Traditionelle, komplementäre und integrative Gesundheitsversorgung (TCIH)

Die globale GIFTS-AMR-Forschungsagenda

Dr. Petra Weiermayer, Prof. Dr. Erik Baars

Strategien und natürliche Arzneimittel zur ­Prävention und Therapie von Infektionen zur Reduktion antimikrobieller Resistenz mit dem primären Ziel der Gesundheitsförderung.
Die „Global Initiative for Traditional Solutions to Anti­microbial Resistance (GIFTS-AMR)“ ist ein weltweit ­organisiertes Netzwerk von Forschungsinstituten für traditionelle, komplementär- und integrativmedizinische Gesundheitsversorgung (TCIH) und antimikrobielle Resistenz (AMR) / Infektionskrankheiten, Forschern in der ­Human- und Veterinärmedizin und globalen bzw. regionalen politischen Entscheidungsträgern. 

Die Ziele des Netzwerks sind:

  • Entwicklung einer globalen Initiative zu traditionellen Lösungen für antimikrobielle Resistenz namens „GIFTS-AMR“ durch Verbindung der Forschungsbereiche, der Forschungsinstitute, der Infrastrukturen und der Forscher im Bereich der Gesundheitsversorgung von Mensch und Tier mit Fokus auf TCIH. 
  • Entwicklung von Forschungsagenden unter ­Definition von mindestens ein bis drei priorisierten Indikationen sowohl für die Human- als auch für die Veterinär­medizin.
  • Vorbereitung von Forschungsanträgen für Forschungsprojekte und die Fortsetzung des Netzwerks nach dem JPIAMR-Projekt (Joint Programming Initiative on Antimicrobial Resistance).
  • Kommunikation der Existenz, der Aktivitäten und der Ergebnisse (z. B. Forschungsagenda, Website) des Netzwerks sowohl online (Bericht auf der Website, Webinare) als auch während einer internationalen (Online-)Konferenz an die relevanten ­Interessengruppen.

Derzeit umfasst das GIFTS-AMR-Netzwerk 17 vorwiegend universitäre Forschungsinstitute und sechs weitere wissenschaftliche Organisationen weltweit, die in TCIH zum Thema AMR in der Gesundheitsversorgung von Mensch und/oder Tier arbeiten. Die verschiedenen TCIH-Typen sind hauptsächlich Anthroposophische Medizin, ­Ayurveda, Homöopathie, Phytotherapie und Traditionelle Chine­sische Medizin. Ein breites Spektrum von Forschungs­bereichen wird im Netzwerk abgedeckt; viele arbeiten in der klinischen und präklinischen Forschung und zum Beispiel an ethnomedizinischen Surveys, der Entwicklung von Leitlinien und in der Public-Health-Forschung.

Zusammenfassung der Forschungsagenda

Was?
Die globale Forschungsagenda fasst Strategien für traditionelle, komplementär- und integrativmedizinische Gesundheitsversorgung (TCIH) und natürliche Arzneimittel zur Prophylaxe und Therapie von Infektionen und zur Reduktion der antimikrobiellen Resistenz (AMR) mit Schwerpunkt auf der Förderung der Gesundheit/Resilienz zusammen. Darüber hinaus werden die Bedeutung dieser Agenda für zwei globale AMR-Forschungsagenden sowie in Zusammenhang stehende Advocacy-Maßnahmen beschrieben. Vier GIFTS-AMR-Forschungsthemen im Zusammenhang mit 14 Forschungsprioritäten, priorisierten Forschungsprojekten für die nächsten zehn Jahre und die Beiträge zu zwei globalen AMR-Forschungs­agenden werden in einer Tabelle dargestellt.

Von wem?
Die globale Forschungsagenda wurde von der Projektgruppe GIFTS-AMR entwickelt, einem von JPIAMR finanzierten, weltweit organisierten, wachsenden Netzwerk von Forschungsinstituten für TCIH und AMR/Infektionskrankheiten, Forschern in der Human- und Veterinär­medizin und globalen bzw. regionalen politischen Entscheidungsträgern.

Für wen?
Die Forschungsagenda bietet die strategische Grundlage für die Zusammenarbeit des GIFTS-AMR-Netzwerks bei Forschungsanträgen und Finanzierungsprojekten und bietet Informationen über TCIH für politische Entscheidungsträger, Forscher, Angehörige der Gesundheitsberufe (bzw. deren Organisationen) und Patienten(-organisationen) auf nationaler, regionaler und globaler Ebene.

Hintergrund
Angesichts des Ausmaßes des globalen AMR-Problems, der zum Teil unzureichenden Strategien zur Reduzierung des antibiotischen/antimikrobiellen Einsatzes und der Dringlichkeit der AMR des letzten Jahrzehnts sind neue Strategien erforderlich. Österreich ist hier im Bereich der Veterinärmedizin als Best-Practice-Beispiel anzuführen.
TCIH bietet Strategien und Lösungen, die zur Verringerung des (unangemessenen) antibiotischen/antimikrobiellen Einsatzes, zur Prävention oder Behandlung von Infektionen sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin und dadurch zur Förderung der Gesundheit/Resilienz von Mensch und Tier sowie zur Verringerung der AMR beitragen können.

Der wissenschaftliche Status von TCIH für die Prävention und Behandlung von Infektionen 

Der wissenschaftliche Status von TCIH für die Prävention und Behandlung von Infektionen in der Human- und Veterinärmedizin basiert bereits auf einer zunehmenden Anzahl wissenschaftlicher Studien. Einige TCIH-Arzneimittel sind bereits in die nationalen Leitlinien für die Behandlung von Infektionen in der Humanmedizin integriert, z. B. in Deutschland und im Vereinigten Königreich, sind gemäß einer EU-Richtlinie (Humanarzneimittel) oder einer EU-Verordnung (Veterinärarzneimittel) registriert/zugelassen und/oder haben einen Status der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) von „well-established use“. Mehrere Beobachtungsstudien unterstützen die Hypothese, dass Ärzte, die TCIH praktizieren, die Komplementärmedizin und konventionelle Medizin integrieren, im Vergleich zu ihren ausschließlich konventionell medizinisch arbeitenden Kollegen niedrigere Antibiotika-Verschreibungsraten haben (gemessen als frühere Verwendung, Antibiotika-Verwendung jemals, in den ersten 12 Lebensmonaten und nach 12 Lebensmonaten, Verbrauch, Verschreibungsraten) und ihre Patientengruppen niedrigere Antibiotika-Verbrauchsraten haben, obwohl in diesen Studien Selektionsbias (z. B. Patienten, die keine Antibiotika wollen, könnten häufiger einen TCIH-Arzt wählen) nicht ausgeschlossen werden kann. Die Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes als Folge von TCIH-Infektionspräventions- und -Behandlungsstrategien wurde auch für die Veterinärmedizin beschrieben. Es gibt eine offene Haltung gegenüber TCIH bei großen Gruppen von Patienten, Tierbesitzern und Landwirten punkto Präventions- und Behandlungsstrategien. Gleichzeitig beeinflusst eine komplexe Reihe von Faktoren die Zurückhaltung, TCIH zu verwenden – zum Beispiel die Einstellungen zu oder das mangelnde Wissen über TCIH sowohl von Ärzten als auch von Patienten.

Forschungsprojekte in TCIH zur Prävention und Behandlung von Infektionen 

Forschungsprojekte in der human- und veterinärmedizinischen TCIH, die benötigt werden, sind: 
(1) Hochwertige Public-Health- und klinische Studien zu TCIH-Präventions- und Behandlungsstrategien, Wirksamkeit und Sicherheit, einschließlich kontextbasierter Forschung (z. B. pragmatische RCTs), unter Einhaltung der Integrität individualisierter TCIH-Präventions- und 
Behandlungsstrategien, wie für die konventionelle Medizin (Skivington et al., 2021), für TCIH generell (National Center for Complementary and Integrative Health, 2021) und für spezifische TCIH-Methoden (z. B. Gaertner et al., 2023; Kienle et al., 2019; Sun et al., 2021) vorgeschlagen; 
(2) Replikation hochwertiger Studien in den Ländern, in denen dies für die Umsetzung in klinische Richtlinien erforderlich ist; und 
(3) Entwicklung einer allgemeinen Evidenzbasis von TCIH-Strategien, die alle akademischen Bereiche abdeckt.

Die Kapitel der Forschungsagenda

Sechs Kapitel liefern den Input für die Forschungsagenda und die vorgeschlagenen Advocacy-Aktionen im Zusammenhang mit der GIFTS-AMR-Forschungsagenda:

  • Der Wert von TCIH-Arzneimitteln (Kapitel 2)
  • Die besten TCIH-Arzneimittel-Markt-Kombinationen (Kapitel 3)
  • Die vielversprechendsten TCIH-Arzneimittel für qualitativ hochwertige RCTs (Kapitel 4)
  • Die Verwendung eingeschränkter Evidenz und Real-World-Evidenz für die Beurteilung von Sicherheit und Wirksamkeit (Kapitel 5)
  • Der Übergang zur vollständigen Integration von TCIH in die Gesundheitssysteme (Kapitel 6)
  • Die Erhöhung der Verfügbarkeit von TCIH-Arznei­mitteln für die Prävention und Behandlung von Infektionen (Kapitel 7)

Jedes Kapitel präsentiert die Einführung in das Haupt­thema, die zwei bis drei Unterthemen, die für die Forschungsagenda relevant sind, den aktuellen Status für jedes Unterthema und, basierend darauf, die Forschungsprioritäten, die priorisierten Forschungsprojekte für die nächsten zehn Jahre und in einigen Kapiteln die vorgeschlagenen Advocacy-Aktionen im Kontext mit der Agenda.

Aktuelle-AMR-Themen und Prioritäten in der Forschungsagenda

Die Kapitel 2–7 sind in 14 Forschungsprioritäten zusammengefasst, mit priorisierten Forschungsprojekten für die nächsten zehn Jahre zu vier Themen (siehe Tabelle 1 der Forschungsagenda).  


Link zur Originalversion der Forschungsagenda
https://www.b2match.com/e/research-on-tcih-strategies/components/34631/biYz4tsQRpZA 

References
Gaertner, K., von Ammon, K., Fibert, P., Frass, M., Frei-Erb, M., Klein-Laansma, C., ... & Weiermayer, P. (2023). Recommendations in the design and conduction of randomised controlled trials in human and veterinary homeopathic medicine. Complementary therapies in medicine, 102961. Gaertner, K., Ulbrich-Zuerni,, S. Baumgartner, S., Walach, H., Frass, M., Weiermayer, P. Systematic reviews and meta-analyses in Homeopathy: Recommendations for Summarising evidence from Homeopathic Intervention Studies („Sum-HomIS Recommendations“). Complementary Therapies in Medicine, Oct 2023. doi: 10.1016/j.ctim.2023.102999. Kienle, G.S., Ben-Arye, E., Berger, B., Cuadrado Nahum, C., Falkenberg, T., Kapócs, G., ... & Szöke, H. (2019). Contributing to global health: development of a consensus-based whole systems research strategy for anthroposophic medicine. Evidence-based complementary and alternative medicine, 2019. Skivington, K., Matthews, L., Simpson, S. A., Craig, P., Baird, J., Blazeby, J.M., ... & Moore, L. (2021). A new framework for developing and evaluating complex interventions: update of Medical Research Council guidance. BMJ, 374. Sun, X., Li, L., Liu, Y., Wang, W., Yao, M., Tan, J., ... & Shang, H. (2021). Assessing clinical effects of traditional Chinese medicine interventions: moving beyond randomized controlled trials. Frontiers in Pharmacology, 12, 713071.

Projektteilnehmer
E. Baars, Louis Bolk Institute / University of Applied Sciences Leiden, The Netherlands (coordinator); M. Emeje, National Institute for Pharmaceutical Research & Development, Nigeria; Fernandez, Portales IAVH, Spain; M. Frass, Austrian Umbrella Organisation for Medical Holistic Therapy / WissHOM, Austria; M. Guldas, Uludag University, Turkey, Z. Girgin Ersoy, Uludag University, Turkey; X. Hu, Univ. of Southampton, School of Primary Care, Population Sciences and Medical Education, UK; R. Huber, University Medical Centre Freiburg, Germany, M. Johnson, Organic Research Centre, UK; E. Katuura, Makerere University, Uganda; P. Little, Univ. of Southampton, School of Primary Care, Population Sciences and Medical Education, UK; J. Liu, Centre for Evidence-Based Chinese Medicine, Beijing University of Chinese Medicine, China; D. Martin, University of Witten-Herdecke, Germany; M. Moore, Univ. of Southampton, School of Primary Care, Population Sciences and Medical Education, UK; T. Nicolai, Eurocam, Belgium, E. Oppong Bekoe, University of Ghana, School of Pharmacy, Ghana; P. Panhofer, Private Medical University, Sigmund Freud University, Austria; BN. Prakash, The University of Trans-Disciplinary Health Sciences & Technology, India; R. Sanogo, University of Sciences, Techniques and Bamako Technologies (USTTB), Faculty of Pharmacy, Mali; K. Sørheim, Norwegian Centre for Organic Agriculture, Norway; H. Szőke, University of Pécs, Hungary; E. van der Werf, Homeopathy Research Institute (HRI), UK; D. Vankova, Medical University of Varna, Bulgaria; N. van Steenbergen, University of Applied Sciences Leiden, The Netherlands; L. Veldman, University of Applied Sciences Leiden, The Netherlands; H. van Wietmarschen, Louis Bolk Institute, The Netherlands; P. Weiermayer, OEGVH/ WissHom, Austria, M. Willcox, University of Southampton, UK; L. Windsley, Organic research centre, UK; F. Yutong, Centre for Evidence-Based Chinese Medicine, Beijing University of Chinese Medicine, China