"Ich bin am Limit - ich mach nicht mehr weiter!"

Aus der Praxis - Mit Tierärztin Selina Kasper

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Warum die engagierte Tierärztin Selina Kasper kapituliert und das Ötztal Richtung Deutschland verlassen wird.

Zu Beginn sah alles sehr gut aus: Kurz nach ihrem Studienabschluss stürzte sich die junge Tierärztin Selina Kasper motiviert in die Selbstständigkeit. Die Gemeinde Längenfeld im Ötztal, der Heimatregion der Tirolerin, bemühte sich um die selbstbewusste junge Veterinärin und stellte ihr die Räumlichkeiten für eine Tierarztpraxis zur Verfügung. Der altgediente Tierarzt Franz Wechner, der seine Ordination in Huben hatte, setzte sich damals zur Ruhe und es mussten für Kaspers Neustart andere Räumlichkeiten gefunden werden. Sehr unkompliziert bekam Kasper einen Raum zur Verfügung gestellt, der nach rund zwei Jahren durch weiteres Platzangebot ergänzt wurde. Alles schien einen guten Lauf zu nehmen, das Kundenaufkommen war in der Kleintierpraxis seither enorm gestiegen. „Dem Bürgermeister möchte ich ein ausdrückliches Dankeschön für die großartige Unterstützung aus­sprechen“, betont Kasper.
Sie betreute Nutztiere, machte die Fleischbeschau und freute sich, in ihrer Heimatregion zu arbeiten. Es schien, als würde sich alles fügen. Doch vier Jahre später kam nun alles ganz anders und sie schlug auf dem Boden der Realität auf. Nun wirft Kasper das Handtuch. Dazu sagt sie: „Ich habe den Job sehr, sehr gerne gemacht, nur bin ich nun am Limit – ich kann nicht mehr! Der Zug ist ab­gefahren, so werde ich nicht mehr weitermachen.“ 

Was ist passiert? 

„Ich bin Tierärztin mit Leib und Seele, bin hart im Nehmen und willig zu arbeiten, aber alleine ist der Job nicht zu stemmen. Ich habe 12- bis 16-Stunden-Tage und null Freizeit, null Privatleben. An eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nicht einmal zu denken.“ Sie habe die Zusammenarbeit mit der Gemeinde, den Landwirt*innen, den Fleischereien im Ötztal und ihren Kund*innen sehr geschätzt, aber nun ziehe sie die Reißleine. 
„Es gibt trotz allem zu wenig Unterstützung“, so Kasper, denn das ganze System gehöre neu aufgesetzt. So könne es nicht länger weitergehen, einzig Gemeinschaftspraxen mit zwei bis drei Tierärzt*innen seien die Lösung. „Wenn sich mehrere Personen zusammentun und einen ‚Radl­dienst‘ einführen, dann kann man die Arbeit aufteilen und bewältigen. Und vom Verdienst her würde es sich schon rentieren, denn wenn man sich die Kleintiere, Pferde und Nutztiere aufteilt, kann jeder davon leben.“ 

Nur sei es auch schwierig, junge Tierärzt*innen oder gar Praktikant*innen für das Leben und Arbeiten am Land zu motivieren. „Sie sind sich nicht zu bequem, sondern es fehlt ihnen an Selbstvertrauen und Sicherheit, die sie in ­ihrer Ausbildung nicht vermittelt bekommen. Wenn du neu startest, musst du Entscheidungen alleine treffen können, wissen, wie eine Praxis zu führen ist, musst wissen, woher du Medikamente bekommst, wie du sie lagerst, wie ein Praxisverwaltungsprogramm funktioniert und wie du abrechnest“, so Kaspar. Sie habe immer auf ihre fundierte theoretische Ausbildung vertrauen können, aber die praktische Anwendung des Wissens hat sie sich selbst hart erarbeitet.

„Es ist halt ein Unterschied, ob du als Einzelkämpferin um drei in der Früh einen Kaiserschnitt im Stall durchführst oder diesen geplant in einer Großtierklinik steril am OP-Tisch machst. Es gilt, sich im Alltag an die Gegebenheiten anzupassen, und man muss zu jeder Tageszeit funktionieren.“ 
Die strukturellen Voraussetzungen seien in einer alpinen Region einfach anders – und gehören laut Kasper auch seitens der Politik berücksichtigt. Es müsse ein (Finanz-)Modell her, das selbstständige Tierärzt*innen und damit auch die Betriebe vor Ort unterstützt und damit die Regionalität aufrechterhält. Schließlich verlangen dies auch die Konsument*innen.

Solange aber die Rahmenbedingungen nicht dahin gehend angepasst werden, dass Tierärzt*innen ein geregelter Arbeitsalltag ermöglicht wird, „sehe ich nicht länger ein, dass ich meinen Kopf hinhalten soll, nur weil die Politik keine Verbesserungsmaßnahmen setzen möchte. Ich lasse mich nicht länger verpulvern“, so Kasper. Und wie geht es nun in Selina Kaspers Leben weiter? „Ich ziehe nach Deutschland, werde Veterinär-Chiropraktikerin für Pferde, schließe eine Akupunkturausbildung ab – und werde nur mehr auf Terminbasis arbeiten.“ 

Mag. Selina Kasper studierte an der Vetmeduni Wien, ist 31 Jahre jung und seit vier Jahren selbstständige Tierärztin. Sie betreut in der Region Ötztal (Umhausen, Längenfeld und Sölden) als Einzelkämpferin 1.263 Kühe (2022, Statistik Austria). Schon von Beginn an hieß es „ins kalte Wasser springen und einfach machen“. Aufgrund der vielen Kühe, Schafe und Ziegen in der Region spezialisierte sie sich auf Großvieh – dennoch hat sie aber auch Kleintiere behandelt.