Ganzheitlichintegrative Heilmethoden

in der Tiermedizin

Bettina Kristof

Die universitär gelehrte Medizin (früher: „Schulmedizin“) und ganzheitlich-integrative Heilmethoden ergänzen sich auf sinnvolle Weise. Das Vetjournal interviewte zwei Experten.

Wichtig bei ganzheitlich-integrativen Heilmethoden ist, dass die Diagnose- und Therapieverfahren durch tierärztlich anerkannte Institute und Akademien vermittelt ­werden. Nur so kann ein hoher Qualitätsstandard, gepaart mit Glaubwürdigkeit, erreicht werden.

Akupunktur und Neuraltherapie 
Zu diesem Thema interviewten wir Dr. Andreas Zohmann, langjähriger Leiter des Vierbeiner Rehazentrums sowie der Privaten Akademie für erweiterte Tiermedizin in Bad Wildungen (Nordhessen, D) und Konsiliartierarzt der Praxisgemeinschaft Vet & Physio in Oberalm bei Salzburg.  

Herr Dr. Zohmann, Sie haben früh begonnen, sich mit Akupunktur und Neuraltherapie zu beschäftigen. Was hat Sie dazu bewogen?
Das geht aus meiner medizinischen Geschichte hervor. Mir wurde das Thema Ohrakupunktur für die Doktorarbeit angeboten und ich habe es gewählt – eigentlich, weil ich beweisen wollte, dass so etwas nicht funktionieren kann. Aber ich wurde eines Besseren belehrt: Ich konnte den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, wie Ohr­akupunktur beim Tier funktioniert. Das war mein Einstieg in die Komplementärmedizin. Mich hat fasziniert, dass man auch mit sehr einfachen Methoden diagnostizieren und therapieren kann. Nach dem Studium hatte ich die Möglichkeit, bei einer Pharmafirma in die Neuraltherapie einzusteigen. Ich habe Vorlesungen von Dr. Kothbauer besucht, der damals weltweit Pionier und federführend in den Bereichen Veterinärakupunktur und -neuraltherapie war.

Sie hielten später dann auch Vorlesungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Wie lange haben Sie dort unterrichtet?
Insgesamt zehn Jahre lang. Ich habe mich schwerpunktmäßig auf Akupunktur und Neuraltherapie bei Kleintieren und Pferden konzentriert, Prof. Dr. Kothbauer auf landwirtschaftliche Nutztiere. Wichtig war uns immer, dass eine Methode reproduzierbar, lehrbar und lernbar ist. Wenn man das berücksichtigt, bekommen diese Methoden Universitätsreife. Hier haben wir viel geschafft, es gibt aber noch genug Luft nach oben. In der Österreichischen Gesellschaft der Tierärztinnen und Tierärzte habe ich die Sektion für Akupunktur, Neuraltherapie und Homöopathie gegründet; heute heißt sie Sektion für Ganzheits­medizin. 

Aktuell halten Sie Kurse an der Privaten Akademie für erweiterte Tiermedizin in Bad Wildungen und in Österreich im Rahmen der Sektion Ganzheitsmedizin der ÖGT. Auf welche Bereiche haben Sie sich da spezialisiert?
Von den Methoden her auf Akupunktur, ­Neuraltherapie, physikalische Medizin, Physiotherapie. Von den Einsatzbereichen her sehe ich mich in erster Linie als konservativen Orthopäden und Neurologen und Schmerztherapeuten. Der Bewegungsapparat und die damit verbundenen Schmerzen stehen zwar im Fokus, es ist aber ­wichtig, den ganzheitlichen Zugang zu sehen, denn der Schmerz im Bewegungsapparat ist oft nur Ausdruck einer anderen Ursache. Ich sehe den Patienten immer als Ganzes, denn die Problematik kann eventuell auch einen anderen Zugang brauchen. Jedes Tier ist ein Individuum und sollte daher auch individuell erfasst und behandelt werden. 

Es war mir schon immer ein Anliegen, die ganzheitlich-­integrativen Methoden an die Universität zu bringen. Es geht vor allem darum, dass man den angehenden Tierärzten im Rahmen des Studiums verpflichtend ein Lehrfach anbietet, das ihnen die komplementären Methoden mit ihren Möglichkeiten und Grenzen näherbringt. Die Studierenden sollen wissen, was es gibt, was welche Methode kann und was nicht – auch, wenn noch nicht alles wissenschaftlich bewiesen ist und nicht jeder alles können oder praktizieren muss. 

Welche der integrativen Methoden, die Sie anbieten, helfen am besten gegen Schmerzen? 
Es liegt in der Hand des einzelnen Tierarztes, welchen Methoden er in welchem Fall den Vorrang gibt. Akupunktur und Neuraltherapie erzielen in der Schmerztherapie oft große Erfolge und ich setze sie gerne in Kombination mit Osteopathie, Chiropraktik und physikalischer Medizin respektive Physiotherapie ein. Unbedingt erwähnen möchte ich im Bereich der Schmerzbekämpfung die Goldimplantation. Diese Schmerztherapie zeigt bei Patienten mit chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates gute ­Erfolge. Dabei wird elementares Gold in Form von ­kleinen Drahtstückchen an Akupunkturpunkten implantiert. ­Diese Goldimplantate wirken entzündungshemmend und schmerzstillend. Der wissenschaftliche Nachweis fehlt aber noch. Ich bin in meiner zweiten Doktorarbeit damit beschäftigt, diesen zu erbringen.  

Sie sind in Österreich Vorsitzender der Fachtierarzt-Prüfungskommission Akupunktur und Neuraltherapie und prüfen Physikalische Medizin in Deutschland. Ist das Interesse der Tierärzte an diesen Disziplinen groß? 
Ja, ist es. Die Tierärzte selbst schätzen die ganzheitliche Herangehensweise, weil sie einen größeren Diagnostik- und Behandlungsspielraum bietet und sehr gute Erfolge bringt. Auch die Sicht auf den Patienten mit seiner ganzen Geschichte bis hin zur Berücksichtigung seines Umfelds bereichert die tierärztliche Vorgehensweise und Arbeit ungemein. Weitere wichtige Gründe für das Interesse sind der Wunsch der Tierhalter, Nebenwirkungen bei ihren Tieren möglichst gering zu halten, und der Anspruch der Konsumenten auf Nahrungsmittel wie Milch und Fleisch, die möglichst frei von Rückständen sind. Die besten Ergebnisse erzielt man durch die gekonnte Verbindung universitär gelehrter „State of the Art“-Medizin und Methoden der ganzheitlich-integrativen Medizin. Nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch – individuell abgestimmt! 


Wohin geht der Trend bei den komplementären Methoden?
Die Erkenntnis muss rüberkommen, dass es bei den ganzheitlich-integrativen Methoden um ernste, hinterfragbare Medizin geht. Der Trend geht in die Richtung, die komplementären Methoden als Medicina universalis zu integrieren. Es gibt schon auch Gegner, aber deren Argumentationen halten sich auf sachlicher Ebene in Grenzen.

Homöopathie und Phytotherapie im Praxisalltag

Mag. Michael Ridler bietet in seiner Ordination für Klein- und Großtiere in Höhnhart, Bezirk Braunau, ein breites Spektrum an schul- und komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden an. Im nachfolgenden Interview verrät der Fachtierarzt für Homöopathie, wann er die ganzheit­lichen Heilmethoden bevorzugt einsetzt.

Herr Mag. Ridler, Sie bieten in Ihrer Ordination neben der klassischen Schulmedizin auch homöopathische Behandlungen und Phytotherapie an. Wo haben
Sie Ihre Ausbildungen gemacht und wie lange hat das gedauert?
Meine homöopathische Ausbildung habe ich von 2011 bis 2013 bei der EAVH (Europäische Akademie für Veterinärhomöopathie, Anm.) absolviert. Das war sicher eine der besten Weiterbildungen, die ich nach meinem Studium absolviert habe. Es ist eine sehr intensive und fundierte Ausbildung, das Gelehrte war sehr praxisrelevant und hat mein Interesse für die Homöopathie nachhaltig geweckt. Kurse für Phytotherapie habe ich an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und bei der Schweizer Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie besucht. In der Schweiz wurde die Homöopathie nach fundierter wissenschaftlicher Evaluation dauerhaft in das staatliche Gesundheitssystem aufgenommen.

Bei welchen Erkrankungen setzen Sie Homöopathie am häufigsten ein?
Für mich ist es wichtig, dass der Patient und sein Wohlergehen – und nicht die Methoden – im Mittelpunkt stehen. Ich erfasse jeden Patienten individuell und behandle ihn auch entsprechend. Das Beste für den jeweiligen Patienten kann daher etwa eine homöopathische, eine phytotherapeutische oder auch eine schulmedizinische Behandlung sein, aber auch eine Kombination unterschiedlicher Methoden. Bei gewissen Indikationen, bei denen man schulmedizinisch oft keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt, setze ich Homöopathie gerne ein, etwa bei chronischen Erkrankungen, Allergien et cetera. Es gibt auch Indikationen, bei denen schulmedizinisch keine wirksame Therapie zur Verfügung steht. Ein Beispiel aus der Großtierpraxis: Wenn bei einer Kuh die Milch ausläuft, was will man da schulmedizinisch machen? Homöopathisch ist das sehr gut zu behandeln. In der Kleintierpraxis oft vorgestellte psychische Probleme wie Eifersuchts- oder Protestverhalten lassen sich ebenfalls sehr gut mit Homöopathie therapieren. 

Wenden Sie komplementäre Behandlungsformen auch in der Schmerztherapie an?
Ja, natürlich, aber auch hier gilt wie immer: Was ist das Beste für das Tier? Bei Arthrosepatienten kann man etwa mit Phytotherapie viel erreichen: Verschiedene Kräuter greifen hervorragend in die Entzündungskaskade ein, etwa Weihrauch oder Ingwer, und haben, richtig angewandt, kaum Nebenwirkungen. Aber auch bei akuten Erkrankungen kann man mit dem richtigen homöopathischen Arzneimittel wunderbar Schmerzen lindern. Entscheidend ist, zu betonen, dass dem Tier keine konventionelle Schmerzmedikation vorenthalten wird. Wenn die Wirkung nicht unmittelbar eintritt, wird sofort auf konventionelle Schmerzmedikation zurückgegriffen. Gerade chronische Schmerzen und Altersbeschwerden lassen sich aber oftmals komplementärmedizinisch sehr gut behandeln.

Fragen die Tierhalter von sich aus nach homöopathischen Behandlungen für ihr Tier?
Bei uns schon, es hat sich herumgesprochen, dass wir uns auf diese komplementäre Behandlungsmethode spezialisiert haben. In der Kleintierordination ersuchen uns oft Patientenbesitzer, ihr Tier, das schulmedizinisch oft lange ohne Besserung in Behandlung war, homöopathisch zu therapieren. Im Kuhstall höre ich oft die Bitte: „Behandelst aber eh mit den Kugerln!“ Für die Landwirte ist die Homöopathie in Folge der Rückstandsproblematik und den damit verbundenen finanziellen Einbußen sehr interessant. In Biobetrieben sind wir Tierärzte sowieso aufgrund der sogenannten EU-Bioverordnung gesetzlich angehalten, Tiere primär komplementärmedizinisch zu behandeln. Bei ­lebensmittelliefernden Tieren fallen bei homöopathischer Behandlung keine Wartezeiten an. Zudem limitiert die EU-Bioverordnung die Anzahl der erlaubten Anwendungen von konventioneller Medikation wie Antibiotika. Manchen Landwirten ist auch die Diskussion bezüglich Antibiotikaresistenzen in der Humanmedizin bekannt und sie sehen es gerne, wenn in ihrem Betrieb weniger Antibiotika zum Einsatz kommen.

Überwiegen in Ihrer Ordination die schulmedizinischen oder die integrativen Behandlungsformen?
Wir Tierärzte sind schulmedizinisch ausgebildet, das ist wichtig für die Diagnosestellung und die Wahl der ­Behandlungsmethode. Die Wahl der Mittel hängt vom Patienten und der Art der Erkrankung ab und wird individuell entschieden. Ich würde sagen, circa ein Drittel der Patienten wird rein homöopathisch/phytotherapeutisch behandelt, aber oft kombiniere ich die Therapien. Bei Bestandsbehandlungen ist es manchmal so, dass ich alle erkrankten Tiere homöopathisch behandle und einzelne zusätzlich klassisch schulmedizinisch. Das hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.

Sind ganzheitliche Heilmethoden ein einträgliches Geschäft für den Tierarzt?
Ich wende die integrativen Methoden an, weil ich davon überzeugt bin. Ich verdiene an der ganzheitlichen Medizin definitiv nicht mehr als an der klassisch schulmedizinischen. Meine Zeit kostet in beiden Fällen gleich viel. Aber mehr Freude und Motivation habe ich, wenn ich mit komplementären Methoden helfen kann, da ich hierdurch deutlich weniger Nebenwirkungen sehe und nicht zuletzt auch dem Wunsch der Patientenbesitzer nachkommen kann.