Orthesen und Exoprothesen

zur Unterstützung des Bewegungsapparats von Kleintierpatienten

Dr. Ingeborg Hein
Akupunktur, Chiropraktik und Physiotherapie für Pferde und Kleintiere,
Cranio-Sacrale Energiearbeit für Mensch und Tier

Viele Hunde kommen mit fehlenden Gliedmaßen zurecht – dennoch ist die Versorgung mit einer Exoprothese wichtig, da sonst Sekundärprobleme durch Überbelastung der intakten Gliedmaßen entstehen.

In Anlehnung an Therapiekonzepte aus der ­Humanmedizin äußern Patientenbesitzer immer häufiger den Wunsch nach Physiotherapie und Maßnahmen zur Rehabilitation nach Operationen, als Alternative zu Operationen, in der Geria­trie oder auch vorbeugend, wenn bei ­Routineuntersuchungen frühzeitig Probleme im Bewegungsapparat entdeckt wurden. Die Verwendung von Orthesen und gegebenenfalls auch Exoprothesen kann solche Maßnahmen unterstützen und den Therapieerfolg sowie die Lebensqualität verbessern.

Orthesen unterstützen oder schützen einen verletzten Bereich des Körpers. Sie haben die Aufgabe, die Bewegung in einem Gelenk oder einer Gliedmaße oder jene eines Körper­teils zu kontrollieren, zu führen oder zu limitieren oder ein Gelenk zu stützen, zu schützen und zu immobilisieren. Die Eigenschaft der verwendeten Materialien bestimmt den Grad an Stütze, der durch die Orthese erreicht werden kann. Atmungsaktive Modelle aus Neopren mit ­Klettverschlüssen bieten ­geringere Stützfunktion als solche, die Kunststoffschalen integriert haben. Erstere gibt es vor allem für ­Carpus und Tarsus in verschiedenen Größen im Handel; diese sind für eine Vielzahl unterschiedlicher Rassen passend und können vom Besitzer leicht angelegt werden – Letztere müssen individuell, meist nach einem Gipsabdruck oder einem 3-D-Modell aus dem Drucker, für den jeweiligen Patienten gefertigt und angepasst werden und auch gut unterfüttert sein, um Druckstellen zu vermeiden. Speziell im Bereich der distalen Gliedmaßen ist wenig Unterhautbindegewebe vorhanden und die Gefahr des Auftretens von Druckstellen sehr groß.

Anwendungsbereiche Orthesen/exoprothesen

Häufige Indikationen sind Frakturen, Band- und Sehnenverletzungen an Carpus und Tarsus, entweder konservativ oder zur Ruhigstellung postoperativ. Bei geringgradiger Hyperextension oder Achsenfehlstellung kann das Kardangelenk durch eine Orthese unterstützt werden, bei stärkeren Abweichungen ist eine chirurgische Intervention vorzuziehen. Falls eine weitgehende Ruhigstellung erforderlich ist, muss die Orthese auch die Pfote palmar unterstützen.

Auch Hyperextensionsfehlstellungen im Tarsalgelenk können mit einer Orthese versorgt werden, wobei hier wiederum speziell im Bereich der Achillessehne und am Calcaneus auf die Vermeidung von Druckstellen zu achten ist. Diese Orthesen sind nicht kurativ und verbessern die Fehlstellung per se zwar nicht, aber deren Anwendung ermöglicht dem Hund eine physiologischere Bewegung und reduziert den Stress durch die Hyperextension im Tarsus.

Beim Einsatz einer Orthese für einen konservativen Therapieversuch einer partiellen Ruptur des Kreuzbandes ist die Prognose eher vorsichtig zu stellen. In vielen Fällen ist eine chirurgische Intervention indiziert. Da die Knieregion individuell sehr verschieden geformt ist, werden dafür Maßanfertigungen gemacht. Ein postoperativer Einsatz kommt ebenso infrage, um die Belastung des Gelenks während der Heilung etwas zu reduzieren.

Im Fall einer temporären Ruhigstellung eines oder mehrerer Gelenke ist auf das Einnehmen von Ausgleichshaltungen und -bewegungen Rücksicht zu nehmen. Regelmäßige Muskellockerung, um übermäßigen Verspannungen vorzubeugen, und gegebenenfalls eine leichte -Stützbandage für die gegenüberliegende Gliedmaße, vor allem, wenn die Vorderextremität betroffen ist, können hier hilfreich sein. Überlastungserscheinungen betreffen bei den Vorderextremitäten vor allem die Weichteilverbindung (Synsarkose) des Schulterblattes mit dem Rumpf und das Schultergelenk selbst mit vermehrter Mobilität und Rotation sowie eine Winkelung und Torsion im Radius.

Orthesen werden auch bei Nervenverletzungen, z. B. des Nervus radialis oder des Nervus peroneus, eingesetzt. In diesen Fällen sollen sie eine physiologischere Bewegung der betroffenen Gliedmaße ermöglichen. Dadurch wird die kompensatorische Schonhaltung verringert und somit die Gefahr von Sekundärschäden im Bewegungsapparat reduziert. Ob und welche Form von Orthese zum Einsatz kommt, hängt außer von der medizinischen Indikation auch von der Compliance des Besitzers und des Tiers ab. Für Wartung und Pflege sind regelmäßige Kontrollen auf Druckstellen sowie Reinigung durchzuführen, zudem ist der Zustand des Polstermaterials zu prüfen, um gegebenenfalls einen rechtzeitigen Austausch durchführen zu können.

Sofern keine sofortige Ruhigstellung eines Gelenks indiziert ist, sollten die Hunde in kurzen Trainingseinheiten an das Tragen der Orthese gewöhnt werden. Je nach verwendetem Material und Indikation können diese auch für Trainingseinheiten auf einem Unterwasserlaufband zum Muskelaufbau und zur Gangschulung eingesetzt werden.

Fehlende Gliedmaßenteile können durch Exoprothesen ersetzt werden. Viele – vor allem kleinere – Hunde kommen zwar sehr gut mit einer fehlenden Gliedmaße zurecht, die Versorgung mit einer Exoprothese entlastet jedoch den Bewegungsapparat und verringert die Sekundärprobleme, die durch Überbelastung der intakten Gliedmaßen und Spannungszustände in der Rückenmuskulatur und der Wirbelsäule entstehen.

Bei der Fertigung und Anpassung einer Exoprothese ist auf gute Stabilität im Stand und in der Belastung zu achten. Je länger der verbleibende Teil der Gliedmaße ist, umso leichter ist es, ausreichende Stabilität zu erzielen. Dieser Aspekt sollte, wenn möglich, bei der Amputation in Erwägung gezogen werden. Die angepasste Prothese muss bei gutem Sitz Zug- und Druckkräften, Einwärts- und Auswärts-rotation sowie Achsenverschiebungen nach medial/lateral und cranial/kaudal standhalten. Bei guter Passform sitzt die Prothese ohne Spalt am Stumpf; die Haut darunter sollte sich nicht bewegen, wenn die Prothese manipuliert wird. Die Integration der Prothese in den Alltag des Patienten sollte schrittweise erfolgen – der Bewegungsapparat braucht etwas Zeit, um sich an die neue Situation anzupassen.

Das Training mit der Prothese sollte anfangs kurz gehalten und positiv verstärkt werden. Die Tiere müssen lernen, die Gliedmaße sowohl im Stehen als auch in der Bewegung zu belasten. Missempfindungen oder Schmerzen im Amputationsbereich können den Einsatz von Prothesen behindern und sollten behoben werden. Da sich der Stumpf im Lauf der Zeit verändern kann, muss der korrekte Sitz der Prothese laufend kontrolliert werden, ebenso ist auf die Entwicklung von Druckstellen zu achten.

Quelle
Marcellin-Little D. J. et al., Orthoses and Exoprostheses for Companion Animals. Vet Clin Small Anim 45 (2015) 167–183.