Begehrte

Raritäten

Mag. Eva Kaiserseder

Pustertaler Sprinzen, Blobe Ziege oder Zackelschaf – noch nie gehört? Sie alle zählen zu den heimischen Nutztierrassen, deren Bestände schon im Verschwinden begriffen waren und die seit einiger Zeit eine Renaissance erleben. Vor allem beim Rind tut sich einiges. 

Im malerischen Tennengau ist er gelegen, der Arche-Hof von Thomas Strubreiter, den er gemeinsam mit seiner Frau bewirtschaftet. Sobald der Sommer ins Land zieht, ist er außerdem auf seiner Arche-Alm auf 1.300 Meter Seehöhe zu finden. Strubreiter ist Obmann des Vereins Arche ­Austria, und dieser Verein hat ein erklärtes Ziel: seltene Nutztierrassen vor dem Aussterben zu bewahren – egal, ob Rind, Schaf oder Geflügel. Bei einem seiner wenigen Ausflüge ins Tal spreche ich mit einem sympathisch ungezwungenen Bauern, der mir von seiner Passion erzählt: „Seit 15 Jahren führe ich meinen Betrieb im Vollerwerb, im ersten Jahr habe ich gleich auf Arche-Hof umgestellt. Arche-Hof bedeutet, hier werden alte Nutztierrassen gezüchtet und einem interessierten Publikum nähergebracht. Wir haben den Vorteil, dass Tiere jeden ansprechen, egal, ob jung oder alt, und so können wir sehr schön zeigen, dass jede Rasse ihre besonderen Merkmale und Eigenschaften hat, die nicht verloren gehen sollen. Und außerdem kommt uns die Mentalität der Österreicher zugute, denn was der Österreicher kennt, das mag er meistens nicht mehr hergeben“, lacht er. Seit 1986 gibt es den Verein. Den Menschen das Thema gut aufbereitet vorzustellen war von Anfang an eine Herzensangelegenheit, erzählt Strub­reiter. „Unser Aushängeschild sind die Arche-Höfe, da können wir den Leuten das Wissen über die alten Rassen sehr gut vermitteln. Die wissenschaftliche Seite, warum man einen bestimmten Genpool nicht aussterben lassen soll, das übersteigt oft das Interesse der Leute. Aber tief drinnen gibt es diesen Instinkt, der uns sagt, dass es einfach nicht richtig ist, wenn diese Vielfalt unwiederbringlich verloren geht und weltweit nur mehr drei Rinderrassen das Zuchtgeschehen beherrschen.“ Er weiß, wovon er spricht, schließlich tummeln sich auf seinem Hof unter anderem Pustertaler Sprinzen und schwarze Pinzgauer Rinder – eine Varietät des kastanienbraunen Original Pinzgauers –,
Mangalizaschweine, Blobe Ziegen oder auch selten gewordenes Federvieh wie das Appenzeller Spitzhaubenhuhn. Die gackernden Schweizer sind übrigens die einzige nicht autochthone Rasse auf dem Hof.  

Rassenvielfalt statt Monotonie

Szenenwechsel vom ländlichen Salzburg nach Wels, in die zweitgrößte Stadt Oberösterreichs. Dort hat die ÖNGENE, sozusagen das staatliche Gegenstück zur Arche Austria, ihren Sitz. „Uns gibt es seit 1982, gegründet wurden wir als wissenschaftliche Plattform für die Erhaltung gefährdeter Nutztierrassen, nachdem man entdeckt hat, dass es hier eine rückläufige Entwicklung gibt“, erzählt ÖNGENE-Geschäftsführerin Beate Berger, selbst Tierärztin. „Unsere ersten Ziele waren eine Bestandsaufnahme der traditionellen heimischen Rinderrassen und die Entwicklung eines Generhaltungsprogramms. Dazu wurden Zuchttiere von öffentlicher Hand gekauft und sogenannte Nukleusherden, also eine genetische Rücklage, gebildet. Über die Anlage von Samen- und Embryonendepots wurden dann erste Vorarbeiten zur heutigen Nutztiergenbank geleistet, damit gelang eine weitgehende Stabilisierung der Bestände hoch gefährdeter Rassen.“ 

Schritt für Schritt wurde so ein tragfähiges Generhaltungsprogramm erarbeitet und ab 1995 auch auf Schafe, Ziegen und Pferde erweitert, mittlerweile sind im ÖNGENE-­Programm auch Geflügel, Fische und Bienen vertreten. „Unsere Aufgaben sind in den 35 Jahren des Bestehens gleich geblieben, allerdings ist mit dem wissenschaftlichen Fortschritt der Werkzeugkasten um einiges größer geworden und damit die Möglichkeiten um ein Vielfaches komplexer – zum Wohle unserer seltenen ­Rassen“, resümiert Berger. Die Pinzgauer etwa: Sie stehen laut ÖNGENE auf der Liste der gefährdeten Rassen. Zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie war diese robuste Zweinutzungsrasse noch das österreichweit verbreitetste Rind. Selbst 1947 stellten die Pinzgauer noch 16,7 Prozent des Rassebestandes. Heute sind sie mit 1,9 Prozent des heimischen Gesamtrassenbestandes (ZAR 2016) eine echte Rarität. Aber der Bestand hat sich stabilisiert: 37.790 Tiere werden aktuell gehalten, dazu werden allerdings auch mit Rotfriesen gekreuzte Tiere gezählt. Subtrahiert man diese, kommt man auf 5.209 weibliche und 196 männliche original Pinzgauer. Ein Erfolg, der der guten Zusammenarbeit sämtlicher Partner, seien es ÖNGENE, Arche Austria, diverse Rinderzuchtverbände oder ÖPUL (Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft), geschuldet ist, weiß Berger: „Überhaupt bekommen wir im Ausland sehr viel Anerkennung für unser Tun rund um die Erhaltung der alten Rassen. Man kann sagen, die Rassen, um die wir uns kümmern – da gibt es durchgehend einen Aufwärtstrend.“

Welches Tier sie als klassische Erfolgsgeschichte im ÖNGENE- Portfolio sieht? „Ich glaube, auf die Entwicklung beim Murbodner Rind können wir zu Recht sehr stolz sein. Die Rasse wurde früher konsequent auf die Hauptnutzung als Zugleistung gezüchtet, die Ochsenproduktion stand damit im Mittelpunkt. Durch die Technisierung war dieser Nutzungszweck der Tiere irgendwann aber obsolet, was zu einer extremen Dezimierung der Rasse und der Verdrängung durch Fleckvieh führte. Die Bestände waren nur mehr knapp über der Wahrnehmungsgrenze, und der Versuch, durch Einkreuzung von Frankenvieh eine bessere Milchleistung zu erzielen, scheiterte. 1970 wurde das Herde­buch schließlich aufgelöst. ÖNGENE hat dann 1984 in Piber eine Nukleusherde gegründet, mit 65 Mutterkühen, und ab da ging es wieder bergauf.“ Ein Mitgrund dafür ist sicherlich die besondere Fleischqualität der Rasse, feinfaserig und zart. Die wachsende Ochsen- und Markenfleischproduktion hat schließlich eine starke Nachfrage erzeugt und „seit 2007 haben wir gemeinsam mit TANN (Spar, Anm. d. Red.) in der Steiermark das Vermarktungsprojekt ‚Murbodner Qualitätsochse‘, wo wir mit 1.000 Ochsen pro Jahr eine ordentliche Menge an Fleisch produzieren“, so Berger. Die aktuellen Zahlen lassen sich jedenfalls sehen: 2016 verzeichnete das Herdebuch stolze 6.307 Murbodner. Der Trend: weiter steigend. 

Auf der Suche nach der Goldenen Mitte

Dass die sogenannten „Generhaltungsrassen“ auch wirtschaftlich an Relevanz zulegen, zeigt die Zuchtwertschätzung der ZAR (Zentrale Arbeitsgemeinschaft österreichischer Rinderzüchter). Seit Sommer 2017 sind auch gefährdete Rassen wie Tuxer Rind, Ennstaler Bergschecken oder die erwähnten Murbodner bei der Zuchtwertschätzung dabei. 

Dabei geht es um Parameter wie Nettogewichtszunahme, Fruchtbarkeit oder Kalbeverlauf, die innerhalb einer Rasse Vergleichswerte bieten. Ein Pluspunkt der alten Rassen ist der kleinere Rahmen und damit die geringeren Trittschäden durch die Weidetiere. Die stabilen Fundamente mit eisenharten Klauen und ihre Trittsicherheit machen diese Rassen fit für steile Almböden. Eine gesicherte Milchleistung von circa 3.500 Kilo auch bei karger Futtergrundlage, ein ruhiges, gutmütiges Temperament und die gute Fleischqualität prädestinieren zur Mutterkuhhaltung. Die im Vergleich mit intensiven Fleischrassen geringeren Zunahmen werden zumindest teilweise durch den Mehrerlös aus den Qualitätsfleischprogrammen und auch durch die Förderung im Rahmen des ÖPUL-Programms ausgeglichen. Beim Rind scheint sich überhaupt eine Entwicklung in Richtung kleinrahmigere, leichtfuttrigere Tiere anzubahnen. Dementsprechend wurde kürzlich im Schweizer Swissherdbook „eingespartes Futter“ als neuer Zuchtwert eingeführt – die Idee dazu stammt ursprünglich aus Australien. „Im Fokus steht die Futterverwertungseffizienz. Größere Kühe haben einen höheren Erhaltungsbedarf. Sie müssen mehr Milch geben, damit sie gleich effizient sind wie kleinere Kühe“, erklärt Silvia Wegmann vom Genetikkompetenzzentrum Qualitas AG gegenüber dem Agrarportal „Schweizer Bauer“. 

Aber was genau ist unter dem omnipräsenten Schlagwort Effizienz gemeint, was macht eine Kuh quasi zur Leistungs­trägerin? Astrid Köck von der ZuchtData erklärt, „dass das sehr vielfältig definiert werden kann. Allgemein kann Effizienz als das Verhältnis von Input, z. B. Futteraufnahme, zu Output, etwa Milch, beschrieben werden. Für die gesamte Bewertung der Effizienz sind auch Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und Gesundheit der Tiere wichtig. Bei unserer kürzlich präsentierten Studie zum Thema (‚Zucht auf Effizienzmerkmale und deren Zusammenhang mit der Gesundheit‘, Anm. d. Red.) ist herausgekommen, dass insgesamt Kühe mit einer mittleren Effizienz im Vorteil sind.“ Denn eine hohe Effizienz bringe zwar wie erwartet eine höhere Milchleistung, „da der zusätzlich benötigte Energiebedarf nicht vollständig über die erhöhte Futter­aufnahme gedeckt werden kann, müssen effizientere Tiere aber vermehrt Körperreserven mobilisieren, und es kommt zu unerwünschten Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit. Aufgrund des niedrigeren Körpergewichts haben effizientere Tiere jedoch eine etwas bessere Klauengesundheit, vor allem Wanddefekte treten seltener auf“, so Köck. Mit dem Motto „Zurück zur goldenen Mitte“ dürfte man also auch in der Rinderzucht nicht ganz falsch liegen.