerhalb von 45 Minuten verschwanden die Unregelmäßigkeiten im Gang. Am Ende des Versuchs bewegten sich die Pferde gleich gut wie zu Beginn – oder sogar besser, wenn sie vom leichten oder normalgewichtigen Reiter geritten wurden. Allerdings räumt Dyson ein: „Würde ein ähnlich schwerer Reiter wie unsere Testperson das Pferd regelmäßig reiten, würde sich die Lahmheit manifestieren.“

BMI zweitrangig

Der BMI der Reiter spielte als Auslöser für die Lahm­heiten übrigens weniger eine Rolle, wie die Studie festhält. Im Versuch hatten der normalgewichtige und der schwere Reiter annähernd idente BMIs, weshalb eigentlich beide als übergewichtig einzustufen gewesen wären. Nichtsdesto­trotz musste beim normalgewichtigen Reiter nur ein einziger Testlauf abgebrochen werden. Warum das Gewicht der entscheidende Faktor ist, erklärt Dr. Dyson so: „Ein Reiter kann korpulent sein, ohne übermäßig viel zu wiegen. Die Auswirkungen auf das Pferd werden vor ­allem durch das Gewicht und dessen Verteilung beeinflusst. Ein wesentlicher Faktor ist in diesem Zusammenhang auch die Körpergröße, weil sie direkten Einfluss auf die Position des Reiters im Sattel hat. Man darf nicht vergessen: Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung. Entsprechend hat das Gewicht direkten Einfluss auf die Kräfte, die über den Sattel auf den Pferderücken wirken. Deshalb sind auch die Balance des Reiters und seine Fähigkeit, aufrecht im Sattel zu sitzen, so wichtig, und ein passendes Verhältnis zwischen Reiter und Pferd.“

Faktor Sattelpassform

Benötigen demnach größere Reiter auch größere ­Pferde? Dysons Antwort: „Auf jeden Fall, ja. Und dazu einen Sattel, der Pferd und Reiter gleichermaßen passt – wenngleich es hierzu noch weitere Forschungsarbeit benötigt, um zu bestätigen, dass sich dadurch die Belastbarkeit eines Pferdes tatsächlich erhöht.“ Die Vermutung, dass dies tatsächlich der Fall sein könnte, liegt allerdings nahe. Zumindest lassen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit darauf schließen. Der als „schwer“ klassifizierte Reiter in der Studie brachte annähernd dasselbe Gewicht auf die Waage wie einer der Pferdebesitzer. Weil er ihn jedoch um fast 30 Zentimeter überragte, kam er im gewohnten Sattel des Pferdes zu weit hinten zum Sitzen, wodurch der Hinterzwiesel überlastet wurde und der Reiter große Mühe hatte, sich ordentlich auszubalancieren – was sich sofort negativ aufs Pferd übertrug. 

Höchstgrenze individuell

Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, wo nun die magische Grenze für das maximal vertretbare Gewicht liegt, bleibt auch diese Studie schuldig – trotz der gewonnenen Erkenntnisse. „Hier spielen viele individuelle Faktoren hinein, wie Gebäude, Fitness und Kraft des Pferdes, das Vorhandensein etwaiger klinischer Probleme, Größe und Passform des Sattels, das Können und die Fitness des Reiters, deren gemeinsame Balance und Symmetrie, die Dauer und Intensität des Trainings, aber auch die Boden- und Geländebeschaffenheit“, erklärt Dr. Dyson. In ihrer Arbeit wurden Probleme innerhalb von 30 Minuten bei durchschnittlich 16,7 Prozent des Pferdegewichts sichtbar. Heißt das, dass schwerere Personen also generell nicht in den Sattel steigen sollten? Sue Dyson sagt Nein. „Allerdings legen unsere Studienergebnisse nahe, dass ­gewichtige Reiter besonderes Augenmerk auf die passende Größe und Fitness ihres Pferdes legen sollten. Ein gesundes, leistungsfähiges Pferd kann das Gewicht eines schweren und/oder großen Reiters besser wegstecken als ein nicht fittes. Und natürlich sollte auch der Reiter so fit wie möglich sein. Lassen Sie den Sattel regelmäßig auf ­seine Passform für Pferd und Reiter überprüfen. Ist der Rücken des Pferdes lang genug für einen dem Reiter passenden Sattel, in dem dieser auch korrekt mittig sitzen kann? Es ist durchaus denkbar, dass sich die ­Höchstgrenze mit einem ausreichend langen Sattel, der den Reiter optimal positioniert, deutlich erhöht.“ Um dies gesichert ­sagen zu können, bedarf es allerdings weiterer Forschung, um die Einfluss nehmenden ­Faktoren noch detaillierter zu untersuchen. Ein Leitfaden, der die Gewichtsfrage zuverlässig klärt, wird also weiterhin auf sich warten lassen.