Tierphysiotherapie

in der täglichen Praxis

Bettina Kristof

Die Physiotherapie gehört zu den ältesten bekannten Heilverfahren und wird auch beim Tier immer öfter angewandt – dazu zählen verschiedene manuelle Behandlungsmethoden, die geräteunterstützte Therapie sowie die eigentliche physikalische Therapie. Im Fokus steht immer die generelle Anregung der Selbstheilungskräfte des Organismus.

Die Physiotherapie am Tier ist nicht bloß Krankengymnastik, vielmehr geht es hier um alle Anwendungen, die zu einer allgemeinen Anregung oder gezielten Behandlung gestörter physiologischer Strukturen führen. Die Physiotherapie bedient sich also physikalischer Einwirkungen auf das Gewebe, egal, ob es sich zum Beispiel um Strom (Elektrotherapie), Wasser (Hydrotherapie) oder die manuelle Anwendung von Druck oder Zug handelt (Massage, Dehnungen, Traktionen).

Zusammentragen von Informationen

Auch in der physiotherapeutischen Untersuchung ist eine ausführliche Anamnese notwendig und wichtig. Das Alter oder das Wesen des Tieres bestimmen unter anderem die Bewegungsfreude und den Bewegungsdrang – Faktoren, die gerade in der Bewegungstherapie oder Rehabilitation förderlich oder hinderlich sein können. Die Rasse kann im Kleintierbereich Hinweise auf mögliche Gelenkserkrankungen geben, beim Pferd bestimmt die Rasse oft den Verwendungszweck (Rennpferd, Springpferd, Reiningpferd). Im Vorbericht werden auch Ausbildungsstand von Pferd und Reiter sowie reiterliche Auffälligkeiten wie Rittig-
keitsprobleme, Taktunreinheiten oder Zügellahmheit genau hinterfragt. Der Faktor Training und der Einfluss des Reiters spielen in der Physiotherapie beim Pferd eine wichtige, wenn auch nicht immer beeinflussbare Rolle.

Frühere Verletzungen und Erkrankungen sowie Vorbehandlungen des Tieres werden im Vorbericht ebenso erfasst. Gerade im Kleintierbereich kommt der Physiotherapeut oft im Anschluss an einen chirurgischen Eingriff zum Zug, um die Wundheilung zu unterstützen, Bewegungseinschränkungen hintanzuhalten oder den Muskelaufbau zu fördern. Der physiotherapeutische Untersuchungsgang beginnt mit einer Adspektion, wo nicht nur allgemeine Punkte wie Körperhaltung, Kon­stitution, das Verhalten des Tieres, ein etwaiger Schmerz­ausdruck und der Leistungsstand festgehalten werden, sondern im Speziellen auf die Beurteilung von Exterieur und Bemuskelung eingegangen wird. Die Körperhaltung kann zum Beispiel schmerzbedingte Entlastungshaltungen aufzeigen. Eine genaue Beurteilung der Muskulatur lässt Rückschlüsse auf die Art des Trainings beim Pferd zu. 

Auswirkungen einer unzureichenden Gymnastizierung sowie der Schiefe des Pferdes lassen sich rein adspektorisch bereits feststellen. Auch Probleme mit einem unpassenden Sattel ergeben beim Pferd ein typisches Bild. Freilich darf auch die Adspektion der Fortbewegung nicht fehlen. In der Gangbildanalyse lassen sich funktionelle Bewegungseinschränkungen und ihre Kompensationsmechanismen gut erkennen. Anschließend erfolgt eine gründliche Palpation der gesamten Körperoberfläche, um Eindrücke zu Hauttemperatur, Verschieblichkeit, Elastizität und Schmerzhaftigkeit der Gewebe zu ­sammeln. Schmerzhafte Bereiche bekommen in der Therapie oberste Priorität. Der Tastbefund wird noch durch einen funktionellen Befund ergänzt. Dazu werden alle Gelenke des Tieres auf ihre passive Beweglichkeit getestet. Hier wird klar, dass der Physiotherapeut über umfangreiches Wissen zu Anatomie und Biomechanik verfügen muss, um das physiologische Bewegungsausmaß eines Gelenkes oder eines Wirbelsäulenabschnittes von etwaigen Bewegungseinschränkungen (Blockierungen) unterscheiden zu können. 

Fallweise können neben diesen Beweglichkeitsüberprüfungen auch noch neurologische Funktionsprüfungen durchgeführt werden. Die physiotherapeutische Untersuchung schließt immer die Beurteilung der Zähne und Hufe beim Pferd (Art der Hufbearbeitung) sowie die Kontrolle der Ausrüstung (Geschirr, Sattel, Gebiss) mit ein. In einigen Fällen wird auch eine Beurteilung des Pferdes unter dem Reiter notwendig sein.

Nach der Zusammenfassung aller Befunde kann nun ein physiotherapeutischer Behandlungsplan erstellt werden, in dem notwendige Therapie- und/oder Trainingsmaßnahmen festgehalten werden. Die Tierphysiotherapie stellt eine breite Palette von Möglichkeiten zur Ver­fügung, um die evidenten Probleme zu lösen oder zumindest zu lindern. Bei funktionellen Störungen ist das Ziel die vollständige Wiederherstellung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Organismus. Sind bereits pathomorphologische Veränderungen beim Tier vorhanden, so kann die Physiotherapie nur die Symptome verbessern, Schmerzen reduzieren und vorübergehende Entspannung der Strukturen erreichen. Diese Unterscheidung ist ein wichtiger Punkt in der Aufklärung und Information des Patientenbesitzers.

Bandbreite der behandlungen

Die Physiotherapie umfasst verschiedene manuelle Behandlungsmethoden, die geräteunterstützte -Therapie sowie die eigentliche physikalische Therapie. Zu den manuellen Möglichkeiten der Behandlung gehören verschiedene Formen der Massage, die Lymphdrainage sowie Mobilisationen (z. B. Traktionen, Dehnungen u. v. m.). Ziel ist immer das Lösen von Blockierungen, das Beseitigen von Verspannungen, die Linderung von Schmerzen sowie die Optimierung von Stoffwechsel und Durch-blutung im bearbeiteten Gebiet. 

Zur geräteunterstützten Therapie zählen die Elektrotherapie (Anwendung von Strom), die Magnetfeldtherapie, die Stoßwellentherapie, der therapeutische Ultraschall, der Einsatz des Lasers oder des Rotlichttiefenstrahlers sowie die Matrix-Rhythmus-Therapie. Durch Verbesserung des lokalen Stoffwechsels und der Durchblutung mit physikalischen Mitteln werden die Schmerzsituation verbessert, das Gewebe gelockert und Blockierungen gelöst. Die physikalische Therapie im engeren Sinn umfasst die Anwendung von Wasser (Hydrotherapie), die Wärme- und Kältetherapie, Infrarottherapie sowie die Anwendung von Licht oder Aromen. Im Fokus jeder Physiotherapie am Tier stehen nicht die Behandlung einer Krankheit oder die Beseitigung eines Symptoms, sondern es geht um die generelle Anregung der Selbstheilungskräfte des Organismus. Ziel jeder Physiotherapie ist ein entspanntes, schmerzfreies und leistungsbereites Tier, da muss die Psyche unbedingt mitberücksichtigt werden. 

Neben dem kurativen Einsatz der Tierphysiotherapie ist auch die vorbeugende Anwendung als sinnvoll einzuschätzen. Das geschulte Auge des Physiotherapeuten mag Auffälligkeiten in der Bewegung des Tieres schon früh erkennen, lange bevor es zu degenerativen Veränderungen oder Schmerzen kommt. Viele Schäden am Bewegungsapparat entstehen durch einseitige Belastungen, Fehlhaltungen und Überlastungen. Die natürliche Schiefe ist besonders beim gerittenen Pferd zu berücksichtigen. 

Ein nicht angepasstes Training führt rasch zu Verspannungen und Bewegungseinschränkungen, welche meist zur Überlastung distaler Strukturen führen. Sehnenverletzungen beim Pferd sind da vorhersehbar. Ausreichende Gymnastizierung, korrekte Dressurarbeit sowie eine regelmäßige Kontrolle und Therapie durch den Physiotherapeuten können dies verhindern.

Neben der Physiotherapie gibt es freilich noch weitere alternative Behandlungsansätze, die je nach Indikation zum Ziel führen können. Hierzu zählen zum Beispiel die Akupunktur, die Osteopathie und die Chiropraxis, - welche gut mit der Tierphysiotherapie kombiniert werden - können.

Sowohl die Tierphysiotherapie als auch komplementärmedizinische Angebote lassen sich bei entsprechendem Wissen gut in der täglichen Praxis einsetzen. Sie erweitern das Leistungsangebot und werden auch vom Kunden immer öfter nachgefragt. Der ganzheitliche Ansatz, wo Gesundheit als vollkommenes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden definiert wird, bietet die Gelegenheit, den Patienten von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten, setzt andere Schwerpunkte in der Diagnostik und eröffnet eine weite Palette von Therapiemöglichkeiten.