7 Fragen an…

O. Univ.-Prof. Dr. Walter Arnold

Mag. Eva Kaiserseder

Sie haben heuer im Mai den Artemis Award für Wissen-schaft verliehen bekommen, unter -anderem wurde Ihre populärwissenschaftliche -Vermittlung von wildtier-relevanten Forschungsinhalten hervor-ge-hoben. Welche Themen sind Ihnen da besonders wichtig?
Zentrales Anliegen meiner populärwissenschaftlichen Tätigkeit ist es, Menschen davon zu überzeugen, wie faszinierend Wildtiere sind, und wie spannend es ist, mehr über sie zu erfahren. Die Themen sind vielfältig, jedoch liegen mir besonders jene am Herzen, bei denen es um die veränderten Lebensbedingungen von Wildtieren in der intensiv vom Menschen geprägten Kulturlandschaft geht. Manchen Arten geht es unter diesen Bedingungen schlecht bis hin zur Existenzbedrohung, andere profitieren, können deshalb überhandnehmen und Probleme bereiten. In beiden Fällen müssen Maßnahmen gesetzt werden, für die um das Verständnis in der Bevölkerung geworben werden muss – dafür setze ich mich ein. Wildtiermanagement bedeutet in erster Linie, für notwendige Maßnahmen einen Konsens unter den betroffenen Interessengruppen zu finden. Dieser Konsens, der ja oft die Einschränkung oder gar den Verzicht von lieb gewonnenen Praktiken oder Rechten erfordert, ist ohne überzeugende wissenschaftliche Argumente schwer zu finden. Nur die erforderlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu produzieren reicht aber nicht – sie müssen auch zu diesen Interessengruppen transportiert werden.

Sie beschäftigen sich seit über 30 Jahren mit der Materie. Was hat Sie damals daran gereizt und was finden Sie aktuell spannend?
Mein wissenschaftliches Interesse fokussierte von Beginn an darauf, die Bedürfnisse und Eigenschaften von Wildtieren besser zu verstehen, vor dem Hintergrund der ökologischen Rahmenbedingungen. Angefangen hat meine wissenschaftliche Arbeit mit der Erforschung des Sozial-lebens von Murmeltieren. Dabei stellte sich heraus, dass die hochsoziale Lebensweise unserer Alpenmurmeltiere eine Anpassung an die harten Überwinterungsbedingungen in den Bergen darstellt. Nur mit gemeinsamer Anstrengung schafft es der Familienclan, die Jungen während der ersten Überwinterung so zu wärmen, dass sie überleben. Diese Forschung führte mich mehr und mehr in das Gebiet, wie Wildtiere ihre Physiologie verändern, um die Herausforderungen des Winters zu meistern. Intensive Forschungen, die nur die besondere am FiWi vorhandene Infrastruktur ermöglichte, führten zu bahnbrechenden Erkenntnissen zu den winterschlafähnlichen Stoffwechselveränderungen, die wir bei Arten wie Rothirsch, Steinbock, Gämse oder Wildpferd im kontrollierten Experiment und in freier Wildbahn entdeckten.

Weitere über viele Jahre intensiv bearbeitete Forschungsschwerpunkte betreffen zwei Problemarten: Eine ist der Feldhase, dessen Bestände seit Jahrzehnten abnehmen. Wir verstehen mittlerweile ganz gut, warum es den Feldhasen in vielen Gegenden so schlecht geht. Die andere Art ist das Wildschwein, wo wir genau das Gegenteil beobachten. Wildschweine werden in ganz Europa immer mehr und vielerorts zur Plage und Gefahr, wegen der Wildschäden an den Feldkulturen und als Herde einer Vielzahl von Krankheiten, für die auch die Hausschweine empfänglich sind. Derzeit gerade aktuell: die Epidemie der afrikanischen Schweinepest, die von Osteuropa auf uns zurollt. Die Ursache der Zunahme der Wildschweinbestände ist heute ganz klar: immer wärmere Winter und ein über-reiches Nahrungsangebot.

Und was werden die Themen sein, die Ihr Fach mittelfristig beschäftigen werden – eine kleine Prognose?
Die globale Klimaveränderung betrifft die einheimische Tierwelt in großem Stil. Ein gutes Beispiel dafür sind die eben erwähnten Wildschweine. Die mikroklimatischen Bedingungen in den Lebensräumen sind von entscheidender Bedeutung für das Gedeihen von Wildtierbeständen, sowohl durch ihre direkte Bedeutung für den Energiehaushalt der Tiere als auch indirekt über die damit verbundene Veränderung des Nahrungsangebots. Die globale Erwärmung stellt eine Herausforderung für den Artenschutz und die Wildtierbiologie dar. Von vielen Arten und ihren Anpassungen in Physiologie und Verhalten wissen wir dafür immer noch zu wenig. 

Eines Ihrer Projekte war die Erforschung des veränderten Energiebedarfs bzw. der Körpertemperatur bei Hirschen und Rehen während des Winters. Wie hat dieses Ergebnis die Jagdpraxis beeinflusst?
Langsam erfolgt ein Umdenken in der Praxis des Wildtiermanagements, sowohl, was die Jagdzeiten als auch die Winterfütterung betrifft. Jedoch sind nicht nur die Jäger hier gefordert, sondern auch alle anderen Naturnutzer wie Mountainbiker, Skitourengeher und Schneeschuhwanderer. Wildtiere benötigen in der Winterzeit vor allem Ruhe. Was wir brauchen, sind deshalb nicht nur kürzere Jagdzeiten, die spätestens mit Weihnachten enden, sondern Winterruhezonen mit einem absoluten Betretungsverbot. Solche Zonen müssen nicht groß sein und sind am besten in entlegenen Gebieten lokalisiert. Wie segensreich sie für die einheimische Tierwelt sind, beweist die langjährige Erfahrung mit einem solchen Konzept aus dem Schweizer Kanton Graubünden. Unsere Forschungsergebnisse zum veränderten Energiebedarf bei Wildtieren während des Winters unterstreichen die Notwendigkeit von Wildruhezonen. Von ihrer Realisierung sind wir in Österreich leider noch weit entfernt.

Zur Wildtierpopulation: Wo gab es in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten die größten Veränderungen und warum?
Die schon angesprochene geradezu explosionsartige Vermehrung der Wildschweine in den letzten 50 Jahren gehört sicher dazu. Auch die Bestände von Reh und Rothirsch sind heute so hoch wie nie zuvor. Dieser reichlich gedeckte Tisch bringt uns über kurz oder lang auch die einst ausgerotteten großen Beutegreifer wieder ins Land. Der gerade sich wieder ausbreitende Wolf ist ein beeindruckendes Beispiel dafür. Das stellt uns natürlich vor neue Herausforderungen. Auf der anderen Seite gelingt es uns nicht, den Abwärtstrend bei Arten wie Feldhase oder Rebhuhn zu stoppen. Aus den großflächig in industriellem Maße bewirtschafteten Agrarflächen werden sie wohl verschwinden.

Was antworten Sie Kritikern, die das Thema Jagd generell verurteilen?
Wir leben in einer Kulturlandschaft, die der Mensch über Jahrhunderte geprägt und verändert hat. Sie hat wenig bis gar nichts gemein mit den ökologischen Bedingungen der echten Naturlandschaft, des echten Urwaldes, unter denen sich die Eigenschaften und Merkmale der Wildtiere in der Evolution entwickelten. Wie schon ausgeführt wird es Arten geben, die unter den von uns verursachten Lebensbedingungen überhandnehmen. Sie müssen reguliert werden. Die Jäger erledigen diese notwendige Regulation, wobei darauf zu achten ist, dass die Jagd auch nachhaltig ist. Diese Form der Naturnutzung ist absolut gerechtfertigt und für die Gesellschaft von Vorteil. Gäbe es sie nicht, müssten sie staatliche Organe erledigen, mit hohen Kosten für die Steuerzahler.

Ein persönliches Ziel, das Sie mittelfristig erreichen wollen in Ihrem Forschungsfeld?
Wir wissen heute, dass die Ernährung ganz maßgeblich die Fähigkeit von Wildtieren beeinflusst, die Nahrungsknappheit und Kältebelastung des Winters zu überleben. Meine Forschung fokussiert seit einigen Jahren auf diesen Aspekt, insbesondere auf die Rolle von essenziellen Fettsäuren, die in ausreichendem Maße mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Ein besseres Verständnis, warum diese Fettsäuren für den Organismus so wichtig sind, und wie sie in die Physiologie der Tiere eingreifen, ist so ein mittelfristiges Ziel.