Ceta

und das liebe Vieh

Mag. Angelika Kramer
Redakteurin Wirtschaftsmagazin „trend“

CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, hat viele Kritiker. Was wirklich auf uns zukommen könnte. Eine Analyse des umfangreichen Vertragswerks.  

Am Ende war es doch noch eine Zitterpartie. Nach sieben Jahren Verhandlungen sollte das sogenannte Comprehensive Economic and Trade Agreement, in der Öffentlichkeit besser bekannt als CETA, zwischen der EU und Kanada Ende Oktober endlich unterzeichnet werden. Doch ein vorläufiges „Nein“ der Belgier ließ den EU-Kanada-Gipfel zur Unterzeichnung des mehr als 1.500 Seiten dicken Handelsabkommens noch einmal platzen. Kanadas Premier Justin Trudeau musste seinen geplanten Flug nach Brüssel um drei Tage verschieben, einige Zusatzerklärungen zu dem Vertragstext erfolgten, bis die Unterzeichnung schließlich am 30. Oktober doch noch stattfinden konnte.

Worum aber geht es bei CETA und warum wird es von vielen EU-Bürgern so kritisch gesehen? Viel mehr als furchterregende Schlagworte wie „Chlorhühner“, „Gen-Mais“ oder „Sonderklagerechte für Großkonzerne“ waren der breiten Masse vor der Unterzeichnung nicht bekannt. Deshalb wurde in Teilen Europas von etlichen NGOs auch eifrig dagegen demonstriert. Und auch wenn jetzt der Vertragstext von CETA bekannt ist und viele Experten Einblick nehmen konnten, gehen die Meinungen im Vorfeld des Inkrafttretens – das EU-Parlament soll erst im Februar über den Handelspakt abstimmen – nach wie vor auseinander.

Als weitgehend unbestritten gilt, dass durch CETA rund 97% der Einfuhren aus Kanada von Einfuhrzöllen befreit werden. Im Gegenzug streicht Kanada seine Zölle auf rund 95% aller europäischen Importe. Nach Schätzungen der EU-Kommission soll das bilaterale Handelsvolumen zwischen Kanada und der EU um rund 23% ansteigen. Europäische Unternehmen sollen durch CETA – so die Schätzungen – jährlich um 470 Mio. Euro einsparen. Das Bruttoinlandsprodukt, so hofft die EU-Kommission, soll sich jährlich um etwa 12 Mrd. Euro erhöhen. Unbestritten ist aber auch, dass das Abkommen für Kanada wichtiger ist als für die EU. Die EU ist für Kanada der zweitwichtigste Handelspartner, umgekehrt steht Kanada für die EU aber nur an der zwölften Stelle.

Österreich hat im Jahr 2015 Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro nach Kanada exportiert, darunter vor allem Maschinen, Eisen und Stahlwaren, Kraftfahrzeuge und Motoren, elektrotechnische Waren sowie pharmazeutische Erzeugnisse. Die Wirtschaftskammer Österreich schätzt, dass allein in Österreich durch CETA ein Realeinkommenszuwachs von bis zu 0,3% erzielt werden kann. So viel zu den nackten Zahlen.

KRITIKPUNKTE

Doch es gibt nach wie vor etliche Experten, die vermuten, dass diese prognostizierten Zuwächse zulasten der Arbeitsrechte, der heimischen Landwirtschaft oder des Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzes gehen könnten.

Widmen wir uns vorerst der Landwirtschaft und der Qualität der Lebensmittel. Die tarifären Handelshemmnisse werden in bedeutendem Maße abgebaut und der Handel landwirtschaftlicher Erzeugnisse wird durch CETA erleichtert. Erwartet wird vor allem, dass Fleisch aus Kanada verstärkt den Weg in die EU finden wird und umgekehrt Milchprodukte aus Europa für die kanadischen Konsumenten billiger werden. Für bestimmte „sensible Produkte“ (darunter viele landwirtschaftliche Erzeugnisse) gibt es in CETA allerdings Ausnahmen; sie sind von den Handelserleichterungen ausgeschlossen. Für beide Parteien handelt es sich bei den „sensiblen Produkten“ um Geflügelprodukte (Fleisch, Eier und Eiprodukte). Für Kanada kommen Milchprodukte (außer Käse) und Milchproteinkonzentrat hinzu. Für diese Erzeugnisse gelten auch in Zukunft die bereits vorher bestehenden Handelsregeln. Für andere Produkte wurden sogenannte zollfreie Kontingente oder Einfuhrquoten vereinbart. Dabei handelt es sich um Obergrenzen für zollfreie Importe.

Die EU kann 18.500 Tonnen Käse zollfrei nach Kanada exportieren. Diese Obergrenzen sollen nach und nach (über einen Zeitraum von fünf Jahren) abgeschafft werden.

Die Befürchtung, Europa werde durch CETA mit kanadischem Fleisch geflutet, scheint also vorerst unbegründet, zumal die kanadischen Bauern schon bis jetzt nicht imstande waren, die Quoten mit hormonfreiem Fleisch aufzufüllen. Kaum Quoten wurden allerdings bei Fischereierzeugnissen festgelegt. Experten gehen deshalb von einem deutlichen Anstieg kanadischer Fischexporte aus.

Allerdings ist zu vermuten, dass sich die Preise und auch die Struktur der Landwirtschaft verändern werden. So hat in Kanada die Konzentration der Betriebe nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens NAFTA (zwischen Mexiko, USA und Kanada) massiv zugenommen.

Liberalisierung

Mega-Ställe mit 20.000 Rindern sind in Kanada nichts Ungewöhnliches. Seit NAFTA gibt es in Kanada weniger, dafür größere Betriebe. Ähnliches dürfte auf die Landwirtschaft in Europa zukommen, vermuten kanadische Experten. Auch die Fleischpreise in der EU werden durch verstärkte Importe aus Kanada nachgeben, während sich die Preise von Milchprodukten in Kanada aufgrund der niedrigen Milchpreise in Europa ähnlich verhalten werden.

Hand in Hand mit der Liberalisierung der Agrarmärkte befürchten viele Kritiker, dass sich die Qualität des Essens verringern könnte. Generell ist zu sagen, dass Kanada deutlich niedrigere Levels für den Einsatz von Pestiziden, Nahrungsmittelfarben und Hormonen vorsieht. Eine der Hauptängste vieler CETA-Kritiker lautete ja im Vorfeld, dass die Oberflächenbehandlung des Fleisches durch Chemikalien – Stichwort Chlorhuhn – auch in unseren Breiten Einzug halten könnte. In Kanada ist es Usus, Tierkadaver mit Chlor zu desinfizieren, in der EU gibt es lediglich wenige rechtlich zugelassene Möglichkeiten der Oberflächenbehandlung von toten Tieren (z.B. Wasser).?„Die Desinfektion ist der nächste Schritt zu einer weiteren Industrialisierung der Schlachtpraxis“, befürchtet die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Kleinbäuerliche Strukturen in Europa dürften weiter unter Druck geraten. Unterschiedliche Standards herrschen auch in Sachen Gentechnik: Während in der EU lediglich der Anbau einer Pflanze, des Gen-Mais MON 810, zugelassen ist, basieren in Kanada rund 25% der gesamten Landwirtschaft auf Gentechnik. Sogar in manchen Honigarten aus Kanada finden sich Pollen von gentechnisch verändertem Raps. Befürchtet wird, dass diese gentechnisch veränderten Pflanzen in Form von Futtermitteln verstärkt ihren Weg nach Europa finden. Tatsächlich ist in CETA eine Passage enthalten, die den Austausch der Vertragspartner im Bereich Biotechnologie, wovon auch Gentechnik umfasst sein dürfte, vorsieht. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass im großen Stil gentechnisch veränderte Produkte nach Europa exportiert werden, wird vermutet, dass von den Vertragsparteien zumindest über eine Lockerung diskutiert wird. Denn bereits im Vorfeld hat die kanadische Soja-Industrie massiven Druck auf die EU-Kommission ausgeübt. Gut möglich, dass die Konzerne schon bald das eigens durch CETA eingerichtete Schiedsgericht anrufen, um die strikten EU-Gentechnik-Standards zu hinterfragen.

VORSORGEPRINZIP

Ungeachtet dieser unterschiedlichen Standards dies- und jenseits des Atlantiks wurde allerdings in CETA das sogenannte Vorsorgeprinzip, das auch in der WTO verankert ist, explizit anerkannt. Das sollte zumindest eine gewisse Sicherheit für den Erhalt höherer europäischer Standards bieten.  Dieses Prinzip erlaubt es der EU, Maßnahmen zu ergreifen, um potenzielle Gesundheitsschäden zu vermeiden. Dies ist bereits im Rahmen der WTO schon zum Einsatz gekommen. Umgekehrt ist im Vertrag keine Verpflichtung der EU zur Anerkennung kanadischer Standards vorgesehen. Entscheidend wird sein, wie die Durchsetzung des Prinzips im Rahmen von CETA erfolgt und ob das im Streitfall angerufene Schiedsgericht eine Gefahr für die Gesundheit bejaht. Das Thema „Tierschutz“ findet in den Vertragstext von CETA keinen Eingang. Lediglich in Artikel 21.4s ist von regulatorischem Austausch auch in Hinblick auf Tierschutz die Rede. Ob das aber zu einem höheren Niveau im Tierschutz führt, wird von Experten bezweifelt. Verglichen mit den europäischen Standards in Sachen Tierschutz, sind jene in Kanada deutlich niedriger anzusiedeln. So sind Hühner und Fische vom strafrechtlichen Schutz gegen Tierquälerei in Kanada gar nicht erfasst. In der EU sind Tiere, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, als fühlende Wesen anerkannt, denen gesetzlicher Mindestschutz gebührt. Massentierhaltung ist in der EU verboten. Auch die Durchsetzung dieser Regeln erfolgt in der EU effektiver als in Kanada. Europas Gesetzgeber werden also ein wachsames Auge auf diesen regulatorischen Austausch haben müssen, um die in der EU relativ hohen Tierschutzstandards beizubehalten. Relativ klar ist in CETA, die Frage der Liberalisierung des Arbeitsmarkts bzw. die Öffnung der Dienstleistungsmärkte geregelt. Hier wurde von den Vertragsparteien bzw. den einzelnen EU-Mitgliedstaaten extensiv von der Möglichkeit von Ausnahmen Gebrauch gemacht. Österreich hat sich etwa für jedes Bundesland seine Skischulen, den Kauf von Immobilien, aber auch tierärztliche Dienstleistungen sichern lassen. „Nur Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats des EWR dürfen tierärztliche Dienstleistungen erbringen“, heißt es in der Österreich-Ausnahme unmissverständlich. Sprich: Ein Zuzug kanadischer Tierärzte nach Österreich ist nicht zu erwarten.

Wem nach Lektüre von CETA berechtigte Zweifel aufkommen, dass die hohen Umwelt- und Gesundheits-standards in Europa aufrechterhalten werden können, der sollte an TTIP gar nicht erst denken. TTIP heißt das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA und ist von den Regularien – so sie bekannt sind – mit CETA vergleichbar. Allerdings sind etliche Standards, etwa bei der Gentechnik oder im Tierschutz, in den USA noch niedriger als in Kanada. Experten befürchten deshalb, dass TTIP die eigentliche Gefahr für Europa darstellt, CETA hingegen nur ein Türöffner für die USA ist. Allerdings scheint TTIP aus politischen Gründen zumindest aktuell in weite Ferne gerückt. So kann sich Europa noch ein wenig ansehen, welche Auswirkungen CETA wirklich auf das tägliche Leben hat und daraus seine Lehren für TTIP ziehen.