Tierschutzkennzeichnung auf dem Prüfstand

Schlüsselerkenntnisse der Europäischen Kommission

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Bei der von der Europäischen Kommission für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit beauftragten „Studie über die Tierschutzkennzeichnung“ ging es darum, qualitative und quantitative Daten über das Verbraucherbewusstsein in Bezug auf Tierschutznormen und die Nachfrage nach weiteren Informationen zu sammeln. Im Rahmen dieser Studie wurden außerdem Daten über vorhandene Kennzeichnungssysteme mit Tierschutz-­Anspruch in der EU gesammelt und ihre Konzepte und Auswirkungen ausgewertet. Die Studie wurde im Zeitraum zwischen April 2021 und Februar 2022 durchgeführt. 
Lesen Sie hier einen Auszug: 

Verbraucherbewusstsein und Informationsbedarf

Die Verbraucher in der EU haben laut der Studie nur wenig Bewusstsein über die Bedingungen, in denen Nutztiere gehalten werden, und darüber, wie sie behandelt werden. Trotzdem würde mindestens die Hälfte der EU-Verbraucher gerne Informationen über diese eng verwandten Themengebiete erhalten. Zwei Drittel der EU-Verbraucher fanden, dass die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen nicht ausreichend waren, um fundierte Entscheidungen auf der Grundlage des Tierschutzes treffen zu können. Die EU-Verbraucher erhalten laut der Studie Informationen über die besagten Themen aus den traditionellen Medien, nicht aus Lebensmittelkennzeichnungen.

Zahlungsbereitschaft der Verbraucher

Laut den Aussagen der Verbraucher bestand mehr Zahlungsbereitschaft, als sich im tatsächlichen Einkaufs­verhalten widerspiegelt. Das durchgeführte Experiment zur Zahlungsbereitschaft zeigte, dass diese zum Teil an den Preis geknüpft ist: Verbraucher waren bereit, im Vergleich zu einem normalen Produkt einen höheren Preis für den Tierschutz zu zahlen – jedoch wäre die Mehrheit der Verbraucher nicht bereit, genauso viel oder noch mehr für Produkte mit hohem Tierschutz zu zahlen, als sie momentan für Bio-Produkte zahlen.

Ausmaß, in dem die aktuellen Tierschutz-Kennzeichnungssysteme auf die Verbrauchernachfrage reagieren 

Die vorhandenen Tierschutz-Kennzeichnungssysteme deckten viele Tierarten und Dimensionen ab, die mit den breiten Verbrauchererwartungen, die in der Verbraucherumfrage aufgezeichnet wurden, übereinstimmten. Da jedoch die meisten Systeme auf nationaler Ebene verwaltet wurden, hatten 16 der 27 EU-Mitgliedsstaaten kein Kennzeichnungssystem auf nationaler Ebene mit Tierschutzansprüchen. Es war unklar, inwieweit EU-Systeme (z. B. Bio-Kennzeichnungen) oder internationale Deckung zum Füllen dieser Lücke beitragen. 
Üblicherweise enthalten Tierschutz-Kennzeichnungssysteme Nachhaltigkeitsansprüche. Diese Ansprüche umfassen Umwelt, Lebensmittelsicherheit, Nachverfolgbarkeit, Lebensmittelqualität und gesellschaftliche Verantwortung. Jedoch unterschieden sich in der Studie die konkreten Standards, die diese Ansprüche stützten, erheblich. 
Damit wurde es Verbrauchern erschwert, diese unterschiedlichen Nachhaltigkeitsansprüche richtig zu interpretieren.
Um den aktuellen Stand zu bestimmen, hat die Studie auch Nicht-Lebensmittelprodukte mit Tierschutz­ansprüchen (wie Kosmetika, Pelz oder Federn) in der EU untersucht, um eine beste Praxis zu identifizieren. Die wichtigsten ­Erkenntnisse sind, dass Marketing ein wichtiger Faktor dabei ist, Verbraucher dazu anzuregen, ein tierfreundlicheres Produkt zu wählen.

Ausmaß, in dem die aktuellen Tierschutz-Kennzeichnungssysteme die Tiere schützen

Es ist schwer, das Ausmaß, in dem die Tierschutz-Kennzeichnungssysteme eine erhebliche Verbesserung für das Leben der Nutztiere darstellen, präzise einzuschätzen, da kein klarer Ausgangswert, nur begrenzte Überwachung und keine Evaluierungen vorhanden sind.
Daher war es herausfordernd, eine klare und direkte Verbindung zwischen den Verbesserungen im Tierschutz und den Kennzeichnungssystemen herzustellen. Um dieses Problem zu überwinden, wurde die Auswirkung dieser Systeme im Rahmen der Studie anhand von Näherungswerten ermittelt, insbesondere der Umfang der Systeme und die Robustheit ihrer Kontrollen.
Als erster Wert wurde der Umfang der vorhandenen Kennzeichnungssysteme in der EU untersucht. In der Studie wurde festgestellt, dass ein beträchtlicher Anteil der vorhandenen Kennzeichnungssysteme die gesamte Lebensdauer von Nutztieren bis zu ihrem Tod umfasste, einschließlich der Tierschutz-Standards auf dem Bauernhof, während des Transports und bei der Schlachtung. 
Die Kennzeichnungssysteme deckten verschiedene Nutztierarten und Produktionstypen in der EU ab. Von den 51 geprüften Systemen boten 48 eindeutige Daten über die abgedeckten Tierarten; unter diesen 48 Systemen waren Schweine die vorherrschende Tierart (32 Kennzeichnungen), darauf folgten Mastrinder (27) und Masthühner (27). 15 Systeme bezogen sich auf die am häufigsten abgedeckten Tierarten: Schweine, Milchvieh, Mastrinder, Legehennen und Masthühner.
 

Als weiterer Parameter wurde die Robustheit der Kon­trollen für die Kennzeichen verwendet. Die allgemeinen Beobachtungen in der Studie basierten darauf, inwieweit die Kennzeichnung über vorhandene Tierschutzgesetze hinausgeht und wie sie kontrolliert wird. In dieser Hinsicht haben die meisten Kennzeichnungen Kriterien ausgearbeitet, die über die nationale oder EU-Gesetzgebung hinausgingen; die meisten Kennzeichnungen verließen sich auch auf externe Prüfer, um die Einhaltung der Kennzeichnungsstandards zu verifizieren. Auf dieser Grundlage wäre es angemessen, davon auszugehen, dass sie zur Verbesserung in bestimmten Aspekten im Leben der Nutztiere beitrugen. Gestaffelte Systeme setzten ihre niedrigste Staffelung nur knapp über der EU-Gesetz­gebung an und erhöhten dann die Anforderungen für jede Stufe. Daher war es wahrscheinlich, dass gestaffelte Systeme keine großen, großrahmigen Verbesserungen boten, da die meisten Mitglieder nur die niedrigste Stufe erfüllten. Zumindest kann gesagt werden, dass die Kennzeichen zur besseren Einhaltung der Tierschutzgesetze beitrugen, indem sie neben den von den zuständigen Behörden durchgeführten Kontrollen noch weitere Prüfungen einführten. Trotzdem konnte davon ausgegangen werden, dass die größten Auswirkungen in den Fällen stattfanden, wo eine Kombination aus hohen Standards und robusten Prüfungen vorherrschte.
Außerdem lassen unvollständige Daten darauf schließen, dass einige – darunter auch relativ neue – Kennzeichen angefangen haben, erhebliche Anteile auf dem Markt für einheimische Nutztiere einzunehmen. Das zeigte sich insbesondere für Masthühner in Frankreich („Label Rouge“ deckt 12 % der gesamten Masthühnerproduktion und 50 % der Freilandproduktion in Frankreich ab) und Masthühner und Schweine in den Niederlanden („Beter Leven“ deckt 100 % der Schweine- und Masthühnerproduktion in den Niederlanden und 87 % der Legehennen ab). Die Kapazität für eine Ausweitung dieser Kennzeichen könnte mit Fragen des Designs verknüpft sein, d. h., ob die Kennzeichen Skalen enthalten und die niedrigsten Tierschutzsegmente auf dem Markt umfassen oder nicht. Sie könnte auch mit der Frage der Kapazität des Markts verknüpft sein, höheren Tierschutz und damit auch teurere Produkte zu absorbieren. 

Fazit

Diese Studie hat zur Beweissammlung beigetragen, um potenzielle Initiativen bezüglich der Tierschutzkennzeichnung in der Europäischen Union zu unterstützen. Aus den Ergebnissen der Studie lässt sich schließen, dass es eine eindeutige Verbrauchernachfrage nach mehr Informationen über dieses Thema gab, dass jedoch aufgrund der Anwesenheit mehrerer Kennzeichnungen auf dem Markt einige Verwirrung herrschte. Außerdem herrschten andere Herausforderungen wie die Wettbewerbsverzerrung zwischen EU-Unternehmen, die Funktionsweise des internen Markts und eine potenzielle „Renationalisierung“ des Markts. Die Studie hat gezeigt, dass es im Kontext der Strategie „Vom Erzeuger zum Verbraucher“ Mehrwert für die EU schöpfen würde, wenn die Kommission Möglichkeiten für Tierschutzkennzeichnungen in Betracht ziehen würde, die den Mehrwert besser durch die Lebensmittelkette übertragen würde. Es bestand ein eindeutiger Bedarf danach, das Bewusstsein zu steigern und den aktuellen Stand der Kennzeichnungssysteme mit Tierschutzansprüchen in der EU zu vereinfachen.

 

Quelle: https://bit.ly/3tujPae