Herr Hamminger, Sie selbst haben ja vor 40 Jahren als Eleve in der Spanischen Hofreitschule begonnen und die gesamte Ausbildung bis zum Bereiter absolviert. Seit 1989 sind Sie Oberstallmeister und haben die Verantwortung für alle Lipizzaner in der Wiener Stallburg. Wie darf man sich Ihre Tätigkeit vorstellen?
Ich bin hier in der Spanischen Hofreitschule in Wien für 72 Hengste und das gesamte Stallpersonal, das aus 20 Pflegern, fünf Eleven und zwei Lehrlingen besteht, verantwortlich. Wir arbeiten in drei Schichten: Die erste Schicht putzt und sattelt die Pferde, füttert sie morgens und mittags, bringt sie ins Solarium und zur Magnetfeldtherapie und zu den jeweiligen Bereitern. Die zweite Schicht beginnt am Nachmittag und ist für die abendliche Fütterung zuständig, die dritte Schicht ist in der Nacht anwesend. So haben wir die Pferde rund um die Uhr unter Kontrolle und können jede Auffälligkeit frühzeitig melden und die notwendigen Schritte einleiten.
Sie haben Solarium und Magnetfeldmatte erwähnt. Bekommt jeder Lipizzaner diese Anwendungen?
Die Lipizzaner werden wie Spitzensportler behandelt. Jedes Pferd hat einen individuellen Therapieplan, der gemeinsam mit dem Bereiter, unserem Tierarzt und mir erstellt wird. Vor und nach dem Training kommt jedes Pferd ins Solarium. Dann gibt es je nach Bedarf Anwendungen wie Magnetfeldmatte, Aromatherapie – die führe ich durch – oder Chiropraktik und Akupunktur, da kommt ein Therapeut zu uns in den Stall. Wichtig ist auch das Feedback der Bereiter. Diese erkennen im Training, ob ihr Pferd chiropraktisch behandelt werden muss.
Wie sieht der Arbeitsalltag eines Lipizzaners aus?
Um sechs Uhr in der Früh wird gefüttert. Anschließend wird jeder Hengst individuell vorbereitet. Junge Pferde, die noch in Ausbildung sind, kommen zweimal täglich in die Reitbahn. Die Vorführungshengste werden gymnastiziert und anschließend locker geritten – wenn es das Wetter erlaubt, stehen Ausritte in den Burggarten auf dem Programm. All diese Maßnahmen sind wichtig, um die Pferde konditionell und mental fit zu halten. Wichtig ist auch, dass die Pferde Spaß bei der Arbeit haben. Weil es in der Stadt naturgemäß wenig Grünflächen gibt, werden unsere Hengste zusätzlich täglich in der weltgrößten Führanlage bewegt. Außerdem steht uns neben dem Burggarten und der Winterreitschule auch die Sommerreitbahn im Innenhof des Michaelertrakts zur Verfügung.
Werden die Pferde einzeln oder in Gruppen trainiert?
Die Pferde werden in Gruppen trainiert. Wir haben 72 Hengste, die auf zehn Gruppen und zwei Reitbahnen aufgeteilt sind. Sie trainieren täglich je nach Plan zwischen 7 Uhr und 12.40 Uhr.
Werden die Pferde von ihrem Bereiter trainiert oder gibt es Trainer?
Jeder Bereiter hat mehrere Vorführungspferde und bildet parallel dazu seine Nachwuchspferde aus. In der Ausbildung unterstützt sich das Bereiterteam gegenseitig, aber auch ich als Oberstallmeister bin stets in Kontakt mit der Reitbahn, um die Pferde bestmöglich zu versorgen. Wir sind ein großes, gut funktionierendes Team. Wir stehen einander mit Rat und Tat zur Seite, besprechen Fehler im Team und sorgen gemeinsam für ein optimales Umfeld.
Warum werden nur Hengste eingesetzt?
Das ist zum einen Tradition, zum anderen deshalb, weil die Anwesenheit von Stuten die Konzentration der Hengste beeinflussen würde. Außerdem kommen uns das Gehabe der Hengste und deren Ausdruck in der Arbeit entgegen.
Wie viele Vorführungen absolviert ein Lipizzaner pro Woche?
Wir haben am Samstag und Sonntag Vorführungen in der Spanischen Hofreitschule und manchmal noch eine Kurzvorführung. Jeder Hengst kommt pro Woche ein- bis zweimal zum Einsatz. Alle drei Monate werden 16 bis 20 Hengste mit ihren Bereitern ins Trainingszentrum Heldenberg gebracht. Die Pferde, die noch in Ausbildung sind, werden dort trainiert, die Vorführungshengste haben Pause und dürfen die Zeit mit leichtem Training, kondi-tionserhaltenden Ausritten im Gelände oder auf den Wiesenkoppeln verbringen. Im Sommer haben alle Hengste sechs Wochen Urlaub im Trainingszentrum.
Wie viele Pferde sind bei Vorführungen im Einsatz?
Pro Vorführung werden 24 bis 26 Pferde in verschiedenen Programmpunkten gezeigt. Insgesamt haben wir in Wien circa 50 Schulhengste, die entsprechend ihren Begabungen ausgebildet sind. Inklusive der in Ausbildung befindlichen Hengste haben wir 72 Pferde in Wien und 42 weitere in Heldenberg.
Kommt es durch die schwierigen Lektionen zu mehr Verletzungen?
Nein! Unsere Hengste wachsen unter optimalen Bedingungen auf den steirischen Hochalmen und im Gestüt auf, wo sie bereits in jungen Jahren Muskeln aufbauen und den Bewegungsapparat stärken. Unser Ausbildungsgrundsatz lautet: „Das Pferd bestimmt das Tempo der Ausbildung.“ Diesem entsprechend haben unsere Hengste Zeit, sich zu entwickeln. Die professionellen Bereiter fördern die Pferde mit viel Fachwissen und Feingefühl.