Was fühlt

das Tier?

Beim dritten Animalicum, dem „Tier  & Wir-­Kon­gress“ in Bregenz am Bodensee, geht es emotional zu: Gefühle stehen im Zentrum der von der ÖTK unterstützten Veranstaltung.

Tiere sind emotionale Wesen, das ist inzwischen anerkanntes, wenn auch nicht immer leicht nachzuweisendes Wissen. Tiere empfinden Ängste, wenn sie in Not sind, und Wohlbehagen, wenn es ihnen gut geht. Aber damit ist das Spektrum noch längst nicht erschöpft: Auch Einfühlungsvermögen, Bereitschaft zur Kooperation und uneigennütziges Handeln werden regelmäßig beobachtet. Womöglich können Tiere sogar Spaß haben und auf ihre ganz eigene Art lachen. 

Zum Thema „Gefühle bei Tieren“ wird der Ethologe Raoul Schwing vom Messerli Forschungsinstitut an der Vetmeduni Wien beim 3. Animalicum-Kongress im März 2019 spannende Erkenntnisse präsentieren. Spielen und Spaß zählen zu seinen Forschungsschwerpunkten. Schwing wertete beispielsweise im Rahmen seiner Dissertation für die Universität Auckland, Neuseeland, 3.500 selbst aufgezeichnete Rufe von Keas, den klugen neuseeländischen Papageien, aus. Dabei stieß er auf ein Phänomen: Er fand einen Ruf, nach dessen Erklingen die Vögel flatterten, sich neckten, gaukelten. Sollte dieses Gekreische so etwas wie „Los, spiel mit mir!“ bedeuten?

Körpersprachliche Spielaufforderungen im Tierreich sind bekannt: Will ein Hund spielen, streckt er die Vorderbeine aus und wedelt mit dem Schwanz. Bei Schimpansen gibt es einen Gesichtsausdruck, „Open Mouth Face“ genannt, um andere zum Spiel zu motivieren. Aber einen Aufruf zum Spiel im Tierreich hatte bis dahin noch niemand beschrieben. Raoul Schwing ging seinem Verdacht nach: Er ließ den mutmaßlichen Spielruf neben wilden Keas vom Tonband ablaufen – und staunte: Kaum hatte er die Taste mit der bezeichnenden Aufschrift „Play“ gedrückt, legten die Vögel schon mit dem Spielen los. Sie hüpften wild herum, zupften einander an den Federn oder stürzten sich auf Objekte. Theoretisch könnte dieser Laut ein Lachen sein, das die Artgenossen zu lustigen Aktionen animiert. 

Die Veranstalterin des Animalicums ist Tierärztin Tanja Warter. Das diesjährige Schwerpunktthema „Was fühlt das Tier?“ fasziniert sie selbst: „Je mehr wir über die Tiere wissen und nachvollziehen können, zu welchen kognitiven Leistungen sie imstande sind und was sie empfinden, desto mehr kommen uns unsere Alleinstellungsmerkmale als Menschen abhanden.“ 

Genau darauf nimmt Prof Dr. Norbert Sachser von der Universität Münster in seinem Eröffnungsvortrag Bezug. Sachser ist Autor des „Spiegel“-Bestsellers „Der Mensch im Tier“ und sagt: „Es gibt keine menschliche Fähigkeit oder Eigenschaft, die nicht zumindest in Ansätzen bei Tieren vorhanden ist.“ Neben Freude, Angst und Trauer konnte er bereits komplexere Emotionen wie Eifersucht nachweisen. Außerdem beschreibt Sachser, dass es auch unter Tieren Optimisten und Pessimisten gibt. „Außerdem müssen wir lernen, dass viele Eigenschaften nicht einfach in die Wiege gelegt sind“, so der Verhaltensforscher. „Ob ein Meerschweinchen beispielsweise hochaggressiv wird oder nicht, liegt ganz wesentlich in seinen Erfahrungen während der Pubertät begründet und nicht in Genen oder Instinkten.“ In seinem Vortrag „Hand aufs Herz: Wie viel Mensch steckt im Tier?“ wartet der Experte mit verblüffenden Erkenntnissen auf. 

Manchen Tieren fühlen wir Menschen uns näher als anderen. Um sich ein Bild der Bandbreite tierischer Emotionen zu machen, hilft ein Blick auf die nächsten Verwandten des Menschen. Prof. Dr. Roman Wittig vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig erforscht das Verhalten von wilden Schimpansen. Es sind vor allem die sozialen Bindungen, die uns staunen machen. Dass sich Tiere beispielsweise für andere einsetzen, setzt voraus, dass sie darüber Bescheid wissen, wie es anderen geht.

„Nach dem Brückenschlag zu unseren nächsten Verwandten werden wir uns wieder den Gefühlen der Haustiere widmen“, so Warter. „Im tierärztlichen Beruf merkt man schnell, wie sehr Gefühle den Tieren selbst und auch deren Besitzern das Leben schwer machen können. Man denke nur an Aggressionen oder an starke Angstzustände bei Hunden oder Katzen.“ Da stelle sich schnell die Frage, wann etwas krankhaft sei. Dr. Maya Bräm von der Universität Bern greift diese Frage auf: Ihr Hauptforschungsgebiet ist die Hochsensibilität bei Hunden und Katzen, aber sie weiß auch von Wut und Niedergeschlagenheit zu berichten. Ob Gefühle auch eine Krankheit oder zumindest krankhaft sein können, ist ihr Themenfeld beim Animalicum-Kongress.  

Vor allem landwirtschaftliche Nutztiere, davon ist Tierarzt und Philosoph Prof. Dr. Jörg Luy überzeugt, würden sehr davon profitieren, wenn ihre Gefühle künftig stärker Berücksichtigung fänden. In seinem Vortrag „Zeig Gefühl, damit ich dir helfen kann“ möchte er einen neuen Blick auf die menschliche Urteils- und Entscheidungsfindung riskieren. Die ethische Qualität eines Urteils hänge nicht zuletzt davon ab, wie zutreffend die empathischen Projektionen ausfielen. Luy: „Für unseren Umgang mit Tieren erweist es sich im Ergebnis als unverzichtbar, möglichst gut über ihre Gefühle informiert zu sein.“ 

Programm für Hunde- als auch Katzenfans

Der Nachmittag des „Tier & Wir-Kongresses“ startet mit einem Parallelprogramm mit Hunde- und Katzenthemen. Sabrina Streif von der Universität Freiburg hat für ihre Forschung Freigängerkatzen mit GPS-Geräten und kleinen Filmkameras ausgestattet. Das Ziel ihrer Arbeit war es, herauszufinden, wie weit sich Katzen während ihrer Ausflüge von ihrem Zuhause entfernen und womit sie sich beschäftigen. Jagen sie vor allem? Haben sie soziale Kontakte? Nehmen sie immer wieder dieselben Routen oder schlagen sie regelmäßig neue Wege ein? Die Abenteuerlust der Samtpfoten steht im Zentrum ihres Vortrags. 

Dass auch Aggression eine Emotion ist, darüber spricht Dr. Barbara Schöning im Hunde-Spezialprogramm. Immer wieder gibt es teils dramatische Zwischenfälle mit den Vierbeinern. Fragen nach den Schuldigen und nach sinnvollen Vorbeugungsmaßnahmen werden laut. Diskutiert wird viel, von Rasseverboten bis hin zu Hundeführerscheinen. Wie kann man Hunden ein schönes Leben bereiten und gleichzeitig die größtmögliche Sicherheit für Menschen schaffen? Schöning skizziert Wege aus dem ­Dilemma, in dem viele Städte und Gemeinden stecken.

Abgerundet wird das Spezialprogramm jeweils durch die wichtigsten neuen Erkenntnisse rund um die Fütterung. In einem schier unüberschaubaren Spektrum an Möglichkeiten wird Dr. Julia Fritz, Fachtierärztin für Ernährung, die wichtigsten Grundlagen herausarbeiten und unter dem Motto „Liebe geht durch den Magen“ die emotionale Seite des Fütterns beleuchten.

Den Abschluss des Kongresses bildet Prof. Dr. Redouan Bshary, Ethologe an der Universität Neuchâtel in der Schweiz. Veranstalterin Tanja Warter dazu: „Mit seinem Vortrag bewegen wir uns in eine extrem spannende und gleichzeitig den meisten Menschen vollkommen unbekannte Welt der Tiere. Ich war selbst absolut baff, als ich das erste Mal von Bsharys Forschung hörte.“ Mehr will Tierärztin Warter nicht verraten. Der Titel von Bsharys Schlussvortrag heißt: „Ein untrügliches Gespür fürs Geschäftliche – völlig unterschätzte Tiere betreiben beispielhafte Business-Konzepte.“ Man darf gespannt sein. 

Anmeldung, Programm und Infos zu allen Vortragenden und den ÖTK-Bildungspunkten finden Sie unter: www.animalicum.com