Helga Widder:

„Menschen in Krisen profitieren ganz stark!“

Mag. Eva Kaiserseder

Sie sind mittlerweile vor Jahrzehnten auf das Thema Tiere als Therapie gestoßen. Wie kam es dazu?
Das war wahrlich Zufall, ich habe damals im „Kurier“ eine kleine Anzeige gesehen, dass Leute gesucht werden für Besuche in Pflegeheimen mit dem eigenen Hund. Die Vorgeschichte ist, dass Gerda Wittmann, eine Biologin, die diese Anzeige aufgegeben hat, nach dem Krieg 15 Jahre in Australien gelebt hatte. Sie hatte dort etwas gesehen, das „Pets as therapy“ hieß und in etwas anderer Form unserem „Tiere als Therapie“ sehr ähnlich war. Sie kam dann wieder zurück nach Österreich, arbeitete im Naturhistorischen Museum und wollte nach ihrer Pensionierung das unbedingt auch hier umsetzen. Sie stellte dann 1987 einen Arbeitskreis und 1989 den Verein „Tiere als Therapie“ auf die Beine. Zu einer Zeit, wo man nicht einmal seine Kinder im Spital besuchen durfte, war das eine wirkliche Pionierleistung, stellen Sie sich das einmal vor, und dann kommt jemand, der will Tiere in den Krankenhausbereich bringen! Sie hat das aber dann in ihrer ruhigen und gleichzeitig hartnäckigen Art geschafft, nachdem sie viele, viele Institutionen und Heime kontaktiert hatte. In Lainz hat sie dann die Erlaubnis bekommen, Lainz hatte ja damals kein gutes Image und man wollte den Patienten damit einfach etwas Gutes tun. Jedenfalls haben wir dann dort ab 1989 gearbeitet, es war unsere erste Genehmigung, und ich war da auch schon mit an Bord. Die Hunde mussten aber noch einen Maulkorb tragen – was wirklich katastrophal war, denn viele Geriatriepatienten haben Pergamenthaut und sind da ganz empfindlich, da kann ich mit einem Maulkorb mehr als mit jeder Hundeschnauze anrichten. Wir waren damals eine kleine Truppe, ich war die Zweite, die sich gemeldet hat, und hatte meine Pulihündin Zsusza, die eine wirklich fast schon übernatürliche Menschenliebe hatte, mit. Bei ihr habe ich mir gedacht, das passt gut, da kann sie das ausleben. Lustigerweise hat Gerda Wittmann selbst nie einen Hund besessen, sondern immer Katzen. 

Wie kann man sich die Anfangstage vorstellen? Hat es ein Konzept gegeben oder war es „work in progress“?
Es war ein Mittelding. Natürlich waren schon Leute dabei, die sich ausgekannt haben, die wussten, was sie tun, und die vor allem sehr nette Hunde gehabt haben. Wir haben also Schritt für Schritt überlegt: Was müssen diese Hunde können oder wie müssen sie von der Persönlichkeit gestrickt sein, damit man damit arbeiten kann? Dann haben wir unsere internen Vorgaben gehabt und konkretisiert hat sich das alles dann recht rasch im Laufe der Zeit.  Anfangs waren die Bereiche Feinmotorik und Kommunikation die Schwerpunkte, also ein Halsband umlegen lassen, füttern usw. Spazieren gehen war natürlich auch ein Thema, Freude bereiten.

Wie hat sich das Ganze nach Lainz dann erweitert, was waren dann die Themen?
Danach haben sich in den nächsten zwei Jahren doch recht viele gemeldet, gerade im geriatrischen Bereich. Auch die Caritas Socialis hatte Interesse – und unser Team wurde schon fast zu klein. Zu dem Zeitpunkt wurde dann natürlich das Konzept schon viel konkreter, es war klar, dass es richtige Prüfungen geben muss, dass die Hunde gechipt werden sollen – und das lang vor der -allgemeinen Chippflicht – und dass es eine gute, umfassende Ausbildung braucht, damit wir die Tiere nicht nur bei der Prüfung sehen. Es ist ja nicht gesagt, dass ein Tier trotz Kontrollierbarkeit und Menschenfreundlichkeit gut als Therapiehund passt. Meine letzten beiden Hunde waren selber z. B. auf Wachkomastationen, wo ich gemerkt habe, der eine will das gar nicht mehr, weil da ein völlig anderes Geruchsspektrum ist! Oder in einem Altersheim, wo ununterbrochen Lärm herrscht. Da muss man immer wieder schauen, ob das für den Hund noch passt. Es ist grundsätzlich wichtig, den Hund umfassend und gut vorzubereiten und eben auch immer wieder abzuklopfen, ob und wo sich Veränderungen auftun, ob er bestimmte Situationen vielleicht so nicht mehr will und überhaupt noch bewältigen kann. Auch wenn es ein toller Hund ist, kann er nicht immer alles können.

Ab wann kann ich eigentlich anfangen, mit einem Hund in diese Richtung zu arbeiten?
Wir haben Vorbereitungskurse, ganz spielerisch, schon ab der neunten Woche, weil die Nachfrage so groß war – die wichtige Sozialisationsphase geht ja bis zur zwölften Woche. Bis dahin lernen die Tiere ganz elementare Dinge und speichern sowohl Negatives als auch Positives für die Zukunft ab.

Wenn ich Interesse habe, einen Therapiehund auszubilden, worauf ist dann zu achten?
Eigentlich, wenn mir das wirklich wichtig ist, muss ich damit schon beim Züchter anfangen, aber das ist ja ohnehin ein Thema, wenn ich mir einen Hund hole. Dass ich schaue: Wie wird der Welpe aufgezogen, ist er im Schuppen oder bei der Familie, hat die Familie Kinder, ist er das gewohnt, hat er viel positiven Menschenkontakt? Wenn hier Mängel sind, können das immer noch brave, liebe Familienhunde werden, aber so ganz nachholen lässt sich das nicht, die werden dann nicht „sagen“: Menschen, super, je mehr, desto besser! Und DAS wäre es eigentlich, was ein Therapie- oder Begleithund mitbringen sollte: übergroße Menschenliebe. Was zum Beispiel ein ganz großer Unterschied zum Blindenführhund ist, der diese Menschenliebe nicht unbedingt braucht – schließlich wird er vom Ausbildner für EINEN Menschen vorbereitet, während unsere Hunde immer wieder mit neuen und unterschiedlichen Menschen konfrontiert werden.  

Wie kann ich mir den Ausbildungsweg mit einem älteren Tier vorstellen?
Neben den Vorbereitungskursen für Welpen haben wir auch welche für Junghunde und erwachsene Tiere. Das heißt, wenn ich mir noch nicht sicher bin, ob das etwas ist für mich und meinen Hund, würde ich Vorbereitungskurse empfehlen, das sind Zehnerblocks. Wenn ich mir aber schon sehr sicher bin, haben wir eine sogenannte Blockausbildung, vier Blöcke mit je zwei Blöcken Theorie und Praxis und einem Einstiegstest. Da erfahre ich, was auf mich zukommt, etwa verschiedene Einsatzmodelle, Erste Hilfe usw. Selbst Leute, die dann nicht -weitermachen, haben hier keine Zeit vertan, sondern bekommen wertvolle Infos fürs Zusammenleben mit dem Hund. Im Rahmen des ersten Blocks wird dann mittels Eignungsprüfung festgestellt, ob das Tier passend ist für die Ausbildung. Diese Eignung ist standardisiert und einheitlich, es geht um vier Bereiche. 

Die da wären?
Kontrollierbarkeit, Menschenkontakt, innerartliches Verhalten und therapiespezifische Situationen, wie wir es nennen. Bei der Kontrollierbarkeit geht es ganz klar um Gehorsam: Sitz, Platz, locker an der Leine gehen usw. Allerdings wollen wir keine Kommandos und Befehle geben, das ist alleine schon von der Symbolik her nicht optimal, wir wollen Signale senden und Anweisungen geben, die aber natürlich befolgt werden sollen. Die Hundeerziehung wurde ja im Ersten Weltkrieg bei Polizei und Militär entwickelt, darum auch dieser raue Ton, den es über Jahrzehnte gegeben hat. Dann der Kontakt mit Menschen: Wie geht er zum Beispiel damit um, wenn er von oben berührt wird – was für einen Hund evolutionär gesehen ja bedrohlich ist: Der Wolfswelpe geht raus und zack, der Raubvogel kommt von oben – das muss er aber lernen, dass das hier nicht gefährlich ist, denn das passiert in der Praxis immer wieder, dass sich Menschen von oben hinunterbeugen. Überhaupt das Sich-angreifen-Lassen, optimalerweise soll er das gerne mögen und es nicht nur erdulden. Weiters das innerartliche Verhalten: Wie geht er mit anderen Hunden um? Es ist wie beim Menschen, man muss nicht alle mögen, aber ein zivilisiertes, respektvolles Miteinander muss möglich sein. Hier muss auch der Mensch gut aufpassen, denn das ist Teamwork: Wenn mein Hund etwa keine großen, schwarzen Rüden mag, dann muss ich eben Obacht geben. Darum wird auch in den ersten zwei Blöcken der Mensch geschult, damit er erkennen kann, was das Tier braucht und wann es ihm zu viel wird. Der vierte Punkt sind dann therapiespezifische Situationen, also Rollstühle, Krücken, Lärm. In diesen vier Bereichen wird der Hund trainiert. Der Zeitrahmen für diese Blöcke ist immer ein Wochenende, nach dem Eignungstest darf er dann zur Praxis. Dann wird bei jedem Block geschaut, ob der Hund zum nächsten Block darf, und der vierte Block ist die Zulassung zur Prüfung. Wir können so ganz gut herausfiltern, ob der Hund auch wirklich geeignet ist. Ohne Zeitdruck dauert das ganze etwa ein Dreivierteljahr. Wenn es extra -Übungseinheiten braucht, entsprechend länger. Trainiert wird an der Vetmed, aber auch vor Ort, etwa in Altersheimen, wo wir spezielle Räume haben, oder im 23. Bezirk, da durften wir in einem Flüchtlingsheim üben, das war extrem nett. All das ist natürlich auch eine Frage der Haftung, allerdings sind die Hunde, die bei uns in Ausbildung sind, automatisch versichert. Bis jetzt hat es aber seit Bestehen noch nie – ich klopfe hier auf Holz – einen Zwischenfall gegeben. 

Gibt es den Diplomlehrgang für tiergestützte Therapie noch?
Ja, er ist wieder gestartet worden, und hier gibt es jetzt erstmals die Möglichkeit, den eigenen Hund mit ausbilden zu lassen. Wir haben ja zwölf Jahre einen Unilehrgang gemacht, die Vetmeduni Wien ist aber aus den meisten Unilehrgängen ausgestiegen. Nur: Es war so eine große Nachfrage und die Leute alle nach Deutschland zu schicken, ist auch nicht in unserem Interesse. Insgesamt haben wir jetzt 40 Leute und 15 davon nehmen auch mit ihrem Hund teil. Und es muss ja nicht auf universitärer Basis passieren, die Leute brauchen und wollen aber schlicht eine fundierte, anerkannte Ausbildung. Wir bieten das. TAT hat das Thema ja in Österreich mehr oder weniger besetzt und ist auch in Mitteleuropa einer der größten Vereine, was übrigens auch ein Verdienst eines unserer früheren Obmänner war, Professor Leibetseder. Das war ein ganz besonderer Mensch, visionär und charismatisch und vor allem menschlich ganz toll. Er hat hier als früherer Universitätsrektor viel Wissenschaft eingebracht und hat den Dachverband ESAAT gegründet.

Was passiert alles im Diplomlehrgang?
Das Ganze ist eine zweijährige berufsbegleitende Ausbildung, das heißt also einmal im Monat ein Wochenende, dazu gehören 160 Praktikumsstunden, die Ausbildung entspricht 60 ECTS, also 1.500 Arbeitsstunden für die Studierenden. Für den Praxisblock gibt es verschiedene Institutionen, die mit uns kooperieren.

Und wenn ich dann damit fertig bin …
… bin ich eine diplomierte Fachkraft für tiergestützte Therapie. Wichtig ist, nicht zu sagen, man sei Therapeutin, weil das ist es ja nicht. Fachkraft passt gut, finde ich. Wobei wir nicht müde werden, zu betonen, dass wir uns da von staatlicher Seite Vorgaben dazu wünschen, es wäre hoch an der Zeit, zu erkennen, dass tiergestütztes Arbeiten viel Wissen, Qualität und Verantwortung erfordert, aber auch unglaublich viel bewirken kann. Es geht auch um den Schutz von Mensch und Tier. 

Welche Projekte laufen denn gerade?
Sehr nette Sachen natürlich, die teilweise auch zeitlich begrenzt sind. Kinderworkshops etwa. Was ich zum Beispiel gut fand, war Unterstützung für wohnungslose Menschen: In manchen Häusern, wo Obdachlose einen Platz finden, darf man ja Tiere mitbringen. Das ist ein wichtiger Faktor, denn sonst würden die Leute eher auf der Straße bleiben, bevor sie ihren Hund nicht mitnehmen dürften. In manchen Häusern mit vielen Hunden machen wir also Trainings für die Bewohner und fürs Personal. Denn wenn da ein Bewohner umfällt, versorgt werden muss und dessen Hund knurrt mich an, was mache ich dann? 

Wie schaut das Thema eigentlich international aus und welches Standing hat Österreich?
Es ist ein großes Thema geworden, denke ich, und Österreich steht gut da in all diesen Dachverbänden. Vor allem ist es auch für die Wissenschaft ein Thema geworden, zum Beispiel lässt sich nachweisen, dass es beim Menschen durch Tierkontakt zu positiven Ver-änderungen kommt, so sinken etwa die Stresshormone und das Oxytocin steigt – bei Menschen in schwierigen Situationen noch viel mehr als bei Menschen, die ohnehin topfit sind. Menschen in Krisen profitieren ganz, ganz stark.