Neues aus der

Darmmikrobiomforschung

Bettina Kristof

„Darm mit Charme“, „Darm an Hirn“: Die Buchbestseller im Gesundheitssektor machen auf dieses wichtige Organ und seine winzigen Bewohner aufmerksam. Eine Arbeitsgruppe an der Vetmeduni Vienna forscht intensiv am Mikrobiom, der Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm.

Über das Mikrobiom und seine Bedeutung sprachen wir mit Arbeitsgruppenleiterin Dr. Evelyne Mann-Selber­herr, Assistenzprofessorin für Mikrobiomforschung am Institut für Lebensmittelsicherheit, Lebensmittel­technologie und öffentliches Gesundheitswesen.

Frau Dr. Mann-Selberherr, woran forschen Sie an diesem Institut genau?
Wir haben zwei Schwerpunkte: Wir erforschen ­mikrobielle Kontaminationen entlang der Lebensmittelkette sowie Aktivitätsprofile von Darmmikroben bei Tieren. Dabei werden positive und negative Einflussfaktoren auf das Mikrobiom definiert sowie mögliche Auswirkungen auf den Wirt beschrieben. Außerdem wird das Darmmikrobiom im Zusammenhang mit systemischen Erkrankungen untersucht. Damit soll die Dynamik von einem physiologischen zu einem pathologischen Mikrobiom verstanden und erklärt werden. Zuletzt haben wir in einem Kooperationsprojekt mit Dr. Gabrielle Stalder vom Forschungs­institut für Wildtierkunde und Ökologie die Mikrobiota von drei Hasenpopulationen untersucht, die an unterschiedlichen Orten leben.

Was waren die Ergebnisse der Studie am Darmmikrobiom des Feldhasen?
Dabei haben wir entdeckt, dass bei dieser Tierart die geografische Lage und damit verbundene Umweltfaktoren einen größeren Einfluss auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms haben als die Wirtsfaktoren, zu denen Alter, Geschlecht, Körperzustand und Genetik zählen. Die Populationszugehörigkeit hatte auch einen Einfluss auf die Anzahl potenzieller pathogener Bakterien der Familie Enterobacteriaceae, welche mit Darmdysbiose bei Hasen in Verbindung gebracht werden. Das ist von großer Bedeutung, weil sich aus den Ergebnissen neue Hypothesen für Populationsschwankungen ableiten lassen. Bisher ­wurde nur am Darmmikrobiom von Haus- und ­Nutztieren ­geforscht – dies ist die erste Studie an Feldhasen.

Kann man von den Forschungsergebnissen des Darmmikrobioms beim Feldhasen auf andere
Wildtiere schließen?

Die Mikrobiomforschung bei Wildtieren steht noch sehr am Anfang. Generell scheinen aber die Wirtsökologie und Umweltfaktoren einen starken Einfluss auf das Mikrobiom zu haben. Habitatsfragmentierungen, also Zerschneidungen des natürlichen Lebensraums, können das Mikrobiom durch eine veränderte Verfügbarkeit und Qualität von Nahrung beeinflussen. Dies dürfte aber stark mit der speziesabhängigen Empfindlichkeit gegenüber diesen veränderten Umweltfaktoren zu tun haben.

Sie haben vorher von einem physiologischen und einem pathologischen Mikrobiom gesprochen. Was versteht man darunter?
Unter physiologischen Bedingungen tummeln sich in jedem Darm mehr Mikroorganismen, als es Menschen auf der Erde gibt. Die bakterielle Vielfalt ist gigantisch, wir finden bis zu tausend Arten pro Darmabschnitt. Jeder Abschnitt hat eine andere Physiologie; die Schleimhautoberfläche, der pH-Wert und die Temperatur können zum Beispiel variieren. In jedem Darmabschnitt gibt es eine kleine Anzahl an Mikroben, die die Bedingungen wirklich optimal nutzen und sich dadurch längerfristig etablieren können. Sie sind an der Fermentation verdauter Nahrung beteiligt, produzieren Vitamine und interagieren mit dem Immunsystem. Ist das System in Homöostase, sprechen wir von einem gesunden Mikrobiom.

Ein pathologisches Mikrobiom kann entstehen, wenn die Darmschleimhaut irritiert ist und freie ­Bindungsstellen von pathogenen Keimen besetzt werden, wenn das ­Immunsystem geschwächt oder die ­Darmflora gestört ist. Eine Störung der Darmflora betrifft immer das gesamte Mikrobiom, da sich die Keime auch unterein­ander kompetitiv stark beeinflussen.

Zwischen physiologischem und pathologischem Mikrobiom gibt es eine Unzahl an Abstufungen, die die unterschiedlichsten Auswirkungen auf den Wirt haben. Diese reichen von Symptomlosigkeit über Veränderungen in der Futterverwertung bis zu Durchfällen oder systemischen Erkrankungen und können sogar zum Tod führen, wenn es zur Invasion von inneren Organen durch pathogene Keime kommt.

Sie erwähnten einen zweiten Forschungsschwerpunkt an Mikrobiomen in der Lebensmittelkette. Was genau wird hier erforscht?
Unser zweiter Forschungsschwerpunkt sind Mikroben in der tierischen Lebensmittelproduktion. Wir arbeiten mit dem österreichischen Kompetenzzentrum für Futtermittel- und Lebensmittelsicherheit zusammen. Im Rahmen dieser Kooperation erforschen wir Übertragungswege von -mikrobiellen Populationen entlang der Schlachtkette beim Schwein, unter anderem von Kontaminanten, die vom Gedärm kommen. Wir untersuchen auch, welche Bakterien vom Personal eingeschleppt werden, welche auf den Geräten und Maschinen sind und wie sie in der Schlachtumgebung übertragen werden. Die Forschungsergebnisse führten hier schon zu einer erfolgreichen Implementierung von spezifischen Systemen beim Schlachten. Wir -erstellen einrichtungsspezifische Transmissionskarten, welche die Wege von Bakterien während der Schlachtung visualisieren. In einem Betrieb haben wir zum Beispiel Moraxella häufig am Fleisch nachgewiesen und herausgefunden, dass die Kontaminationsquellen die Handschuhe des Personals und ein Geländer im Schlachthof waren. Mit diesem -Wissen kann man im Betrieb entsprechende hygienische Maßnahmen ergreifen.

Wie sieht eigentlich der Ablauf im Labor aus, wenn Mikrobiomforschung gemacht wird?
Wir beginnen mit einer Extraktion der Nukleinsäuren. Dann werden, vereinfacht dargestellt, an beide Enden der Nukleinsäuren DNA-Sequenzen gehängt. Danach werden diese Sequenzen auf eine Trägerplatte aufgebracht und in situ vervielfältigt. Anschließend wird in einem PCR-Verfahren mit vier fluoreszierenden Kettenabbruchsubstraten jede einzelne Base bestimmt. Moderne Sequenzierungsverfahren arbeiten im hochparallelen Einsatz. Hochdurchsatzsequenzierungen machen wir in Kooperation mit den Vienna Biocenter Core Facilities. So kann innerhalb einer Woche eine Mikrobiomanalyse erstellt werden, inklusive Probenaufarbeitung, Sequenzierung, Bioinformatik und Interpretation der Ergebnisse.

Ich nehme an, dadurch eröffnen sich in der Diagnostik neue Möglichkeiten?
Genau. In der Humanmedizin fertigt man Stuhlprofil-analysen an und kann damit gezielt einen Darmaufbau nach Antibiotikagabe machen. Das kommt demnächst auch in der Tiermedizin, vereinzelt gibt es das Angebot bereits jetzt schon. Das ist die Zukunft der Darmmedizin: Anstatt unspezifisch Probiotika zu verordnen, sollte man sich auf individuelle Gaben konzentrieren. Abhängig von der ursprünglichen Zusammensetzung des Darmmikro-bioms können nämlich auch Probiotika eine unterschiedliche Wirkung haben. Je nach Enterotyp gibt es auch durchaus Fälle, wo es Sinn macht, den Darmaufbau sich selbst zu überlassen – nach dem Motto „watch and wait“. Dazu braucht man aber eine qualitative und -quantitative Stuhlprofilanalyse, um die Key-Player zu kennen. Das Darm-mikrobiom ist eine höchst individuelle Angelegenheit, auch bei den Tieren. Wir haben hier ebenfalls unterschiedliche mikrobielle Zusammensetzungen, sogar innerhalb einer Tierart oder einer Fütterungsgruppe.

Gab es in letzter Zeit weitere interessante Forschungsergebnisse hinsichtlich der Darmgesundheit?
Mikroorganismen werden permanent über Immunzellen aus dem Darm in das Lymphgewebe transportiert, wodurch das Immunsystem der Säugetiere herausgefordert und trainiert wird. Wir haben gerade eine Studie beim Schwein abgeschlossen, wo wir herausgefunden haben, dass die Gabe von Arzneifuttermitteln, in diesem Fall Colistinsulfat und Linco-Spectin, zwar die Darmmikroben verändert hat, das Mikrobiom im regionalen Lymph-knoten des Darms blieb allerdings weitgehend unbeeinflusst. Pathogene Bakterien, zum Beispiel enteropathogene Escherichia coli, könnten einer Antibiotika-behandlung durch Translokation in Lymphknoten entgehen. Insgesamt haben wir in den Lymphknoten über hundert metabolisch aktive bakterielle Gattungen mit unterschiedlichen Aktivitätsprofilen entdeckt. Hier tut sich gerade ein völlig neues Forschungsgebiet auf, da das Mikrobiom von darm-assoziierten Geweben von entscheidender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der metabolischen Homöostase und der Tiergesundheit ist.