Physikalische Medizin und Rehabilitation

beim geriatrischen Patienten

Bettina Kristof

Ältere Tiere brauchen eine individuelle Therapie. Tierärzte sollten ein Gesamtpackage anbieten, denn schließlich geht es darum, die Lebensqualität des Tiers zu verbessern.

In der Human- und Sportmedizin hat die physikalische Medizin schon seit längerer Zeit einen wichtigen Stellenwert. Diese wertvollen Methoden zur Rehabilitation und Gesunderhaltung haben nun auch die Veterinärmedizin erreicht. Wir sprachen darüber mit Priv.-Dozin. Dr. med.vet. Dipl. ECVSMR, ACVSMR Barbara Bockstahler, die die Ambulanz für Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Klinischen Abteilung für Kleintierchirurgie der Vetmeduni Vienna leitet.

Welche Probleme sind die häufigsten beim geriatrischen Tier, die mit physikalischer Medizin behandelt werden?
Generell kann man sagen, dass Arthrosen, Übergewicht und Rückenprobleme zu den häufigsten Erkrankungen bei älteren Tieren gehören und oft auch gemeinsam auftreten, aber auch zahlreiche internistische Probleme können auftreten – dies muss immer bedacht werden, wenn ein alter Hund vorgestellt wird.

Ab welchem Alter treten diese Probleme auf?
Das kommt ganz auf die Rasse an: Kleine Hunde altern später als große. Bei großen Rassen häufen sich geriatrische Probleme schon ab sechs Jahren, bei kleineren später, das kann man schwer verallgemeinern.

Mit welchen Methoden werden geriatrische Erkrankungen behandelt?
Da haben wir unterschiedliche Programme, um in ­erster Linie die Muskulatur und die Gelenksbeweglichkeit zu trainieren. Das Unterwasserlaufband leistet hier ­wertvolle Dienste. Zusätzlich machen wir mit den Tieren verschiedene therapeutische Übungen wie zum Beispiel isometrische Übungen, Gehen über Cavaletti oder auf verschiedenen Untergründen et cetera. Die Auswahl der Therapiemöglich­keiten hängt natürlich von den spezifischen Problemen des Hundes ab und ist immer individuell.
 
Was muss man bei der Auswahl der Therapie­möglichkeiten berücksichtigen?
Das Wichtigste ist einmal die Diagnose und die Berücksichtigung des Gesamtzustandes des Hundes: Wie sieht es internistisch aus, welche anderen Erkrankungen als jene am Bewegungsapparat hat der Hund? Denn geriatrische Patienten haben fast immer multiple Erkrankungen. Bei Tieren mit Herzproblemen kann man kein oder nur sehr vorsichtig ein Unterwasserlaufband einsetzen. Bei Erkrankungen der Leber oder der Niere muss man die Medikamentengabe besonders berücksichtigen. Wenn ein Tier neurologische Probleme hat, kann man wiederum bestimmte Übungen nicht mit ihm machen. Wie steht es um die Kondition und die Stabilität des Tiers? Wenn das einmal geklärt ist, kann man sich auf die Kombi­nation der unterschiedlichen Methoden konzentrieren, die auf jeden Fall so gewählt werden müssen, dass man das Tier nicht gefährdet.

Viele ältere Tiere haben Schmerzen. Arbeiten Sie auch mit Schmerzmitteln?
Das hängt ganz von der Diagnose ab. Wenn die Tiere Schmerzen haben und es die internistische Situation zulässt, bekommen sie natürlich Schmerzmedikamente. Zusätzlich zur medikamentösen Therapie setzen wir dann verschiedene physikalische Methoden ein, die diese ergänzen. So kommen beispielsweise Laser und Elektrotherapie zur Verwendung.

Was können Tierhalter begleitend zu Hause tun?
Da gibt es einiges – wir geben den Tierhaltern gerne zusätzliche Hausaufgaben, um den Therapieerfolg zu verbessern. Je nach Erkrankung bekommt der Tierbesitzer Bewegungsempfehlungen für sein Tier, aber auch praktische Tipps im Umgang mit dem Hund. Dazu gehören beispielsweise eine Tragegurtunter­stützung, damit der Hund die Treppe hochkommt, eine Rampe, damit er ins Auto einsteigen kann, oder eine ­Stufe, damit er aufs Sofa kann. Geriatrische Probleme beim ­älteren Tier sind ein komplexes Thema, und wir verstehen uns als wichtige Anlaufstelle für den Tierhalter, die alles berücksichtigt.

Welche Rolle spielt das Bewegungsanalyselabor bei geriatrischen Tieren?
Das ist eine wichtige Möglichkeit, die wir zu Beginn für die Diagnose verwenden und danach für die Verlaufskontrolle. So können wir überprüfen, ob die gewählten Methoden eine Verbesserung bringen oder ob wir etwas verändern müssen.

Welche Behandlungserfolge gibt es?
Bei den Methoden der physikalischen Medizin geht es generell darum, die Lebensqualität so zu verbessern, dass das Tier ein angenehmes Leben hat. Eine Arthrose ist nicht heilbar, hier ist das Ziel, dass das Tier schmerzfrei ist. So gesehen können wir auf schöne ­Behandlungserfolge verweisen. Geriatrische Patienten sind sehr dankbar. Wenn sie weniger Schmerzen haben, fördert das ihre Beweglichkeit und verbessert damit den Gesamtzustand.

Unsere Haustiere werden immer älter. Gewinnt die physikalische Medizin dadurch an Bedeutung?
Das kann man so sagen. Die Tiere werden immer älter, weil sie besser gehalten werden und weil es umfangreichere diagnostische und therapeutische Möglichkeiten zur Gesunderhaltung gibt. Unsere Haustiere bekommen im Vergleich zu früher auch ein hochwertigeres Futter. Der Stellenwert des Tiers hat sich auch verändert: Haustiere sind zumeist vollwertige Familienmitglieder und erfahren heutzutage durch ihre Halter eine sehr gute Betreuung und Pflege. Den Tierhaltern ist klarer, dass sie Verantwortung für ihr Tier tragen. Im Vergleich zu früheren Zeiten sind sie eher bereit, Zeit und Geld in die Gesundheit ihres Tiers zu investieren.

Haben Sie eine Empfehlung für Kleintierpraktiker, worauf sie bei geriatrischen Patienten besonders achten sollten?
Wichtig ist, das gesamte Erscheinungsbild des Patienten zu berücksichtigen und individuell zu therapieren. Es reicht üblicherweise nicht, nur ein Schmerzmittel mitzugeben. Bei der Therapie von Rückenschmerzen und Arthrosen geht es auch um die Kräftigung der Muskulatur und um die Gelenksbeweglichkeit. Tierärzte sollten ein Gesamtpackage anbieten. Die physikalische Medizin ist das Tool, das hier hilft. Wenn der Tierarzt selbst keine Physiotherapie anbietet, dann sollte er im Interesse des Tiers an einen Tierarzt überweisen, der sich auf physikalische Medizin spezialisiert hat. Und natürlich kann der Tierarzt sich auch selbst weiterbilden. Die Möglichkeiten der physikalischen Medizin gewinnen immer mehr an Bedeutung, eben weil die Tiere immer älter ­werden. Es lohnt sich, sich damit zu beschäftigen!

Es wäre also durchaus sinnvoll, hier eine ergänzende Ausbildung zu machen?
Auf jeden Fall! An der Vetmeduni Vienna wird ein Universitätslehrgang zum Certified Canine Rehabilitation Practitioner (CCRP, Anm.) angeboten. Der nächste Lehrgang beginnt im März 2021, die Anmeldung dafür wird im ­Oktober 2020 geöffnet (Ende: Januar 2021, Anm.). Der Universitätslehrgang ist ein Kooperationsprojekt der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der University of Tennessee; der Studienplan des Universitätslehrgangs folgt dem Ausbildungsprogramm des Canine Rehabilitation Certificate Program der University of Tennessee. Er ist demnach als internationale Ausbildung zu ­verstehen, die mit der offiziellen Bezeichnung Certified Canine Rehabilitation Practitioner der University of Tennessee abschließt. Des Weiteren wird an TeilnehmerInnen, ­welche das vollständige Curriculum erfolgreich durchlaufen haben, gemäß § 58 (2) UG 02 die Bezeichnung Akademische/r ExpertIn für veterinärmedizinische Physikalische Medizin und Rehabilitation für Hunde vergeben, was durch die Ausstellung einer Urkunde bestätigt wird. Zu den zentralen Aufgabenbereichen der AbsolventInnen zählt die Entwicklung standardisierter Programme zur Rehabilitation von Hunden, sodass ihnen eine Schlüsselrolle im Hinblick auf die Qualitätssicherung im Bereich der physikalischen Medizin zukommt. Sie werden durch optimales Schmerzmanagement im Rahmen der physikalischen Medizin und durch tieroptimiertes Training einen wichtigen Beitrag zum Tierschutz leisten.

Sie selbst haben ja auch ein Buch zu dem Thema geschrieben …
Ja, es heißt „Physikalische Medizin, Rehabilitation und Sportmedizin auf den Punkt gebracht“. Darin geht es um erfolgreiche Behandlungsstrategien in der physikalischen Medizin, Rehabilitation und Sportmedizin. Das Buch enthält auch ausführliche Behandlungspläne zu allen orthopädischen und neurologischen Indikationen sowie Videos zu den Techniken, die online via QR-Code abgerufen werden können.