Alternative Heilmethoden

auf Erfolgskurs

Bettina Kristof

Immer mehr Tierärzte investieren viel Zeit und finanzielle Mittel in komplementärmedizinische Ausbildungen, die sie ergänzend in ihrer Ordination anbieten. Wir sprachen mit Dr. Karen Barker-Benfield von der Tierphysio Rodaun über ihre Beweggründe.

Welche komplementärmedizinischen Behandlungs-formen bieten Sie in Ihrer Ordination an?
Ich biete in meiner Ordination Physiotherapie, Chiropraktik und Akupunktur an. Ich habe mich schon früh für alternative Heilmethoden interessiert. Meine Mutter ist Humanmedizinerin und hat auch Akupunktur und therapeutische Laserbehandlungen angewendet – man kann also sagen, dass ich erblich vorbelastet bin. Deshalb habe ich auch schon während des Studiums mit meiner Akupunkturausbildung begonnen. Dann folgten Zusatzaus-bildungen in Phytotherapie und Lymphdrainage. Vor zehn Jahren habe ich mich selbstständig gemacht und mich gleich zu Beginn auf Physiotherapie konzentriert. Ich habe dann noch Ausbildungen in Akupunktur und in Chiropraktik absolviert. Wenn man mit einem Schwerpunkt beginnt, entdeckt man weiterführende Möglichkeiten, und so kommt eines zum anderen. 

Wie kamen Sie auf die Idee, Tiere physiotherapeutisch zu behandeln?
Noch als ich studierte, hatte mein eigener Hund einen Bandscheibenvorfall. Er war an der Vetmed in physiotherapeutischer Behandlung, das hat ihm geholfen. -Später, ich war bereits angestellte Tierärztin, hatte er einen Rückenmarksinfarkt. Beide Hinterbeine waren gelähmt. Durch physiotherapeutische Behandlungen und Akupunktur wurde er wieder fit, er konnte wieder laufen. Diese -beiden Erlebnisse haben mich davon überzeugt, dass es inter-essante und wirksame Ergänzungen zur Schulmedizin gibt. Das war auch der Grund dafür, warum ich die Ausbildung zur tierärztlichen Physiotherapeutin gemacht habe und diesen Bereich auch von Beginn an in meiner eigenen Praxis angeboten habe.

Bei welchen Indikationen unterstützt Physiotherapie schulmedizinische Behandlungen?
Ich setze Physiotherapie bei orthopädischen Patienten ein, z. B. postoperativ nach einem Kreuzbandriss bei Hunden oder bei neurologischen Problemen wie Bandscheibenvorfällen oder Nervenverletzungen. Im Bereich der Geriatrie arbeite ich sehr gerne mit physiotherapeutischen Maßnahmen, um die Beweglichkeit der älteren Tiere zu erhalten oder wiederherzustellen und um ihre damit verbundenen Schmerzen zu reduzieren. Bei Arthrosepatienten oder übergewichtigen Tieren kann man aufgrund von Physiotherapie oftmals die Schmerzmittel reduzieren.

Wie kann man Tiere motivieren, bei physiotherapeutischen Übungen mitzumachen?
Tiere lassen sich mit Leckerlis oder auch mit dem Lieblingsspielzeug recht gut zum Mitmachen motivieren. Wichtig ist es, dass die tierischen Patienten Vertrauen haben. Aus diesem Grund habe ich für die physiotherapeutischen Übungen einen eigenen Raum eingerichtet, in dem keine Impfungen oder unangenehmen Untersuchungen stattfinden. Die Tiere wissen: Wenn ich in diesem Zimmer bin, passiert nichts Schlimmes. Manche Hunde haben Angst vor dem Unterwasserlaufband. Da braucht man dann Geduld, aber wir haben es auch da bisher immer geschafft. Die ängstlichen Hunde kommen dann ein bisschen früher zur Therapie, gehen mit Leckerlis auf die Hebebühne, bleiben mit dem Besitzer allein im Raum und bekommen dann Vertrauen. Bei den meisten klappt das sehr schnell. Es ist wichtig, den Tieren Zeit zu geben und keinen Druck zu machen.  

Wie läuft eine physiotherapeutische Behandlung in Ihrer Ordination ab?
Es gibt eine Erstuntersuchung, zu der der Tierhalter alle Befunde und Röntgenbilder mitbringt. Dann wird das Tier orthopädisch, neurologisch und chiropraktisch untersucht. Dabei mache ich auch eine Ganganalyse, überprüfe, ob es Blockaden, Bewegungseinschränkungen, Triggerpunkte oder Muskelatrophien gibt. Wenn die Diagnose klar ist, erstelle ich einen Therapieplan. Der beinhaltet die einzelnen Maßnahmen, die ich empfehle, einen Zeitplan und eine Kostenaufstellung. Außerdem mache ich einen Plan für die Übungen zu Hause, den ich dem Tierhalter maile.

Es ist wichtig, dass das Tier auch zu Hause übt und gut betreut wird. Wir kontrollieren den Fortschritt in der Praxis und überprüfen auch, ob der Tierhalter die therapeutischen Übungen beim Tier richtig anleitet und unterstützt.

Wie lange dauert eine Therapieeinheit?
Die Erstuntersuchung dauert eine Dreiviertelstunde oder länger. Eine Einheit am Unterwasserlaufband dauert z. B. 20 Minuten, ebenso eine Akupunktureinheit, bei der das Tier ruhig mit Nadeln liegen muss.

Braucht man dafür spezielle Geräte?
In meiner Praxis gibt es ein Unterwasserlaufband, zwei therapeutische Laser, einen therapeutischen Ultraschall, unterschiedliche Stromtherapiegeräte und Faszienrollen. 

Wie kostenintensiv ist die Anschaffung der Geräte?
Das Laufband ist das teuerste Gerät, der Klasse-4-Laser kostet auch über 10.000 Euro, die anderen Geräte liegen preislich darunter. 

Haben Sie Mitarbeiter für die physiotherapeutischen Übungen?
Ich habe noch zwei Tierärztinnen in der Ordination, die auch physiotherapeutisch arbeiten. Zusätzlich gibt es zwei Helfer, die das Unterwasserlaufband betreuen. Sie schauen auf die Tiere, die im Wasser sind, und sie trocknen diese nach der Behandlung ab. Alle anderen Behandlungen sind den Tierärzten vorbehalten. Unter tierärztlicher Super-vision dürfen die Helfer manchmal lasern. 

Welche Tiere behandeln Sie mit komplementären Methoden?
Alle Tiere in meiner Kleintierpraxis, für die es relevant ist. Bei Hunden kann man alle Therapiemöglichkeiten anwenden, bei Katzen und Kaninchen fällt das Unterwasserlaufband weg. Pferde behandle ich ebenfalls mit allen Methoden, aber da fahre ich natürlich hin. Zusätzlich bin ich als physiotherapeutische Ärztin in der Kleintierordination von Schönbrunn tätig. Da habe ich z. B. die Orang-Utan-Dame Nonja, die Weißstirnamazone Nepomuk und die Elefantendame Tonga behandelt.

Sie sind auch Chiropraktikerin. Bei welchen -In-dikationen wenden Sie diese Therapieform an?
Generell bei Rückenschmerzen, bei fast allen physiotherapeutischen Patienten. Besonders Sporthunde und Sportpferde profitieren von den Behandlungen. Chiropraktik ist auch bestens als Prophylaxe und für die Gesunderhaltung geeignet. 

Gibt es bestimmte Tierarten, bei denen Chiropraktik besonders gute Erfolge hat?
Alle Tiere profitieren von chiropraktischen Behandlungen, auch Katzen. Manche Katzen lassen sich zuerst gar nicht angreifen, weil sie Schmerzen haben. Wenn sie aber Vertrauen gewinnen und sich behandeln lassen, dann genießen sie es richtiggehend! 

Bei welchen Indikationen wenden Sie Akupunktur an?
Akupunktur wende ich erfolgreich zur allgemeinen Schmerzlinderung an. Natürlich kann man Akupunktur nach der TCM bei allen Erkrankungen anwenden. 

Lassen sich die Tiere so einfach akupunktieren?
Ja, es lassen sich fast alle Tiere akupunktieren. Wenn ein Tier die Akupunkturnadeln verweigert, kann ich es auch mit dem Laser akupunktieren.

Haben alternative Therapieformen Zukunft?
Absolut, immer mehr. Einerseits werden die Operationsmöglichkeiten bei Tieren immer ausgereifter. Dadurch hat die Physiotherapie im postoperativen Bereich immer mehr Patienten. Andererseits sind die Tierhalter immer öfter bereit, in alternative Behandlungsmethoden zu -investieren. Wenn ein Besitzer seinem Hund eine künstliche Hüfte machen lässt, dann gibt er im Anschluss auch Geld für die Physio aus, damit das Tier auch gut laufen kann. Es hat sich auch der Stellenwert des Haustiers verändert. Es ist oftmals ein vollwertiges Familienmitglied, in dessen Wohlergehen investiert wird.

Überweisen andere Tierärzte für die Physiotherapie an Sie?
Ja. Je nachdem, ob der Kollege selbst Akupunktur oder Chiropraktik anbietet, machen wir dann nur Physio mit den Tieren oder auch andere komplementäre Techniken, die im speziellen Fall indiziert sind.

Wie in der Humanmedizin sollten Tiere möglichst schnell nach der OP zur Physiotherapie, um z. B. die Narbe zu behandeln und das Tier zu mobilisieren sowie Lymphdrainage bei postoperativen Schwellungen einzusetzen. Mir ist es wichtig und ein besonderes Anliegen, den Stellenwert der Physiotherapie und der damit verbundenen qualifizierten Ausbildung zur Sprache zu bringen. Physio-therapeutische Übungen sind kein wildes Hundeturnen! Oft sind es ganz kleine Bewegungen, die helfen, zu mobilisieren. Physiotherapie ist eine wertvolle Unterstützung der Schulmedizin, was durch zahlreiche Studien bewiesen ist.

Sind die alternativen Heilmethoden ein einträgliches Geschäft für den Tierarzt?
Ja, so einträglich wie alle tierärztlichen Tätigkeiten. Der Bereich ist sehr vielfältig. Man muss allerdings auch regelmäßig Fortbildungen machen und auch die Bereitschaft haben, eng mit den Tierhaltern zusammenzuarbeiten. Eine gewisse Freude an Kommunikation ist da hilfreich. Es ist aus meiner Sicht auch wichtig, sich nicht gleich nach dem Studium auf Physiotherapie oder andere komplementärmedizinische Disziplinen festzulegen, sondern zuerst einmal als allgemeiner Tierarzt zu arbeiten. Man braucht eine fundierte veterinärmedizinische Ausbildung, ein Verständnis für OP-Techniken sowie für unterschiedliche Diagnoseformen, um das Tier komplett beurteilen zu können. Ich bin eine Verfechterin beider Methoden: Schulmedizin, wenn eine OP notwendig ist, und Physiotherapie im Anschluss.