Die Objektive Ganganalyse beim Pferd –

ein neuer Standard in der Lahmheitsdiagnostik

Tierärztin Vasiliki Katrinaki
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig und Dotorandin an der Klinik für Pferde, FU-Berlin

An der objektiven Beurteilung und Analyse des Gangs von Pferden führt kein Weg mehr vorbei – diese sind feste Bestandteile der Lahmheitsdiagnostik geworden.

Probleme des Bewegungsapparats bei Pferden wirken sich sowohl auf die sportliche Leistung als auch auf das Wohlbefinden des Tiers negativ aus und stellen einen der größten Kostenfaktoren in der Pferdeindustrie dar. Neben den wirtschaftlichen Aspekten sind sie nicht zuletzt aufgrund der subjektiv unterschiedlichen Beurteilungen eine medizinische Herausforderung. Die Übereinstimmung zwischen Pferdetierärzten, sowohl bei der Beurteilung von Pferden mit einer geringgradigen Lahmheit als auch hinsichtlich der Änderung eines Lahmheitsgrades nach einer lokalen Anästhesie, ist gering. Viele Wissenschaftler und Praktiker konzentrieren daher ihr Interesse auf die Untersuchung der Bewegung von Pferden. Die objektive Beurteilung und Analyse des Gangs von Pferden hat an Bedeutung zugenommen und schickt sich an, ein fester Bestandteil der Lahmheitsdiagnostik zu werden.

Die ersten Versuche, objektive Werkzeuge für die Unter­suchung der Bewegung eines Pferdes zu verwenden, ­wurden Ende des 19. Jahrhunderts unternommen. Um den Kontakt zwischen Huf und Boden und die Dauer der Hufbewegungen bei verschiedenen Gangarten zu untersuchen, benutzte der Franzose Étienne-Jules Marey 1873 unterschiedliche Drucksensoren, die am Huf befestigt waren, und Beschleunigungssensoren, die an den Gliedmaßen angebracht waren. Der Brite Eadweard Muybridge verwendete 1887 eine Reihe von 24 Kameras, um die Bewegung des Pferdes zu analysieren. Seitdem fanden zahlreiche kinetische und kinematische Studien statt, um die natürliche Bewegung des Pferdes, Gangunregelmäßigkeiten und Lahmheiten besser zu verstehen. Es gibt zwei grundsätzliche Ansätze zur Analyse von Gangparametern: die Kinetik und die Kinematik.

In der Kinetik, die den Fokus auf der Messung von auf einen Körper ausgeübten Kräften hat, stehen ­verschiedene Techniken zur Ganganalyse und Lahmheitsbewertung zur Verfügung. Die stationäre Kraftmessplatte ist die gebräuchlichste Methode der kinetischen Ganganalyse. Bodenreaktionskräfte (GRFs) können in allen drei Dimensionen gemessen werden. Unter natürlichen Bedingungen und bei induzierten Lahmheitsmodellen korreliert die zunehmende Schwere der Lahmheit einer Gliedmaße mit einer abnehmenden vertikalen Bodenreaktionskraft der betroffenen Gliedmaße. Die Empfindlichkeit dieser Methode ist hoch genug, um auch subtile Lahmheit zu erkennen. Die Nachteile dieser Technik liegen darin, dass sie bei klinischen Untersuchungen außerhalb des Labors nicht angewendet werden können und die Geräte teuer sind. Studien, die auf stationären Kraftmessplatten basieren, finden daher zumeist in der Lehre an veterinärmedizinischen Universitäten statt.

Um diese Einschränkungen zu überwinden, wurden ambulante Techniken zur Messung von GRFs ­entwickelt. Druckmatten lassen sich zwar mit Klebeband oder Hufschuhen auf der Sohlenfläche des Hufes anpassen und fixieren, die Ergebnisse erweisen sich aber als ­weniger reproduzierbar und ungenau im Vergleich zu den Ergebnissen der Kraftmessplatten. Auch bei den maßgeschneiderten dynamometrischen Hufeisen, die von ­verschiedenen Wissen­schaftlern entwickelt wurden, gibt es nach wie vor erhebliche technische Schwierigkeiten bei der Kon­struktion und Zuverlässigkeit.

Aufzeichnung Mithilfe von Kameras 

In der Kinematik, die die Veränderung der Körperposition ohne Berücksichtigung der Kräfte misst, wird die Technik der Videografie seit vielen Jahren eingesetzt. Einzelne -Kameras oder mehrere Kameras zusammen können verwendet werden, um die Bewegung des Pferdes mithilfe von speziellen Markern, die am Pferd platziert werden, aufzuzeichnen. Es gibt hierbei verschiedene Softwarelösungen für die videobasierte Interpretation der so gewonnen Daten, die in ein dreidimensionales Koordinatensystem übertragen werden. Hierfür sind nicht unbedingt Laborbedingungen erforderlich. Einige dieser Systeme können zum Beispiel ganze Trabrennbahnen ausstatten und so Pferde live auf der Bahn untersuchen. Der Nachteil ist, dass die Ausrüstung sehr teuer ist und bisher nur große private Pferdekliniken und Lehruniversitäten diese Einschränkung überwunden haben.

Alternativ wurden Systeme auf der Basis von Bewegungssensoren entwickelt. Diese inertialen Messeinheiten bestehen aus Beschleunigungssensoren, Kreisel- und Magneto-metersensoren. Die Beschleunigungssensoren messen die Beschleunigung der Oberfläche, an der sie befestigt sind, gyroskopische Sensoren messen die Orientierung, basierend auf dem Prinzip der Drehimpulserhaltung, und zeigen so den Zeitpunkt und die Dauer der Standphasen. Die Anzahl der verwendeten Sensoren variiert je nach System und Anbieter.

Algorithmen unterscheiden Lahmheit

Das weltweit am häufigsten eingesetzte System -analysiert die Daten von drei Sensoren. Ein dreiachsiger Beschleunigungssensor wird am Kopf befestigt, ein weiterer dreiachsiger Beschleunigungssensor am höchsten Punkt auf der Mittellinie des Beckens: Des Weiteren wird ein uniaxialer Gyroskopsensor an der Fessel einer Gliedmaße angebracht. Die Daten der Sensoren werden in Echtzeit drahtlos über Bluetooth an einen tragbaren Computer mit einer Frequenz von 200 Hz übertragen und gemäß den fehlerkorrigierten Algorithmen ausgewertet. Die Kopf- und Beckensensoren messen über die Vertikal-beschleunigung des Kopfes und des Beckens die maximale und minimale Position. Der Sensor an der Fessel misst die Winkel-geschwindigkeit der Gliedmaße und legt so die Schrittfolge fest. Bereits wenige Sekunden nach Abschluss der Messung werden die Ergebnisse angezeigt.

Da im Trab gleichmäßige vertikale Bewegungen des Körper-schwerpunktes auftreten, werden nur die Daten, die in dieser Gangart gemessen werden, verarbeitet. Die Asymmetrien der Bewegungen des Kopfes und des Beckens, die im Galopp auftreten können, haben keinen Bezug zu einem spezifischen Lahmheitsmuster. Aufgrund bekannter Algorithmen kann dieses System primäre, -sekundäre und kompensatorische Lahmheiten unterscheiden. Zusätzlich ist auch der Einfluss des Reiters auf das Bewegungsmuster des Pferdes messbar. Die für die objektive Analyse des Gangs von Pferden zur Verfügung stehenden Systeme stellen ein wertvolles Hilfsmittel im Rahmen der täglichen klinischen Untersuchung von Lahmheiten dar. Wie das Röntgen- oder Ultraschallgerät werden sie ein fester Bestandteil der Diagnostik sein.