Veterinärmedizinische Ethik –

Ein Überblick

Mag. Christian Dürnberger, Mag. Svenja Springer und MMag. Kerstin Weich
Messerli Forschungsinstitut, Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung
(Vetmeduni Vienna, Universität Wien, Medizinische Universität Wien)

Die moderne Mensch-Tier-Beziehung ist von Widersprüchen geprägt. Diese Widersprüchlichkeiten treten in besonderer Deutlichkeit in der veterinärmedizinischen Praxis zutage. Als Resultat wird der Ruf nach einer veterinär-medizinischen Ethik laut. Was aber kann unter diesem Begriff verstanden werden, und welche Projekte laufen zurzeit in diesem Forschungsfeld in Österreich?

 

Welchen moralischen Umgang schulden wir Tieren? Warum werden manche in unüberschaubarer Zahl geschlachtet und andere als Heimtiere gestreichelt? Spaltet sich die Mensch-Tier-Beziehung zunehmend in eine Verdinglichung und eine Vermenschlichung? Und inwieweit verlangen neue Erkenntnisse über Fähigkeiten und Bedürfnisse von Tieren ein neues Nachdenken über ihren moralischen Status? Wer sich gegenwärtig mit derartigen ethischen Fragen auseinandersetzt, muss nicht nur die Tiere in den Blick nehmen, sondern ebenso die verantwortungsvollen menschlichen Akteure. 

Hierbei sind ohne Zweifel TierärztInnen und AmtstierärztInnen zu nennen. Sie verfügen nicht nur über die fachliche Expertise, wenn es um Gesundheit und Wohlergehen von Tieren geht, sie wenden ihr Wissen darüber hinaus in höchst unterschiedlichen Kontexten an; sei es – exemplarisch genannt – in Kliniken, in denen Heimtiere mit modernem Hightech-Equipment operiert werden, bei Schlachttier- und Fleischuntersuchungen oder in der Bestandsbetreuung von Nutztieren.

Projekte am Messerli Forschungsinstitut

In diesem Kontext vollzieht die Veterinärmedizin eine Entwicklung, die in der Humanmedizin bereits statt­gefunden hat: die Etablierung einer ethischen Reflexion des Berufsfeldes. Veterinärmedizinische Ethik ist demnach ein junges Forschungsfeld, das erst in den letzten Jahren an Sichtbarkeit gewinnen konnte. 

Eine Vorreiterrolle nimmt hierbei das Messerli Forschungsinstitut, Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung unter der Leitung von Professor Herwig Grimm, ein. 

Ein Überblick über stilprägende Messerli-Projekte, die der veterinärmedizinischen Ethik zuzurechnen sind, findet sich auf der folgenden Seite in Form von Infoboxen. Diese kurzen Zusammenfassungen stellen nicht nur die wesentlichen Inhalte dieser Projekte dar, sie zeigen in ihren unterschiedlichen Herangehensweisen auch die Vielfalt der Disziplin hinsichtlich ihrer Themensetzungen und Methoden.

Was leistet diese Ethik?

Allgemein gefasst gehört veterinärmedizinische Ethik zur angewandten Ethik. Sie beschäftigt sich mit der praktischen Anwendung von ethischen Theorien und Prinzipien sowie mit den moralischen Normen und Konflikten von TierärztInnen.
Obwohl die Tierethik und deren Auseinandersetzung mit dem moralischen Status von Tieren hierbei ein wichtiger Bezugspunkt ist, werden in der veterinärmedizinischen Ethik (auch) andere Fragen gestellt, beispielsweise: Was bedeutet Professionalität in der Tiermedizin? Wo beginnt und endet die Verantwortung der Profession? Die spezifischen Aufgaben der veterinärmedizinischen Ethik können dabei, wie im Folgenden gezeigt, durchaus verschieden gewichtet werden. 

(1) Antworten geben und begründen
Eine Aufgabe besteht darin, zu klären, wie TierärztInnen in moralisch herausfordernden Situation von einem gut begründeten ethischen Standpunkt aus handeln sollten. Diese Zielsetzung entspricht der Tradition der normativen Ethik, der es um die inhaltliche Bestimmung des moralisch Richtigen geht.
Dabei haben es TierärztInnen und AmtstierärztInnen oft mit sogenannten ethischen Dilemmata zu tun. Dies sind Situationen, in denen sich für verschiedene, sich widersprechende Entscheidungen gute, gewichtige ethische Gründe finden lassen und es nicht zweifelsfrei möglich ist, „das Gute“ zu bestimmen.

(2) Probleme verstehen und identifizieren
Eine weitere entscheidende Aufgabe der veterinärmedizinischen Ethik ist es, akute Problemfälle im veterinär-medizinischen Bereich adäquat zu beschreiben. Hier geht es weniger darum, eine Antwort zu finden, was „das Gute“ in einer schwierigen Situation ist, als vielmehr zu verstehen, warum es so schwierig ist, über dieses Gute zu entscheiden. Welche konfligierenden, oftmals auch implizit bleibenden Werte spielen eine relevante Rolle?
Dieser zweite Ansatz korrespondiert mit einem deskriptiven Ethikverständnis, das moralische Probleme besser verstehen und – ebenso bedeutsam – moralisch herausfordernde Situationen identifizieren möchte: Welche Entscheidungen werden von AmtstierärztInnen und TierärztInnen als moralisch schwierig empfunden und warum? Die verständliche wie strukturierte Darstellung eines Konflikts, in der die normativen Grundlagen explizit gemacht werden, ist Voraussetzung für eine gut begründete Entscheidung.

(3) Begriffe und Konzepte klären
Ein dritter Bereich veterinärmedizinischer Ethik umfasst die Analyse und Diskussion zentraler Begriffe und Konzepte. Welcher Gesundheitsbegriff liegt dem veterinär-medizinischen Bereich beispielsweise zugrunde? Unterscheidet sich, wie die Gesundheit eines Tieres verstanden wird, zwischen Nutz- und Heimtierhaltung? -Welche historischen Entwicklungen gehen ihrer jeweiligen Geltung voraus? Derartige Fragen tragen dazu bei, die Aufgaben und das Selbstverständnis der veterinärmedizinischen Professionen präziser – auch und gerade in ihren Widersprüchlichkeiten – zu fassen.

(4) Austausch ermöglichen
Schließlich lässt sich eine vierte Aufgabe nennen. Diese besteht darin, Raum und Zeit für strukturierte Diskussionen der Herausforderungen der veterinärmedizinischen Berufsfelder anzubieten – unter Kollegen wie interdiszi-plinär. Wie entscheidend dieser Bereich ist, zeigt wiederum die Humanmedizin: Dort hat sich die Etablierung der ethischen Reflexion im Austausch mit KollegInnen seit Längerem bewährt. Dabei geht es nicht nur um die Erörterung ethischer Fragen, sondern auch darum, einen „sicheren Ort“ anzubieten, an dem moralisches Unbehagen (und auch etwaige Lösungswege) offen besprochen werden können. (Insofern sich die veterinärmedizinische Ethik als akademische Disziplin begreift, darf sie in diesem vierten Punkt freilich nicht aufgehen.)

Ein Ausblick

Die ethische Reflexion der veterinärmedizinischen Profession fordert die Ethik dazu auf, Theorien weiterzuentwickeln, sie in einem verantwortungsvollen Feld der Praxis zu prüfen, neue Forschungsfragen zu generieren, die Nöte der AkteurInnen begrifflich einzufangen sowie praxistaugliche Hilfestellungen zu erarbeiten. Wünschens-wert wie notwendig sind vor diesem Hintergrund der Ausbau von Forschungsprojekten, eine verstärkte internationale Vernetzung sowie die Förderung des öffentlichen Interesses an veterinärmedizinischen Fragestellungen. Der Schwerpunkt „Veterinärmedizinische Ethik“ am -Messerli Forschungsinstitut leistet dazu einen Beitrag.