Das Fossil von Kloster Banz, ein Fischsaurier (Ichthyosaurus) –

ein anatomischer Vergleich des Auges mit dem heutiger Vögel

Dr. phil. Natalie Gutgesell und Dr. Horst Erich König

Ichthyosaurier waren Reptilien. Ihre Fossilien zeigen: Ihr Schultergürtel war nicht fest mit dem Rumpf (wie bei Fischen) verwachsen und in ihren Flossen ließen sich Ober- und Unterarmknochen, Hand­wurzelknochen und Fingerknochen unterscheiden. 

Einleitung

Fischsaurier bevölkerten die Meere unserer Erde rund 150 Millionen Jahre lang. Nach Watson (2017) waren die Fischsaurier die größten Raubtiere, die jemals in den Meeren unseres Planeten lebten. In China wurde rezent das versteinerte Skelett eines Ichthyosauriers entdeckt, welcher vor 248 Millionen Jahren lebte (Motani et al., 2014). In der Arbeit wurde eine Zeichnung des Skeletts dieses Lebewesens veröffentlicht. Am Schädel wird auch der Skleralring dargestellt. Nach Motani et al. scheint dieser Ichthyosaurier zu einer der ersten Formen von Fischsauriern zu gehören, die sowohl an das Leben an Land als auch an jenes im Wasser angepasst waren. Davon zeugen die gut ausgebildeten Vorder- und die etwas kleineren Hintergliedmaßen. Die Fischsaurier starben vor 93 Millionen Jahren aus (Motani et al., 2014, und Rennert, 2014). Ihr Verschwinden fand also statt, lang bevor die Dinosaurier ausstarben. Letztere verschwanden vor ungefähr 60 Millionen Jahren und man vermutet, dass ihr Aussterben mit dem Einschlag eines großen Asteroiden zusammenhängt.

Befunde

Ende des Jahres 1841 wurden aus einem Felsen bei Unnersdorf unterhalb des Klosters Banz in der Nähe von Bamberg in Bayern große Teile eines versteinerten Skeletts eines Fischsauriers freigelegt (Dippold, 2011). Der Künstler und Schriftsteller Joseph Victor von Scheffel bewunderte diesen vorsintflutlichen Fund und bezeichnete ihn auch als „Meerdrachen“. Vor allem der Kopf der knöchernen Überreste wurde sorgfältig freigelegt, sodass Scheffel diesen zeichnen konnte. 

Er hatte den Fund bereits 1845 bei seinem ersten Besuch auf Banz untersucht und hielt den Bestand der dortigen „naturgeschichtlichen Sammlungen“ folgendermaßen fest: „Versteinerungen von vorsintfluthlichen Tieren (…). Die Überreste dieser Bestien, z. B. der 8 Fuß lange Kopf eines krokodilartigen Amphibiums (Ichthyosaurus) und andere, wie sie bei ihrer Nachgrabung in der dasigen Gebirgsformation gefunden werden und auf ganz riesen- und fabelhafte Gestalten schließen lassen, passen auch nicht in die Schöpfungs- und Weltgeschichte nach den Büchern Mosis“ (v. Scheffel, nach Zentner, 1926).

Neun Jahre später verfasste er sein Gedicht Der Ichthyosaurus (Scheffel, 1868), wozu ihn die im gleichen Jahr erschienene Publikation Theodoris inspiriert hatte, die auch drei lebensgroße Abbildungen des Sauriers enthält, eine des Gerippes und zwei des Kopfes (Theodori, 1854). 

Diesen Kopf zeichnete Scheffel 1859 in flottem Stil skizzenhaft in Kontur in sein Notizbuch. Die obere Schädeldecke ist durch mehrere Umrisslinien verstärkt, Unterkiefer und Zähne sind durch eine einzige Linie angelegt. Im Fokus der Darstellung steht das Auge. Eine durch Schraffuren sowie Licht- und Schattenwirkung angegebene Binnenzeichnung sparte der Künstler aus (Gutgesell, 2014, 2016).

1859 verfasste Scheffel in Banz den Bericht vom Meerdrachen, eine fiktive Geschichte der Auffindung und Bergung des Schädels unter der Leitung eines ebenfalls fiktiven Banzer Mönchs namens Nicodemus. Auf der dritten Seite des Scheffel’schen Urmanuskripts findet sich in den Text eingebettet der Saurierschädel erneut im Linienstil, jedoch mit einer leichten Andeutung einer Binnenzeichnung neben einigen in dünnerem Bleistiftstrich wiedergegebenen Wirbeln. Charakteristisch für Scheffels Werk ist, dass er nahezu alle seiner Texte mit Hunderten an Zeichnungen aus eigener Hand selbst illustrierte und Bilder und Texte stets gleichberechtigt miteinander entstanden (Gutgesell, 2014, 2016). Die skizzenartigen Visualisierungen dienten Scheffel stets der Verbildlichung der jeweiligen Narration. Den Bericht vom Meerdrachen veröffentlichte Scheffel 1863 in der Textsammlung Frau Aventiure, zu der parallel auch eine illustrierte Version erschien, deren Bilder – unter anderem auch der Meerdrachen – der preußische Maler Anton von Werner nach der Vorlage von Scheffels Zeichnungen umgesetzt hatte (Gutgesell, 2014, 2016). 

Auf diesen zeugt der lange, schnabelförmige, spitze Ober- und Unterkiefer davon, dass es sich wahrscheinlich um eine Spätform eines Fischsauriers handelt, den Scheffel bereits bei seinem ersten Besuch in Banz als „krokodilartiges Amphibium“ beschrieben hatte. 

Auf den beiden Zeichnungen wird ein besonders Cha-rakteristikum des Auges festgehalten: Der für die Ichthyo-saurier typische Skleralring, der sich in der -äußeren -Augenhaut befindet und rund um die Iris liegt.

Diskussion

Der Skleralring war nicht nur für Fischsaurier typisch, auch bei den heute lebenden Verwandten der Reptilien, den Vögeln, gibt es diese anatomische Besonderheit.

Bei Vögeln besteht der Skleralring aus 10 bis 18 (meist 15) einzelnen Knochenblättchen (Ossicula sclerae), die fischschuppenartig übereinanderliegen (Reese et. al., 2016). Der knöcherne Skleralring bildet ein mechanisches, festes Widerlager bei der Akkommodation, die im Gegensatz zu den Säugetieren mithilfe von quergestreiften Muskeln in Form einer aktiven Kompression der Linse erreicht wird. Quergestreifte Muskeln sind sehr viel schneller als vegetativ innervierte glatte Muskulatur, deshalb dürfte auch die Akkommodation sehr viel rascher erfolgen als bei Säugetieren.  

Bei Vögeln gibt es mehrere Formen von Skleralringen. Bei Hühnern ist ein flacher Ring zu beobachten, während eulenartige Vögel einen tubulären Skleralring besitzen. Entsprechend haben Hühnervögel einen flachen Aug-apfel, während Eulenartige eine tubuläre Form des Bulbus oculi zeigen. Zwischenformen treten bei anderen Vogelarten auf. Wie auch das übrige Skelett verwest der Skleralring nicht und bleibt bei Fossilien erhalten. In der Publikation von Motani et. al., 2014, ist der Skleralring auch gezeichnet abgebildet. Es werden viele Fragmente der „scleral ossicles“ dargestellt, die auf einen flachen Skleralring hinweisen. Die Publikation von Watson (2017) handelt von Fischsauriern mit einem lang gestreckten, spitzen Ober- und Unterkiefer ähnlich der des Fischsauriers von Kloster Banz.

Bei den beiden Zeichnungen von Scheffel tritt jedoch ein Unterschied betreffs der Form des Skleralrings auf: In der rechten Zeichnung, in der der Künstler einige dem Kopf nachgereihte, ringförmig dargestellte Wirbel und Rippen zeichnet, erscheint der Skleralring vom tubulären Typ. Bei der linken Zeichnung, in der er lediglich das Kopfskelett darstellt, scheint der Skleralring eine flache Form zu besitzen (Gutgesell, 2016). Um diese Ungereimtheit aufzuklären, wurde das im Museum von Kloster Banz aufbewahrte Fossil nochmals untersucht und ein Foto der Regio orbitalis angefertigt. Es zeigt sich nun deutlich, dass es sich beim Fischsaurier von Banz um die flache Form eines Skleralrings handelt.

Um mit den Worten Scheffels zu schließen: 

„Aller Mannen Neugier ward nun rege

Weiter zu erspä’n, wie’s mit dem Leibe

Dieses Riesenungetüms beschaffen …“

Damit kann heute aufgeklärt werden, wie aus anatomischer Sicht das Auge eines vor ca. 200 Millionen Jahren ausgestorbenen Lebewesens ausgesehen hat. 

Danksagung

Herzlichen Dank an Frau Dr. med. vet. Eva Polsterer für die Zeichnung des Skleralrings eines Huhns!

Anschrift der Autoren:

Dr. Natalie Gutgesell

Am Kombühl 14, D-96231 Bad Staffelstein

E-Mail: info@NatalieGutgesell.de

Emeritus O. Univ.-Prof. Dr. med. vet. Dr. habil.
Dr. h. c. mult. Horst Erich König

Veterinärmedizinische Universität Wien, Anatomie

Veterinärplatz 1, A-1210 Wien

E-Mail: horst.koenig@vetmeduni.ac.at