Gross, grösser –

besser?

Mag. Angelika Kramer
Redakteurin Wirtschaftsmagazin „trend“

Von Finanzinvestoren dominierte Tierklinik-Ketten sind auch in Europa auf dem Vormarsch. Das Modell wird auch von der EU-Kommission favorisiert. Österreich hat die Beschränkung von Fremdkapitalbeteiligungen an Praxen jetzt sogar eine Klage beim EuGH eingebracht. 

Zufriedene Hundebesitzer hören sich anders an: „Wenn ich null Sterne vergeben könnte, würde ich das jetzt tun. Ich war gestern mit meinem Hund in einer Banfield-Klinik und die haben nicht einmal die Ohren untersucht. Zu Hause habe ich gesehen, dass er eine Ohrenentzündung hat. Als ich mich in der Klinik beschwerte, wurde mir gesagt, man sei nicht verpflichtet, die Ohren oder Augen zu untersuchen. Warum zahle ich so viel, wenn sie gar nichts untersuchen? Grauenvolle Klinik!“ So machte dieser Tage ein User namens Zeynep aus Virginia seinem Ärger über eine Banfield-Klinik in einem Bewertungsportal Luft. 

Insgesamt gibt es in den USA bereits 1.000 Banfield-Tierspitäler. Damit ist die Klinikkette eine der größten der Welt. Doch dem Süßigkeiten-Konzern Mars, eigentlich bekannt für Schokoriegel wie Snickers oder Twix, reichten diese 1.000 Spitäler im Konzern nicht aus, und er kaufte Anfang des Jahres in dem Bereich weiter groß ein. Um insgesamt 9,1 Milliarden Dollar übernahm Mars eine weitere Tierklinikkette in den USA, mit dem Namen VCA. Weitere 750 Tierkliniken kommen also hinzu und formen damit die weltweit größte Kette zur Gesundheitsversorgung von Haustieren. Doch damit nicht genug: Unter dem Konzerndach von Mars entsteht damit nicht nur die größte Klinikkette für Tiere, sondern ein Machtapparat, der weit über die Gesundheitsversorgung hinausgeht. Im Zuge dieser vor wenigen Wochen genehmigten Übernahme wurden in den USA Stimmen laut, die die Qualität der Gesundheitsversorgung in Gefahr sahen, die von 08/15- oder Fließband-Versorgung für die Tiere sprachen und die vor einer gefährlichen Monopolbildung warnten. 

In den USA findet eben eine bedauerliche Fehlentwicklung statt – gut, dass wir in „Good Old Europe“ sind und solche Veränderungen beruhigt aus der Ferne betrachten können, ist man versucht zu sagen. Aber ist das wirklich so, sind Europas Tiere vor Behandlungen sicher, die nur auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind? Nicht ganz.

Kliniken besitzen Hohe Marktanteile

Auch in Europa schaffen sich die großen Ketten, ausgehend von Skandinavien, immer mehr Raum. Die schwedische Kette Anicura ist mittlerweile in sieben europäischen Ländern tätig, auch in Österreich. Insgesamt arbeiten 3.500 Mitarbeiter für Anicura, zu ihren Eigentümern zählen Finanzinvestoren wie Nordic Capital. Ähnlich groß ist der ebenfalls schwedische Konkurrent Evidensia, der es in fünf Jahren auf beachtliche 800 Kliniken in sieben europäischen Ländern gebracht hat. In Skandinavien beträgt die Marktkonzentration der großen Ketten mittlerweile über 50 %, auch in Großbritannien wird der Markt von einigen großen Playern beherrscht, die Rede ist von Marktanteilen von 40 % aufwärts. Und seit der Übernahme von VCA durch Mars wird auch in Europa immer wieder gemunkelt, dass hier amerikanische Verhältnisse Einzug halten könnten.

Auf der Website von Anicura, das seit dem Markteintritt im Jahr 2015 mittlerweile auch vier Kliniken in Österreich (in Hollabrunn, Korneuburg, Wien-Aspern und Wien-Breitensee) betreibt, werden Qualitätskriterien in den Vordergrund gestellt: „Unser Ziel ist es, die höchstmögliche medizinische Qualität zu gewährleisten. Wir arbeiten intensiv an der medizinischen Qualitätsentwicklung und wir investieren in Ausbildung, Forschung und Geräte. Alle Gewinne werden reinvestiert, kein Eigentümer bekommt Dividenden ausgezahlt.“ 

Wie aber sieht das tatsächlich in einer österreichischen Anicura-Klinik aus? Wir fragen Ignacio Lanza, den Geschäftsführer der Klinik in Hollabrunn, die 51 Mitarbeiter, davon 17 Tierärzte, beschäftigt. Der aus Spanien stammende Tierarzt ist erst seit etwa einem Monat Geschäftsführer der Klinik, aber schon jetzt von den Vorteilen, die Anicura bietet, überzeugt: „Wichtig ist, dass jede Klinik medizinisch unabhängig ist und ihre eigenen Entscheidungen treffen darf.“ Auch Preisvorgaben oder Wünsche aus Schweden, wie viele Tiere pro Tag behandelt werden müssen, gebe es nicht, so Lanza. Dennoch werde man bei kniffligen Fällen nicht alleingelassen: „Wir haben ein internationales Netzwerk und können uns im Fall der Fälle untereinander beraten und austauschen“, erzählt er. Neben einer Chirurgie-Abteilung gibt es in Hollabrunn auch Internistik, Onkologie und Augen- und Zahnheilkunde. Den aus seiner Sicht größten Vorteil gegenüber kleineren Kliniken ortet Lanza im stärkeren Geldfluss: „Die Station und die OP-Bereiche wurden erst im Sommer renoviert und durch Investitionen auf den neuesten Stand der Technik gebracht“, berichtet er. Fünf neue Ordinationsräume sind dazugekommen, MRT und CT gab es bereits davor. Aber was sagt er zu dem Vorwurf, Tiere würden in der Großklinik wie am Fließband behandelt, es fehle die menschliche Note? „Wir führen regel­mäßig Befragungen unserer Kunden durch. Zuletzt haben wir über 70 % Zufriedenheitswerte bekommen. Und das trotz des Umbaus“, ist er stolz. Auch die Tatsache, dass Tierärzte aus der Umgebung bei schwereren Fällen an die Anicura-Klinik überweisen, spräche für seine Klinik. Er räumt aber ein: „Natürlich ist es ein Business. Wie für jeden anderen selbstständigen Tierarzt auch.“ Möglich, dass Großklinken wie jene, der Lanza vorsteht, auch in Österreich bald vermehrt entstehen, denn die Politik scheint wild entschlossen zu sein. 

Die österreichische Regierung hat letztes Jahr eine Berechnung präsentiert, wonach das Wirtschaftswachstum um 0,3 % angekurbelt und 6.000 neue Jobs entstehen könnten, wenn man Konzernen und Kapitalgesellschaften erlauben würde, in heimische Praxen zu investieren. Die Zahl betrifft nicht nur Tierärzte, sondern alle freien Berufe in Österreich.

Experten wie Professor Friedrich Schneider von der Universität Linz halten diese Zahlen jedoch für „völlig überzogen“; sie warnen vor Monopolisierung und einer Verteuerung der Leistungen. Doch der Druck zur völligen Öffnung der Tierarztpraxen kommt nicht nur aus Wien, sondern verstärkt auch aus Brüssel. Erst vor kurzem hat die EU-Kommission bekannt gegeben, dass sie Klage gegen einige europäische Länder, darunter Österreich, beim Europäischen Gerichtshof einbringen wolle. Gegenstand sind die Beschränkungen für Fremdkapitalbeteiligungen in Österreich bei Ziviltechnikern, Patentanwälten und eben Tierärzten. 

Für Kurt Frühwirth, den Präsidenten der Tierärztekammer, sind die Vorwürfe der Kommission nicht nachvollziehbar: „Wir haben seit der Einleitung des Verfahrens ohnehin schon etliche Nachjustierungen im Gesetz durchgeführt. Das scheint Brüssel entgangen zu sein. Was wollen sie denn noch?“ So sei man der EU bei der Honorarordnung entgegengekommen und das Beispiel Anicura zeige, dass das österreichische Tierärzte­gesetz genug Spielraum für ausländische Nicht-Tierärzte als Investoren lasse. Frühwirth ist überzeugt davon, dass die Preise für Anicura-Kunden, wenn die Konzentration zunähme, langfristig ansteigen würden. Dies würden Beispiele aus anderen Ländern zeigen. „Das kann doch nicht im Interesse der Kommission sein, dass sich Tierhalter die Behandlung nicht mehr leisten können“, ist der Kammerpräsident überzeugt. Und ihn plagt noch ein anderes Problem: das Thema Versorgungssicherheit. Immer öfter würden Tierärzte aus dem ländlichen Raum abwandern. Vor allem Frauen, die flexiblere Arbeitsbedingungen suchen, würden eigene Praxen aufgeben und unter das Anicura-Dach schlüpfen. Frühwirth bemängelt, dass die EU-Behörden in dem Zusammenhang viel zu wenig Augenmerk auf gewachsene Strukturen legen würden.  

Tierklinik-Kette oder lieber kleine praxis? 

Wie so vieles im Leben haben beide Varianten Vor- und Nachteile. Es gilt nur, die Entwicklung genau im Auge zu behalten und wenn nötig aufzustehen und mögliche Gefahren aufzuzeigen. So, wie das Österreich gerade beim Europäischen Gerichtshof macht.