Die elementare Bedeutung des Strichkanals

für die Eutergesundheit

Dr. Franz Kritzinger
Tierarztpraxis Vöcklamarkt

Der Strichkanal stellt die wesentliche mechanische Barriere gegen das Eindringen von Mastitiserregern in das Euter dar. 

Da fast alle gängigen Euterinfektionen über den Strich­kanal erfolgen, kommt diesem als „erster Verteidigungs­linie“ eine ganz besondere Bedeutung zu. Er soll einerseits zur Gewährleistung einer guten Melkbarkeit möglichst groß dimensioniert sein, muss aber andererseits durch seine besondere anatomische Bauweise den Durchtritt von Infektionserregern aus der Umwelt der Tiere verhindern. 

Der Strichkanal ist circa einen Zentimeter lang und stellt am Ende der Zitzenzisterne den zylindrisch geformten Ausgang der Milchdrüse dar (Bild 1). Er weist eine länglich gefaltete Schleimhaut auf (Bild 2), die mit einer speziellen Epithelschicht ausgekleidet ist. Die Zellen auf der Schleimhautoberfläche erfüllen eine ganz wesentliche Aufgabe, da sie eine keratinhaltige, klebrige Masse produzieren. Die chemische Zusammensetzung dieser Keratin­masse ist sehr komplex und enthält eine Vielzahl von Bestandteilen mit bakteriziden Eigenschaften. 

Die Epithelzellen der Schleimhautoberfläche zeigen eine hohe Wachstumsrate und sorgen durch permanente Abschilferung der verhornenden Oberfläche für eine ständige Nachbildung der keratinhaltigen Massen. Die Aufgabe dieser Substanzen ist neben der Verhinderung des Keimwachstums durch die enthaltenen keimhemmenden Anteile ein rein mechanischer Verschluss durch das Verkleben der Schleimhaut durch die Keratinmassen (Bild 3–7). Durch die vollständig miteinander verklebten Schleimhautoberflächen kann mit einem perfekten Schutz vor dem Eindringen von infektiösen Keimen gerechnet werden.

Die Strichkanalschleimhaut wird von einem Ring von elastischen Fasern und Muskelzellen umgeben (Bild 3). ­Dieses elastische Gewebe ermöglicht ein zyklisches ­Öffnen und Schließen des Strichkanals im Rahmen der Pulsation der Melkmaschine. Mit zunehmendem Alter geht ein Teil ­dieser Elastizität verloren, womit durch eine Erschlaffung des Strichkanals eine erhöhte Mastitisanfälligkeit älterer Tiere erklärt werden könnte.  

Während des Melkaktes kommt es zu einer elastischen Dehnung des Strichkanals. Diese Erweiterung wird durch die Entfaltung der in Falten gelegten Schleimhaut im Strichkanalrohr ermöglicht. In Folge von Scheuerkräften während des Milchflusses kommt es bei jeder Melkung durch Ausspülung zu einem Verlust großer Teile des Keratins. Durch die laufende Nachproduktion wird auch zwischen den Melkzeiten mit einem gewissen Zeit­abstand zur Melkung und dem Zusammenziehen des Strichkanalrohres durch den umgebenden Ring aus elastischen Fasern und Muskelfasern der Kanal durch Verklebung der Schleimhaut wieder verschlossen. 

Der Strichkanal in der Trockenstehzeit 

Beim Trockenstellen der Kühe sollte sich idealerweise der Verschluss des Strichkanals durch Verklebung möglichst rasch nach der letzten Melkung einstellen. Dieser Verschluss wurde bisher immer sehr bildlich als Keratinpfropf bezeichnet. In den vorliegenden Aufnahmen von zwei trockenstehenden Kühen (Kuh A + Kuh B) sind die in ihrer Intensität sehr unterschiedlich gestalteten Keratinverschlüsse dargestellt (Bild 3–7).

Bei Kühen mit guter Persistenz und damit verbundenen hohen Milchmengen zum Zeitpunkt des Trockenstellens wird die Ausbildung des Verschlusses unter -anderem durch auslaufende Milch und hohen Milchdruck im Euter mehr oder weniger verzögert. Der offene Strichkanal und das Fehlen des Ausschwemmens von Bakterien durch das Melken stellen für trockenstehende Tiere ein sehr hohes Infektionsrisiko dar. In einer LKV-Auswertung der gesamten österreichischen MLP-Kühe ist dieser Trend eindeutig erkennbar (Tab 1). Kühe mit über 15 Litern Milch zum Zeitpunkt des Trockenstellens haben ein vielfach höheres Infektionsrisiko in der Trockenstehzeit als Kühe unter zehn Litern. Die meisten Neuinfektionen in der Trockenstehzeit gibt es daher unmittelbar am Beginn und auch am Ende der Trockenstehzeit, wenn sich der Strichkanalverschluss durch den steigenden Euterdruck wieder auflöst. In der Mitte der Trockenstehzeit ist das Infektionsrisiko am geringsten. 

Zum Schutz von Kühen mit hohen Milchleistungen wurden die Tiere prophylaktisch bisher meist mit antibiotischen Trockenstellern behandelt. In einer Gegenüberstellung von unbehandelten und mit Antibiotika behandelten Tieren zeigt sich ein sehr geringer oder beinahe fehlender Erfolg dieser Behandlung (Tab 2). Ein Unterschied ist fast nicht nachweisbar. Die Strategie sollte überdacht werden, zumal auch aus heutiger Sicht der prophylaktische Einsatz von Antibiotika bei gesunden Tieren nicht erlaubt ist! 

Eine Alternative zum Antibiotikum sind Zitzenversiegler. Der in den Versieglern enthaltene Wirkstoff Bismut-nitrat ist in einer zähen, weißen Masse gelöst und soll, in den Strichkanal eingebracht, den Kanal verschließen und so den natürlichen Verschluss mit Keratin ersetzen (Bild 8). Der Vorteil des Versieglers ist, dass – anders als beim antibiotischen Trockensteller – auch noch in der zweiten Risikophase kurz vor der Geburt seine Schutzwirkung erhalten bleibt. 

Zitzenversiegler sind somit den antibiotischen Trocken-stellern als prophylaktische Maßnahme bei -gesunden Tieren weit überlegen. Die Infektionsrate der mit Versiegler behandelten Kühe liegt auf halbem Niveau gegenüber antibiotisch behandelten Tieren.

Bei der Ausarbeitung einer Trockenstellstrategie bei eutergesunden Tieren sollten zwei Gruppen unterschieden werden:

1. Kühe mit wenig Milch.

Bei diesen Tieren bildet sich der Verschluss des Strich-kanals umgehend nach dem Trockenstellen durch Ver-klebung der Schleimhaut von selbst aus. Solche Kühe können ohne weitere Maßnahmen mit geringem Risiko trocken-gestellt werden.

2. Kühe mit viel Milch.

Diese Kühe verkleben den Strichkanal verspätet und mangelhaft. Sie sollten mit einem Zitzenversiegler geschützt werden. 

Die Grenzen sind betriebsspezifisch von Faktoren wie Hygiene, Infektionslage usw. abhängig und sollten mit dem Betreuungstierarzt abgesprochen werden.

Strichkanalverletzungen und Strichkanalstenosen 

Die Behandlung von Strichkanalverletzungen (Bluttropfen an der Zitzenspitze) und Strichkanalstenosen muss unbedingt den Erhalt des histologischen Aufbaus des Strichkanalepithels berücksichtigen. Verletztes und zerstörtes Epithel wird durch Narbengewebe ersetzt, dieses kann jedoch die Funktionalität des Strichkanals nicht ersetzen. Weder Melkbarkeit mit dem Anspruch an die Elastizität des Strichkanals noch der Verschluss und Schutz der Zitze durch Bildung einer Keratinschicht durch ein intaktes Epithel können so sichergestellt werden. Schonende Methoden mit temporärem Trockenstellen des betroffenen Viertels sollten bevorzugt werden. Der Einsatz diverser „Mörderinstrumente“ (z. B. Zitzenglöckchen) mit massiv zerstörerischer Wirkung auf das Epithel muss unbedingt überdacht werden!

Die praktische Umsetzung dieser Zusammenhänge in ein zeitgemäßes Trockenstellmanagement führt zu einem reduzierten Einsatz von problematischen Langzeitantibiotika (Trockensteller) und entspricht auch den heutigen gesellschaftlichen Ansprüchen.

HINWEISS TGD-VIDEO: selektives Trockenstellen