Sprechstunde

bei Dr. Google

Tierärztin Tanja Warter

Tierbesitzer suchen immer öfter im Internet Antworten auf medizinische Fragen. Das kann manchmal hilfreich sein, bei schlechten Quellen aber auch fatale Folgen haben.

 

Wie lange dauert die Läufigkeit einer Hündin? Wie viele Zitzen hat eine Sau? Wie ist die normale Körpertemperatur einer Katze? Welche Impfungen muss mein Tier für eine Reise nach Italien haben? Es gibt zig Fragen von Tierhaltern, auf die es im Internet seriöse Antworten gibt. Es ist für uns alle zu einer angenehmen Gewohnheit geworden, sich Infos schnell und einfach mit Google beschaffen zu können.

Weniger angenehme Folgen kann die Befragung von Google bei medizinischen Problemen haben. In Foren, in denen beispielsweise Katzenbesitzer ihre Erfahrungen und Sorgen austauschen, werden immer wieder Gesundheitsfragen gestellt: „Meine Katze hat einen Dippel am Bauch. Was könnte das sein?“ Oder: „Meine Katze miaut ganz heiser. Muss ich deshalb wirklich zum Tierarzt, oder kann ich ihr Hustensaft von den Kindern geben?“ 

Die Antworten auf solche Fragen stammen meist von Menschen, deren Samtpfoten schon einmal ähnliche Probleme hatten. Die Laien geben ihre Tipps im Netz weiter. 

Skurrile Situationen und absurde Fakten

Das mag gut gemeint sein, kann aber zu skurrilen Situationen führen. So kam beispielsweise die Besitzerin eines zwölf Wochen alten Welpen zur Impfung in die Ordination einer Kollegin. Bei der Untersuchung wurde die Tierärztin stutzig, denn sie hatte zuvor in den von der Helferin eingetragenen Daten gelesen, dass es sich um eine Hündin namens Lilli handeln würde. Doch bei Lilli ließen sich eindeutig Hoden tasten. Die darauf angesprochene Besitzerin bekam einen Schreck. Sie hatten den Hund als Weiberl gekauft. Die „Beule unter dem Bauch“ hatte sie auch bemerkt – und gegoogelt. Sie erfuhr im Internet, dass es sich um einen harmlosen Nabelbruch handeln würde. Dass aus dem Hundemädchen nach der tierärztlichen Untersuchung ein Bub geworden war, verwirrte sie komplett. 

Noch ein amüsantes Beispiel: Bei einer Röntgenuntersuchung in England wurde im Magen eines Dalmatiners ein metallischer Gegenstand, wahrscheinlich eine Münze, entdeckt. Auf Nachfrage beim Besitzer, ob es möglich sei, dass der Hund ein Geldstück verschluckt habe, antwortete dieser: „Aber ja, wir geben ihm jeden Monat einen Penny zum Entwurmen. Den Tipp haben wir aus dem Internet.“ Tatsächlich wird in britischen Foren unter Suchbegriffen wie „deworm with penny“ darüber diskutiert, dass dies eine gute Wurmkur nach alter Schule sei.  

Nicht immer gehen Fehlinformationen aus dem Internet so belustigend aus. Im Gegenteil, falscher medizinischer Rat kann im schlimmsten Fall tödlich enden. Wie zum Beispiel bei jenem Kater, der keinen Harn mehr absetzen konnte und auf dem Katzenklo laut aufjaulte. Die Besitzerin des Tieres bekam für dieses Symptom im Internet die Laiendiagnose, dass es sich wohl um eine nicht weiter besorgniserregende Blasenentzündung handeln würde. Sie solle ein paar Tage abwarten und dem Tier reichlich zu trinken anbieten – „gut für die Nieren“. In Wahrheit hatte das Katerchen aber keine Blasenentzündung, sondern Harnsteine, die seine Harnröhre verstopften. Abwarten war der schlechteste aller Ratschläge, der kleine Stubentiger überlebte das nicht.

Symptome richtig einzuschätzen, dazu braucht es hohes Fachwissen. Der Gedanke, wie umständlich möglicherweise der Weg zum Tierarzt ist und wie einfach und kostengünstig hingegen die Sprechstunde bei Dr. Google abläuft, sollte keinesfalls dazu verleiten, sich aus dem Netz eine Therapieanleitung zu holen. Selbst bei vermeintlich einfachen Dingen gibt es zu viele Informationen, die man einschätzen und bewerten muss. Gibt man bei ­Google „Zecke entfernen Hund“ ein, spuckt der Computer 44.500 Ergebnisse aus. Natürlich ist die ganze Palette der verbreiteten Irrtümer darin enthalten: Öl drauf, Klebstoff drauf, nach rechts drehen, nach links drehen, Pinzette verwenden, keinesfalls eine Pinzette verwenden etc. Hinzu kommt eine Konfrontation des Tierbesitzers mit den gesammelten Möglichkeiten der durch Zecken übertragbaren Krankheiten. Beim Tierbesitzer kommt es durch die Überforderung mit der gesamten Differenzialdiagnose zu großer Sorge oder gar Panik. Ein Phänomen, das Humanmediziner häufig am Beispiel „Kopfweh“ erleben, wenn Patienten nach Befragung von Dr. Google nach möglichen Ursachen auf Begriffe wie „Tumor“ stoßen. 

Hoher Beratungsbedarf

Die Herausforderung für den Veterinärmediziner besteht also nicht mehr nur darin, eine gesicherte Diagnose zu erstellen. Zusätzlich muss er fehlinformierte, verängstigte Patientenbesitzer beruhigen, indem er sachliche Argumente einbringt, oder sie in manchen Fällen sogar von einer vorgefertigten Diagnose abbringen.

Dr. Google kommt aber nicht nur vor dem Besuch beim Tierarzt zum Einsatz. Auch nachher setzen sich viele Menschen an den Rechner, um den Befund genauer zu verstehen und sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Verständlich, denn viele Tierbesitzer sind während der Untersuchung aufgeregt und außerdem auf ihren Liebling konzentriert. Viele bekommen kaum mit, was ihnen gesagt wird, und stellen noch nach Tagen längst besprochene Fragen: Darf er alles fressen? Wie lang soll ich spazieren gehen? Ist schwimmen nun erlaubt? Solche Infos geraten ebenso in Vergessenheit wie die Fakten über ein Krankheitsbild.

In diesem Fall ist es oft nicht schlecht, wenn sich der Patientenbesitzer in Ruhe mit der neuen Materie beschäftigt. Weil er schon eine Diagnose in der Hand hat, kann er sich gezielt auf die Suche nach Zusatzinformationen machen. Das gelingt besser, als mit ein oder zwei Symptomen eine mögliche Krankheit zu finden. Und natürlich gibt es auch seriöse Ratgeberseiten, auf denen sich Tierbesitzer wertvolle Tipps holen können. Ist eine fachliche Diagnose gestellt, kann es helfen, wenn sich zum Beispiel Menschen mit Diabetikerkatzen ihre Erfahrungen erzählen.

Tipp für Veterinäre

Mediziner kommen an Dr. Google nicht vorbei. Sein Ruf ist schlecht, aber er wird so oft konsultiert wie kein anderer Arzt. 93 Prozent aller Internetnutzer recherchieren zu Gesundheitsfragen. Außerdem wurde in der Humanmedizin erhoben, dass 68 Prozent der Befragten der Meinung sind, ein Arzt mit einem umfassenden Internetauftritt habe höhere Chancen, ausgewählt zu werden. Denn auch das weiß der Tierbesitzer 4.0: Im Netz gibt es nicht nur Infos zu medizinischen Fragen, sondern auch zum Thema „Wo soll ich hin mit meinem Problem?“. Die eigenen tierärzt­lichen Schwerpunktthemen hervorzuheben kann für neue Kunden also entscheidend sein.