Rehabilitationsmedizin:

Zentrum für Tiermobilität in Deutschland eröffnet

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Die Physiotherapie kann die Lebensqualität alter und kranker Tiere entscheidend verbessern. Da man praktischen und wissenschaftlichen Aufholbedarf ortete, wurde nun in München das erste interdisziplinäre Zentrum dafür eröffnet.

 

Ob in der inneren Medizin oder der Chirurgie, der Neurologie, der Kardiologie oder der Onkologie – in den meisten Disziplinen arbeitet die Tiermedizin längst auf human­medizinischem Niveau. Nach Ansicht der renommierten Medizinischen Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München gab es in Deutschland auf dem Gebiet der Physiotherapie wie auch der Rehabilitationsmedizin praktischen wie auch wissenschaftlichen Aufholbedarf. Mit der auch stetig wachsenden Nachfrage hat man sich nun entschlossen, die physikalische Therapie auf professionellere Füße zu stellen: Die LMU München eröffnete im Jänner 2019, unterstützt von Vetoquinol und in enger Zusammenarbeit mit der benachbarten Chirurgischen und Gynäkologischen Kleintierklinik der LMU, das erste interdisziplinäre Zentrum für Tiermobilität für Hunde und Katzen in Deutschland. 

Das Besondere an dem ambitionierten Vorhaben, das neben einem neuen klinischen Angebot auch Forschung und Lehre umfasst, ist sein integrierter, ganzheitlicher Ansatz. Denn außer Verletzungen und Gelenkserkrankungen, die für Laien wohl die bekanntesten Tätigkeitsfelder der Physiotherapie sind, können sich auch neurologische und internistische Erkrankungen oder einfach das Alter negativ auf Mobilität und Fitness von Hunden und Katzen auswirken und ihre Lebensqualität empfindlich beeinträchtigen. „Die Potenziale der physikalischen Therapie für die Patienten lassen sich dort am wirkungsvollsten entfalten, wo sie interdisziplinär eingebunden ist“, bestätigt Prof. Dr. Katrin Hartmann, Vorstand der Medizinischen Kleintierklinik. Die Voraussetzungen dafür hat man an der LMU geschaffen: Erfahrene klinische Spezialisten und Wissenschaftler der Fachbereiche Neurologie, Rehabilitationsmedizin, Onkologie, Kardiologie, Orthopädie, innere Medizin, Dermatologie, Gesundheitsvorsorge und Ernährung arbeiten hier in engem Austausch miteinander und können dabei auf eine hochmoderne technische Ausstattung zugreifen. Gleichzeitig macht die langjährige Expertise im Bereich der Gelenkgesundheit und Schmerztherapie Vetoquinol zu einem guten Partner für das neue Tiermobilitätszentrum. Das Unternehmen setzt ebenfalls auf einen multimodalen Therapieansatz und unterstützt das Projekt.

Das Zentrum für Tiermobilität soll Hunden und Katzen, die an Schmerzen, Muskelverspannungen und -abbau sowie Lähmungen leiden, eine weitere Therapieoption bieten. Gleichzeitig soll es dazu beitragen, Wissenslücken zu schließen und die tiermedizinische Physiotherapie auf eine umfassende wissenschaftliche Grundlage zu stellen. „Mit dem Zentrum haben wir die Möglichkeit geschaffen, über die Fachbereiche hinweg evidenzbasiert die wirkungsvollsten Behandlungsmethoden zu identifizieren und Qualitätsstandards zu schaffen, die den Tierbesitzern

Orientierung bieten“, erläutert Prof. Dr. Susanne Lauer, Spezialistin für Sportmedizin und Rehabilitation an der Gynäkologischen und Chirurgischen Kleintierklinik. Lauer arbeitet eng mit der Neurologiespezialistin und Leiterin des Fachbereichs Neurologie an der Medizinischen Kleintierklinik, Prof. Dr. Andrea Fischer, zusammen, die das Zentrum für Tiermobilität maßgeblich mit auf den Weg gebracht hat. Gemeinsam mit Dr. Barbara Esteve, akademischer Expertin für veterinärmedizinische physikalische Medizin und Rehabilitation, bilden Fischer und Lauer das tierärztliche Kernteam des Zentrums. 

Von der neuen Einrichtung profitieren neurologische, orthopädische, kardiologische, geriatrische, adipöse sowie Tumor- und Intensivpatienten und akute oder chronische Schmerzpatienten, aber auch der Sport- und Arbeitshund. Ein besonderes Augenmerk gilt alten Tieren. „Rund 65 Prozent der Hunde, die in den letzten fünf Jahren in der Medizinischen Kleintierklinik behandelt wurden, waren älter als acht Jahre“, weiß Dr. Barbara Esteve. Aber auch junge Tiere sind eine wichtige Zielgruppe: „Bei Welpen und Junghunden mit neurologischen Bewegungsstörungen kann eine intensive physikalische Therapie Spätfolgen entscheidend minimieren“, erklärt Prof. Andrea Fischer. Die professionelle Physiotherapie dient aber nicht nur der Rehabilitation und Heilung, sondern auch der Erhaltung der Gesundheit. „Der Prophylaxe, also den vorbeugenden Maßnahmen, wird oft zu wenig Beachtung geschenkt“, so Prof. Dr. Katrin Hartmann.

 
Verschiedene Disziplinen im Einsatz

„Für uns steht dieses Thema besonders im Fokus, und die Physiotherapie hat hier neben der Gesundheitsvorsorge zur Verhinderung von Infektionskrankheiten und der Ernährungsberatung einen zentralen Platz.“ Je nach medizinischem Fall kommen verschiedene Behandlungsmethoden zum Einsatz. Im Mittelpunkt steht die manuelle Therapie mit Massage und Gelenksmobilisation. Mit neurologischen Reha-Patienten trainiert Esteve vor allem Bewegungsabläufe und konzentriert sich auf den gezielten Muskelaufbau, dabei kommen sowohl Trocken- als auch Unterwasserlaufband zum Einsatz. 

In der Schmerztherapie geht es darum, die Beweglichkeit der Gelenke, Muskeln und Faszien zu fördern und Entzündungserscheinungen zu mildern. Gelegentlich setzt Esteve auch Maßnahmen ein, die in der Humanmedizin erfolgversprechend sind, wie Akupunktur, Elektrostimulation, therapeutischen Ultraschall, Stoßwellen, Kernspinresonanz- oder Lasertherapie. Daneben berät sie die Tierbesitzer, wie diese mit ihren Vierbeinern zu Hause üben können. Um die physikalische Therapie nachhaltig voranzubringen, ist es den Projektpartnern zudem ein Anliegen, zukünftige Tierarztgenerationen bestmöglich auf ihre Aufgaben vorzubereiten. So ist auch die Erarbeitung eines sinnvollen Curriculums für die Lehre ein zentrales Ziel des Projekts.

Im Zentrum für Tiermobilität haben auch Studierende die Möglichkeit, die erlernte Theorie in der Praxis zu erleben.

Das Zentrum für Tiermobilität steht Hunden und Katzen mit eingeschränkter Mobilität ab sofort fünf Tage in der Woche zur Verfügung.

www.medizinische-kleintierklinik.de