Jedes Knie ist anders –

Ein Gespräch über das Kniegelenk mit Univ.-Doz. Dr. med. vet. Dipl. ECVS Dragan Lorinson

Dr. med. vet. Astrid Nagl
Tierärztin und Buchautorin

Ein Chihuahua hüpft in die Ordination – auf drei Beinen … Die habituelle Patellaluxation ist bei jungen Tieren, vor allem bei Zwergrassen, eine häufige Diagnose. Deren Besitzer*innen sind jedoch oft verunsichert, wenn in diesem Alter von einer Operation die Rede ist.

Wann sehen Sie jedenfalls die Notwendigkeit einer OP?
Wenn es um die Entscheidung geht, ob und wann operiert werden soll, stehen das Alter des Tiers und die tatsächlichen Beschwerden im Vordergrund. Die wenigsten kongenitalen Patellaluxationen sind schmerzhaft – über die Jahre kommt es aber durch die Instabilität zu Folgeschäden, zum Beispiel kann das vordere Kreuzband reißen. Ich tendiere deshalb schon dazu, die Tiere in jungen Jahren zu operieren, würde aber bei einer Patellaluxation mit Grad I oder II zuwarten, bis der Patient zumindest acht Monate alt ist. Bei einem Grad IV ist diese Entscheidung komplexer, hier ist die Patella nicht reponierbar und es liegen oft massive knöcherne Verdrehungen vor.

Wie entscheiden Sie, welche OP-Technik angewendet werden soll und in welchem Ausmaß die anatomischen Voraussetzungen verändert werden müssen?
Es ist nicht jede Patellaluxation gleich zu behandeln. Ich bewerte jeden Fall individuell und versuche, anhand der anatomischen Gegebenheiten mit geringstmöglichem Aufwand für das Gelenk zu operieren. Oft reicht bei Grad I oder II eine Fasziendopplung in Kombination mit einer Kapselraffung, um die Patella in Position zu halten. Die Rezidivrate kann hierbei allerdings etwas höher liegen. Eine Vertiefung der Trochlea femoris und/oder eine Versetzung der Tuberositas tibiae wird zumeist bei Grad III und IV notwendig, jedoch ist speziell bei Vertiefungen der Trochlea femoris mit deutlich mehr dauerhaften Veränderungen am Femuropatellargelenk zu rechnen.

Diese Eingriffe bedeuten auch einen höheren Heilungsaufwand für das Gelenk und ein höheres Potenzial für Arthrose mit ihren Konsequenzen. Bei einem stark verdrehten Gelenk mit Grad IV muss ich – salopp gesagt – gröbere Umbauarbeiten machen, das heißt, Korrekturosteotomien an Femur und Tibia durchführen. Entsprechend ist die Erholungsphase länger, bis das Tier die Extremität belasten kann. Und leider ist nach dem Eingriff auch nicht immer ein voll funktionelles Bein garantiert.

Wie verläuft die Heilungsphase?
In der Nachbetreuung gilt es, das Gelenk für etwa 14 Tage möglichst ruhigzustellen – so gut das bei einem jungen Hund möglich ist, etwa durch Bewegung nur an der Leine et cetera. Es reicht meiner Erfahrung nach bei weniger invasiver OP-Technik, für 48 Stunden einen gepolsterten Schutzverband anzulegen. Die Langzeitprognose bei Grad I bis III ist gut bis sehr gut; nach etwa sechs bis acht Wochen zeigen die meisten Tiere ein nahezu normales Gangbild. Manche Tiere behalten, obwohl die Patella in situ ist, ihr ganzes Leben lang den „typischen Patellaluxationsgang“ – beziehungsweise immer wieder ein Anheben des Beins – bei. Diese Fälle sind jedoch extrem selten, der Grund ist nicht klar; möglicherweise tun sie es aus Gewohnheit oder aufgrund einer anderen ungeklärten Ursache.

Einen Kreuzbandriss zu erkennen sollte eigentlich eine leichte Übung sein: Durch den „Schubladen-Test“ lässt sich die Instabilität des Gelenks eindeutig feststellen. In der Praxis liegt dann ein strampelnder Dackel mit krummen, gut bemuskelten Beinen auf dem Tisch – und plötzlich ist die Diagnose nicht mehr ganz so einfach. Haben Sie hier einen Tipp für die Untersuchung?
Vor allem, wenn ein partieller Riss vorliegt, sind die Ergebnisse der palpatorischen Untersuchung tatsächlich manchmal nicht eindeutig. Ein verletztes Gelenk lässt dabei von der Stabilität her ein bisschen nach, man hat sozusagen mehr „Spielraum“ in der Bewegung im Verhältnis zu einem gesunden Gelenk. Wichtig ist, bereits bei der Erstvorstellung eines solchen Patienten so gründlich wie möglich zu untersuchen. Achten Sie auf Schwellung und Dolenz des Gelenks. Weiters sollte man zumindest in physiologischer Winkelung und in gestreckter Position des Kniegelenks auf Instabilität mittels Schubladentest respektive Tibiakompressionstest prüfen.

Sofern nicht ein beidseitiges Problem vorliegt, kann mit dem anderen Knie verglichen werden. Sehr unruhige, widerspenstige Patienten sollten zur bestmöglichen Evaluierung sediert werden. Bei vollständiger Ruptur des kranialen Kreuzbands ist die Diagnose mit der Schubladenprobe in vielen Fällen auch an nicht sedierten Patienten möglich. Bei sehr großen und stark bemuskelten Hunden fällt der Tibiakompressionstest oft leichter. Im Fall eines Kreuzbandrisses sollte eine Operation zeitnah durchgeführt werden.

Wie erkenne ich, ob der Meniskus betroffen ist?
Diese Patienten gehen auch Tage nach der Verletzung hochgradig lahm. Ein begleitender Meniskusschaden bei einem Kreuzbandriss betrifft rund 40 bis 60 % der Patienten. Im Zuge der Untersuchung kann man bei maximaler Beugung und Streckung des Gelenks ein Klicken oder Ploppen hören, wenn der Meniskus rutscht – das klingt ganz anders als die Pseudokrepitation, die wir bei arthrotischen Patienten oft hören. Viele Patienten lassen die passive Bewegung aber gar nicht zu, weil es ihnen so wehtut.

Welche OP-Technik bevorzugen Sie beim Kreuzbandriss – Tibial Tuberosity Advancement (TTA, Anm.) oder Tibia Plateau Leveling Osteotomy (TPLO, Anm.)? Sind die Eingriffe auch arthroskopisch möglich?
Das Kniegelenk ist arthroskopisch eines der schwierigeren Gelenke, obwohl es ein großes Gelenk ist. Oft gibt es Probleme mit der Sicht, etwa aufgrund von Blutungen, Gelenkszotten et cetera. Übung hilft natürlich – eine Arthroskopie des Kniegelenks kann aber immer länger dauern als geplant, das muss man einberechnen. Daher ist abzuwägen, ob die Minimalität der Arthroskopie bei einer geplanten TPLO, TTA oder anderen Osteotomietechnik auch wirklich zum Tragen kommt. Von der Methodik her wähle ich meist die TPLO. Bei kleineren Hunden bis 25 Kilogramm entscheiden sich manche Tierhalter gegen eine Osteotomietechnik; in diesen Fällen verwende ich auch gerne eine Bandersatztechnik. Dafür arbeite ich bevorzugt extrakapsulär, das heißt, ich gebrauche körperfremde Materialien für den Bandersatz. Je schwerer der Hund ist, umso größer ist die Gefahr, dass das Gelenk trotz Bandersatz instabil bleibt und dann etwa ein sekundärer Meniskusschaden entsteht. Daher wende ich bei Hunden über 25 Kilogramm eher die TPLO an. Es gibt auch Kolleg*innen, die mit einer Kombination von TPLO und Bandersatz gute Erfahrungen gemacht haben.

Orthopädische Probleme werden von einigen Besitzern nicht unbedingt als Priorität empfunden – oft hören wir zum Beispiel: „Ich habe auch Schulterschmerzen.“ Gerade bei Arthrosepatienten ist die Besitzer-Compliance ein wichtiger Aspekt. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Die Behandlung chronischer Krankheiten wie der Arthrose ist oft langwierig und mit Aufwand seitens der Besitzer*innen verbunden. Sie wollen hören, ob es vielleicht ein Wundermittel gibt, und holen eine zweite oder dritte Meinung ein. Was wir empfehlen, wird durchaus auch kritisch hinterfragt. Die meisten Menschen, die mit ihren Tieren zu uns kommen, sind aber bereit, etwas für sie zu tun.

Was tun, wenn bei der orthopädischen Untersuchung gleich mehrere Probleme festgestellt werden – zum Beispiel eine Hüftdysplasie und eine Patellaluxation?
Es ist ohnehin schwer, ein Gelenk isoliert zu betrachten. Durch die Untersuchung versuche ich herauszufinden, was dem Tier am meisten wehtut, und setze entsprechende Prioritäten bei der Therapieplanung. Auch Gewichtsreduktion, Physiotherapie und gleichmäßige Bewegung können für die Lebensqualität der betroffenen Tiere viel bewirken.


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