Die Gier aufs Tier

Mag. Eva Kaiserseder

Der Fleischkonsum boomt ungebrochen, vor allem dort, wo Fleisch lange als Luxusgut galt, z. B. in China, Indien oder Brasilien.

Wie soll und kann man diesem neuen globalen Hunger begegnen und wie sieht es hierzulande mit den Trends in Sachen Fleisch aus? Fleischkonsum wird immer öfter zur Glaubensfrage. „Sag, wie hältst du’s mit dem Tier?“, lautet der moralische Imperativ, der – zumindest in einigen Teilen der westlichen Industrienationen – dafür sorgt, dass man sein Rib-Eye-Steak immer öfter mit der bitteren Beilage „schlechtes Gewissen“ anstatt mit Rosmarinkartoffeln und Kräuterbutter serviert bekommt. Glaubt man dem medialen Aufwind, den der Veganismus seit ein, zwei Jahren bekommen hat, und der Zahl an Kochbüchern, die den Markt fluten, könnte man meinen, der Verzicht auf alles Tierische sei längst allgegenwärtiger Mainstream. Mitnichten. Der Fleischkonsum stagniert in Europa zwar und ist teilweise sogar rückläufig, trotzdem hat das weniger mit quasireligiöser Haltung zum Tier zu tun – denn die hat ja längst noch nicht jeden ereilt. 

Die Motive, die für den sinkenden Absatz (−1,4 Prozent im ­ersten Halbjahr 2016) schlagend werden könnten, skizziert der Verband der Fleischwirtschaft eher folgendermaßen: Demografischer Wandel – eine rasant alternde Gesellschaft mit Menschen, die insgesamt weniger essen. Dann: Trotz aller Foodblogger-Hypes und Kochshows der Trend zum weniger Selberkochen und mehr Auswärtsessen 
(= kleinere Fleischportionen). Und: Der schon erwähnte ethische Hang zur carnivoren Reduktion. Das alles trägt in Summe zu einem solchen Ergebnis bei.

Aufholjagd mit Folgen

Salami, Schweinskarree, Steak und Co. sind trotzdem nicht vom Aussterben bedroht, denn nachdem der Konsum hier in Europa in den letzten 50 Jahren schier explodiert ist und als Momentaufnahme vielleicht ein wenig schwächelt, haben die Schwellenländer und die rasant größer werdenden Märkte Südostasiens oder Südamerikas hier mit Verve die Aufholjagd begonnen – und liegen gut im Rennen. Die Gier auf Tier ist dort nicht nur ungebrochen, sondern wächst nach wie vor. Fleisch gilt als absolutes ­Statussymbol. Am üppigsten wächst der Konsum übrigens –
wenig überraschend – in China. Zum Vergleich: 1982 lag der Pro-Kopf-Verbrauch der Chinesen bei 13 Kilogramm, aktuell ist er auf satte 63 Kilo explodiert. 28 Prozent des weltweiten Fleischkonsums passieren damit im Reich der Mitte. Diese alarmierenden Zahlen, die sich u. a. in Diabetes und Fettleibigkeit niederschlagen und nicht zuletzt klimatechnisch ein ordentliches Minus in der Bilanz erzeugen, haben mittlerweile sogar die Regierung auf den Plan gerufen. Mittels Ernährungsrichtlinie und breit angelegter Werbekampagne will man zur Mäßigung in Sachen fleischlicher Genüsse animieren. Schwierig in einem Land, in dem es gerade einmal ein Prozent Vegetarier gibt.  Schockierend sind die Zahlen allerdings im Vergleich zu den europäischen Zahlen so gar nicht: Deutschland liegt bei 59,2 Kilo Pro-Kopf-Verbrauch, hierzulande liegt der Fleischkonsum überhaupt bei satten 65,1 Kilo. Wie die Ernährungsforschung, die Agrarwirtschaft, ja, die Gesellschaft ganz allgemein diesem neuen globalen Hunger mittelfristig begegnen sollen, ist Treibstoff für Dutzende Thinktanks. Denn dass der Allesfresser Mensch nicht bereit ist, gänzlich auf den Fleischkonsum zu verzichten oder ihn auch nur nennenswert zu reduzieren, zeichnet sich ab: Die FAO (UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft) prognostiziert in ihrer Studie zum Agriculture Outlook bis 2026 einen Anstieg der weltweiten Fleischproduktion um 48 Mio. Tonnen. Hanni Rützler, eine der bekanntesten Ernährungsexperten im deutschsprachigen Raum, hat hier für das deutsche Zukunftsinstitut Folgendes formuliert: „ Die traditionelle Viehzucht wird weiter ein Schwerpunkt der weltweiten Agrarproduktion bleiben. Es zeichnen sich jedoch vier alternative Szenarien ab, die das Tempo der Zunahme der traditionellen Fleischproduktion verlangsamen. Dabei schließt ein Szenario nicht das andere aus, sondern sie stellen ergänzende Fleischalternativen dar. Regional unterschiedliche Esskulturen bestimmen dabei, wie schnell das jeweilige Szenario eintritt.“ Die Foodtrend-Forscherin (ja, nennt sich tatsächlich so) skizziert diese globalen Entwicklungen als „besser statt mehr“, „Fleisch aus dem Labor“, „Grashüpfer, Grillen und Insekten“ plus „pflanzliche Alternativen“.

Zu Quantität statt Qualität gibt es wohl nicht mehr rasend viel Neues zu sagen. Die Rückkehr zu Fleisch als etwas Besonderem auf dem Teller und die Wiederetablierung alter Rassen statt genetischer Monokultur ist ja seit Jahren gesellschaftliches Thema. Stichwort „Schweinsbraten am Sonntag“: Fleisch als Höhepunkt und nicht als täglich verfügbarer Dauerbrenner.

„Fleisch aus dem Labor“ klingt da schon eher nach groß angelegter Science-Fiction: Im Sommer 2013 wurde in London unter großem medialen Getöse der erste Klonburger (oder etwas profaner: ein Burgerlaberl, in der Petrischale aus Stammzellen vom Rind gezüchtet) von Hanni Rützler herself verkostet. „Weniger weich und saftig als gedacht, aber nah dran am Fleisch“, lautete deren Fazit. Einerlei, die Revolution „Labor statt Stall“ liegt aktuell noch in weiter Ferne, alleine der Prototyp kostete 250.000 Euro, rechnet man Forschung und Entwicklung über die Jahre bis zum Endprodukt. Das Forscherteam rund um den federführenden Wissenschaftler Mark Post ist allerdings optimistisch, dass die Weiterentwicklung der Technik ihr Scherflein zur Serienreife des Klonburgers beitragen wird. Das Versprechen „weniger Tierleid, weniger Umweltbelastungen und in Zukunft eine ausreichende weltweite Fleischversorgung“ klingt allerdings fast zu schön, um wahr zu werden.

Stichwort Dschungelcamp: Insekten auf dem Teller sind für den gelernten Europäer eine eher seltsame kulinarische Eigenheit, die man lieber diversen Z-Promis mit Geltungsdrang überlässt. Dabei sind Insekten als Nahrungsmittel im globalen Vergleich so gar nichts Ungewöhnliches mehr, nur in der alten Welt, da gäbe es eine psychologische Sperre, erklärt Arnold van Huis. Der ­niederländische Insektenforscher hat 2014 die Konferenz „Insects to feed the world“ mitveranstaltet und plädiert für mehr Krabbelgetier auf dem Speiseplan. Warum? „Über 70 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche werden heute schon für die Viehhaltung genutzt. Wenn sich die Nachfrage nach Fleisch verdoppelt, brauchen wir andere Eiweißquellen. Und Insekten sind ernährungstechnisch dem gewöhnlichen Fleisch ähnlich – ja, sie sind sogar ­besser.“ Gut für die Umwelt sei es sowieso, denn „Insekten produzieren weniger Treibhausgase und Ammoniak. Für ein Kilogramm Rindfleisch braucht man 25 Kilogramm Futter. Für ein Kilogramm Grillen nur zwei Kilogramm Futter“ so van Huis im Interview mit dem Radiosender Deutsche Welle. 

Last but not least können pflanzliche Fleischalternativen eine Option sein, zumindest in Sachen Übergangslösung. Wer seinen Fleischkonsum reduzieren oder ganz ad acta legen will, kann sich mit Sojageschnetzeltem oder Seitan, einem Weizeneiweißprodukt mit fleischähnlicher Konsistenz, behelfen. Was allerdings Geschmackssache ist. Dass derartige Fleischalternativen aber durchaus auch kulinarischen Mehrwert besitzen, beweist Rolf Hiltl, Besitzer des ältesten, 1898 gegründeten vegetarischen Restaurants weltweit: Seine Lokale samt „Veggie Metzg“ haben hohe Ansprüche an Geschmack und Konsistenz, denn „eine Wurst muss doch einfach fein sein. Ich begreife nicht, warum unbedingt ein totes Tier drin sein muss.“

Umstrittenes Tierwohl-Label

So weit, so zukünftig. Weg von Prognosen, hin zur – äußerst fleischlastigen– Gegenwart und zum heimischen Umgang mit dem Rohstoff Tier. Dass in den westlichen Ländern zunehmend über den Fleischkonsum reflektiert wird, ist bekannt, „allerdings ist dabei immer die Frage, inwieweit dieser Trend ein Nischenphänomen bleibt. Manchmal hat man den Eindruck, die gesamte Debatte um Ethik und Fleischkonsum führt bei vielen Menschen zu einer Sensibilisierung für diese Themen, während andere eine Gegenreaktion zeigen: Fleisch? Jetzt erst recht! Und dann werden die fettesten, größten Steaks im Rahmen von Grillmeisterschaften im Fernsehen zelebriert“, so Christian Dürnberger vom Messerli Institut, das zur Mensch-Tier-Beziehung forscht. Dem Trend zur Besinnung darauf, woher unser Fleisch kommt und unter welchen Bedingungen es produziert wird, wird unter anderem in den Niederlanden schon länger Rechnung getragen.

„Beter leven“ nennt sich das dreistufige Label, dass dem Konsumenten Orientierung bieten soll, unter welchen Umständen und Haltungsbedingungen sein Fleisch den Weg ins Regal gefunden hat. Auch für Deutschland wird es künftig ein solches „Tierwohl“-­Label geben. Geplant ist eine mehrstufige Einteilung, mittels derer der Verbraucher entscheiden kann, ob er bereit ist, mehr Geld für Fleisch auszugeben, das zumindest aus besseren Haltungsbedingungen als den gesetzlich vorgegebenen stammt (siehe auch Interview mit Achim Spiller S. 28): Was auch gleich heftig von der Verbraucherorganisation foodwatch kritisiert worden ist: Eine Scheinlösung sei das auf Freiwilligkeit basierende Label, damit würde man sich vom Anspruch, tiergerechte Zustände für alle Nutztiere zu schaffen, verabschieden. Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der es auf der Grünen Woche (internationale Messe für landwirtschaftliche Produkte) vorgestellt hat, will jedenfalls spätestens 2018 damit starten. Schwein und Mastgeflügel sind die ersten Produkte, die damit ausgezeichnet werden. In Österreich scheint der Trend zur Transparenz für Spiller „ein wenig verschlafen worden zu sein“.

Hier hält die AMA dagegen: Es seien sehr wohl freiwillige Module für besondere Haltungsbedingungen in Planung, und die werden voraussichtlich auch 2017 umgesetzt werden – so man potente Partner im Handel findet, die den Mehrpreis mittragen. Nach denen hält man aktuell intensiv Ausschau. Seitens der Bauern sei die Bereitschaft jedenfalls da. ­Konkret würde die Kennzeichnung für den Konsumenten so aussehen, dass es das bekannte AMA-Gütesiegel gibt – ergänzt um Boni wie „Strohschwein“ oder „Almhaltung“ beim Rind. Was einer, der mit seinen Sonnenschweinen einer tiergerechten Haltung sehr nahe kommt, dazu sagt? „Diese Begriffsdefinition und dieses Wort, ich finde, es wird wieder einmal von allen möglichen Akteuren am Markt nach ihrem Gutdünken verwendet, dabei ist dieser Begriff extrem heikel. Was soll Tierwohl denn bitteschön heißen? Alles, was besser ist als die derzeit üblichen Methoden der Haltung und Schlachtung, bekäme dann ein Tierwohl-Label? Eine genauere Definition wäre hier bitter vonnöten“, so Norbert Hackl, Bauer und Labonca-­Gründer. Es bleibt also spannend, wie die deutschen Nachbarn diese Krux lösen werden, und wie der gemeinsame Nenner in Österreich aussehen könnte.