Durchs Schlüsselloch geschaut:

endoskopische Chirurgie im HNO-Bereich

Bettina Kristof

Mit der minimalinvasiven OP-Technik hat sich Prof. Gerhard Oechtering von der Veterinärmedizinischen Fakultät Leipzig weltweit einen Namen gemacht – er gilt als anerkannte Koryphäe und äußert sich kritisch zum Thema Qualzuchtrassen.

Die minimalinvasive OP-Methode hat auch die Chirurgie in der Veterinärmedizin revolutioniert. Wo früher große Schnitte und offene Wunden notwendig waren, kann jetzt in vielen Fällen endoskopisch und mit kleinen Einschnitten in Haut und Gewebe operiert werden. Die großen Vorteile dabei sind, dass der Organismus des Tiers geschont wird, die Patienten postoperativ weniger Schmerzen ­haben und schneller wieder fit sind. 

Auch im HNO-Bereich sind minimalinvasive Operationen im Vormarsch. Wir sprachen darüber mit Professor Dr. Gerhard Oechtering, dem Direktor der Klinik für Kleintiere an der Veterinärmedizinischen Fakultät Leipzig und Leiter der HNO-Abteilung, der sich kritisch mit dem Thema Qualzuchten auseinandersetzt. 

Herr Prof. Oechtering, Sie und Ihre Abteilung haben sich weltweit einen Namen in der Behandlung von HNO-Erkrankungen bei Hunden und Katzen gemacht. Welche fortschrittlichen Operationstechniken gibt es im HNO-Bereich?
Einer der größten Fortschritte ist sicherlich die minimalinvasive OP-Technik. Und wir haben sogar den Vorteil, dass unsere Operationsgebiete durch die natürlichen Öffnungen Maul, Nase und Ohr zu erreichen sind. Die interventionelle Endoskopie wenden wir einerseits bei Folgen von Qualzuchten wie der Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit, Anm.) bei Hunden und Katzen und andererseits auch ganz neu bei Nasentumoren, Stirnhöhlenvereiterungen und Mittel­ohrerkrankungen an. Wir haben zwei sehr modern ausgestattete HNO-Operationsplätze, die die nächsten ­Monate ausgebucht sind. Unsere Patienten kommen aus ganz Europa, aber auch aus den USA. 

Wieso kommt die Brachyzephalie bei kurznasigen Tieren so häufig vor?
Die Brachyzephalie bei Hunden und Katzen ist eine Folge gezielter Zucht. Damit die Tiere ihre kindliche Stupsnase behalten, wurde der Schädel, ganz besonders Nase und Unterkiefer, durch Zuchtauslese immer weiter verkürzt. Wenn das übertrieben wird, entsteht eine extreme Form der Brachyzephalie, die zu schweren und lebenslang anhaltenden gesundheitlichen Schäden führt. Kurzköpfige Hunde sind von vornherein für Probleme der oberen Atemwege prädisponiert. Als charakteristische Befunde für die Brachyzephalie gelten verengte Nasenlöcher und Nasenhöhlen, ein verlängertes und verdicktes Gaumensegel sowie Veränderungen am Kehlkopf. Diese Merkmale treten fast immer in Kombination auf und beeinträchtigen die Atmung, was zu unterschiedlich lauter, schnarchender Atmung und in schweren Fällen zu hochgradiger Atemnot, Erstickungsanfällen, Zyanose und zum Kollaps führen kann. Es handelt sich also um eine gefährliche und ernst zu nehmende Erkrankung bei kurznasigen Hunden und Katzen.

Was ist das Besondere an Ihrer Operationsmethode?
Bei herkömmlichen Methoden wird zumeist das Gaumen­segel der erkrankten Tiere verkürzt und die Nasenlöcher werden erweitert. Durch wissenschaftliche Unter­suchungen konnten wir aber zeigen, dass eine der wesentlichen Ursachen der Atemnot die Verstopfung innerhalb der Nasenhöhle mit fehlgestalteten Nasenmuscheln ist. Wir haben eine Operationsmethode entwickelt, bei der mittels Laserchirurgie ein neuer, freier Atemweg geschaffen wird. Dabei wird Laserlicht endoskopisch über eine biegbare Sonde (Ø 0,4 mm, Anm.) in die Nase geleitet und diejenigen Anteile der Nasenmuscheln, die den Atemweg „verstopfen“, werden verdampft. So entsteht ein neuer röhrenförmiger Nasengang, über den die Tiere wieder gut atmen können. Diese neue Operationsmethode wird als laserassistierte Turbinektomie, LATE, bezeichnet. Eine zweite Art von Laserlicht (CO2-Laser, Anm.) wird über ein Operationsmikroskop in den Rachen geleitet. Hier können nun sehr feine, nicht blutende Schnitte ausgeführt werden und das überzählige Gewebe, das hier die Atemwege vor und im Kehlkopf verlegt, kann unter mikroskopischer Kontrolle entfernt werden.

Was ist die Multi-Level-Operationsmethode? Wie funktioniert sie?
Die Multi-Level-Therapie haben wir in Leipzig ent­wickelt. Diese Methode wenden wir bei schwerer Atem­not bei brachyzephalen Hunden und Katzen an. Dabei werden  endoskopisch oder unter dem Operations­mikroskop die problematischen Engstellen erweitert. Bei der Ala-Vestibuloplastik werden die äußeren Nasenöffnungen erweitert und die Verschlussfalte des Nasenvorhofs wird beseitigt. In der Nasenhöhle werden mithilfe der LATE-Chirurgie verstopfende Nasenmuscheln und einengende Schwellkörper laserassistiert entfernt. Das Gaumensegel wird gekürzt (Staphylektomie, Anm.), ein instabiler Kehlkopf wird chirurgisch versorgt und vorgefallene Kehlkopf­taschen werden reseziert.

Ihre Klinik ist ja ständig am Forschen. Gibt es eine ganz neue Operationstechnik im HNO-Bereich?
Brandneu ist eine Methode, bei der wir mittels Ultraschallchirurgie Tumorgewebe in Nase und Gehirn entfernen können. Nasentumore sind ein Spezifikum bei Hunden und Katzen, die gibt es in dieser Form beim Menschen nicht. Und diese Tumore haben eine Besonderheit: Sie sind sehr bösartig. Es waren aber viele Entwicklungsschritte notwendig, bis unsere neue ­OP-Technik auf soliden Beinen stand. Wir nennen diese Methode interventionelle endoskopische Zytoreduktion. 

Können Sie uns Genaueres über die Entwicklungsschritte berichten, die zur Ultraschallchirurgie zur ­Entfernung von Tumorgewebe geführt haben?
Vor 30 Jahren noch hat man die Nasenhöhle des erkrankten Tieres aufgeschnitten und den Tumor chirurgisch entfernt. Man hat von diesen Operationen aber bald ­wieder abgelassen, weil sie die Lebenserwartung der Tiere nicht erhöht haben. Daraufhin ist man zur Bestrahlungstherapie übergegangen, mit der man das Leben des Tieres um circa ein bis eineinhalb Jahre verlängern konnte. 

Um festzustellen, ob es sich um einen gutartigen oder um einen bösartigen Tumor handelt, muss man eine Gewebeprobe aus der Nase holen, eine Biopsie. Sehr lange wurde diese blind mit einer kleinen schneidenden Zange entnommen. Wir haben dann begonnen, diese Gewebe­proben ausschließlich unter direkter endoskopischer Kontrolle durchzuführen. Dies hat den großen Vorteil, dass man wirklich sicher sein kann, dass das betroffene ­Gewebe aus dem Tumor stammt. Mit der Zeit haben wir dann nicht nur eine kleine Biopsie entnommen, sondern möglichst viel Tumorgewebe aus der Nase endoskopisch entfernt und damit auch wieder freie Nasengänge ge­schaffen. Bei unseren Nachuntersuchungen haben wir festgestellt, dass die interventionelle endoskopische Zytoreduktion lebensverlängernd wirkt. Mittlerweile haben wir eine spezielle Methode erarbeitet, bei der wir den Tumor und das umliegende entzündliche Gewebe isolieren und dann fast vollständig entfernen können. 

Nach unseren ersten vorläufigen Auswertungen verlängert diese endoskopische Operationsmethode das Leben des Tieres um eine vergleichbare Zeitspanne wie nach einer Bestrahlungstherapie. Allerdings muss das Tier für die Bestrahlungstherapie sehr viel häufiger in Narkose gelegt werden. Das ist natürlich sehr zeit- und kostenaufwendig und auch eine Belastung für das Tier. Unsere ­OP-Methode ist brandneu, und wir sind dabei, die ersten Ergebnisse zu veröffentlichen.

Sind Nasentumore bei Hunden und Katzen häufig?
Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Hunde und Katzen davon betroffen sind. Ich kann nur sagen, dass wir als Überweisungsklinik fast täglich mit dem Thema konfrontiert sind. Ein wichtiges erstes Anzeichen ist Nasenausfluss. Im Gegensatz zu Menschen haben Hunde keinen Schnupfen. Wenn ein Hund eitrigen Nasenausfluss hat, deutet das fast immer auf eine schwere Erkrankung hin. Tierhalter sollten das unbedingt ernst nehmen und ihr Tier untersuchen lassen.

Bilden Sie auch Tierärzte in dieser neuen Methode aus?

Ja, das Problem ist aber, dass endoskopische Interventionen viel Training erfordern, bis man sie wirklich beherrscht. Das kann man nicht in einem Wochenendseminar lernen. Derartige Eingriffe werden auch in der Zukunft vorrangig in spezialisierten Kliniken angeboten werden können. Der Trend in der Veterinärmedizin geht eindeutig in Richtung Spezialisierung. Die Berufsfelder in der klinischen Tiermedizin sind derart komplex geworden, dass ein Einzelner heute nicht mehr alle Bereiche abdecken kann. Wie in der Humanmedizin brauchen wir gute „Hausärzte“ für Tiere, die einen sehr großen Bereich der klinischen Tiermedizin abdecken können, und daneben Spezialisten und spezialisierte Kliniken, in denen die medizinischen Leistungen angeboten werden, die in einer Allgemeinpraxis nicht abgedeckt werden können. Wenn dann die Zusammenarbeit zwischen beiden gut funktioniert, können unsere Haustiere optimal betreut und versorgt werden.

Die Tierhalter kommen aus der ganzen Welt an Ihre Klinik. Ist das nicht sehr kostspielig?
Wir haben fast jede Woche Patienten aus den USA und anderen Teilen der Welt bei uns. Die Tierhalter sind generell bereit, Geld in die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Tiere zu investieren. 

Sie haben in Leipzig den modernsten HNO-OP-Saal für Tiere. Wodurch zeichnet sich dieser aus?
In dem neuen OP kann simultan an zwei chirurgischen ­Arbeitsplätzen mit Unterstützung moderner OP-Mikro­skopie, interventioneller Endoskopie und der Laser­chirurgie operiert werden. Räumlich komplexe Operationen lassen sich unter CT-Navigation durchführen. 

Besonders interessant für Lehre und Forschung ist die Möglichkeit, die gesamte Operation aus mehreren Perspektiven als HD-Video aufzuzeichnen. Parallel werden dabei Bilder einer Saalkamera und einer Endoskopie-kamera sowie Computer- und Magnetresonanztomografien aufgezeichnet. Diese Aufnahmen können für wissenschaftliche Auswertungen und für Studium und Weiterbildung eingesetzt werden.

Wohin geht der Trend im OP-Saal?
Wir arbeiten gerade an einer neuen Übertragung von Operationen im Internet. Seit zwei Jahren beschäftige ich mich gedanklich mit dem Thema, jetzt sind wir technisch so weit, dass wir meine Vision umsetzen können. Bald wird es möglich sein, die Operation mit zwei Kameras gleichzeitig zu filmen: Die eine zeigt den Blick durch das Endoskop oder das Operationsmikroskop, die zweite ist auf die Hände des Operateurs gerichtet. Die Aufnahmen können dann live in die ganze Welt ausgestrahlt werden! Dies ist für die Zusammenarbeit mit anderen Spezialistengruppen in der ganzen Welt eine völlig neue Entwicklung, und wir haben bereits Partner in mehreren Ländern.