Majestätische

Meisterflieger

Mag. Eva Kaiserseder

Die Falknerei und das Jagen mit Greifvögeln sind hierzulande seit 2012 immaterielles Unesco-Kulturerbe und eine jahrhundertealte Tradition. Wir werfen einen Blick hinter die Kulissen dieser speziellen, spannenden Mensch-Tier-Beziehung.

Belgien im Frühjahr 1482. Eine Frau, die auf Jagd geht, und das noch dazu mit einem zahmen Falken, gilt als außergewöhnliche Attraktion. Außerdem ist das Reiten im Damensattel, wie damals Usus, alles andere als ungefährlich. Maria von Burgund heißt die adelige Dame, die an diesem Morgen ihre Passion das Leben kosten wird. Die begeisterte Jägerin und Frau des späteren Kaisers Maximilian stirbt, nur 25-jährig, an den Folgen eines Reitunfalls. 

Dieses tragische Unglück ist zur Zeit der Hochblüte von Falknerei und Beizjagd in Europa passiert, als die edlen Tiere als absolutes Statussymbol an den herrschaftlichen Höfen der Feudalgesellschaft galten. Seinen Ursprung hat das Jagen mit Vögeln allerdings noch wesentlich früher, die Wissenschaft vermutet, dass es aus Zentralasien und dem Nahen Osten stammt. Stumme Zeugen dafür sind etwa Reliefs von Falknern aus dem assyrischen Khorsabad (heute Irak) um 700 v. Chr. In der Mongolei war die Methode bei nomadisierenden Reitervölkern geschätzt, denn schnelle und kräftige Greifvögel – hier vor allem der Steinadler – waren in der deckungslosen Steppe bestens geeignet, um Beute zu machen. Noch heute geht daher in der Westmongolei Anfang Oktober das Adlerfest über die Bühne, das diese uralte Tradition hochleben lässt und gleichzeitig die Jagdsaison einläutet. Und der wohl berühmteste Handelsreisende seiner Zeit, Marco Polo, berichtete über eine angeblich 10.000 Mann starke Falknertruppe am Hofe des Mongolenherrschers Kublai Khan –
ob diese Zahl einer gewissen Lust an der Übertreibung geschuldet ist oder tatsächlich stimmt, ist nicht überliefert. 

Nach Europa fand die Falknerei ihren Weg vermutlich mit dem germanischen Stamm der Goten. „Einen ersten Höhepunkt gab es dann mit dem Staufenkaiser Friedrich II. um 1200. In der Renaissance und im Barock war dann die Blüte der Falknerei in Europa“, erzählt Monika Hiebeler, Falknermeisterin am niederösterreichischen Greifvogelzentrum Waldreichs. Friedrich II. gilt als einer der Urväter der modernen Falknerei. Dessen literarisches Opus magnum heißt „De arte venandi cum avibus“ (Über die Kunst mit Vögeln zu jagen) und wird oft als das bedeutendste Werk über die Falknerei, wenn nicht sogar als deren „Bibel“, genannt. Das Besondere an dem Werk, in dem es um die Aufzucht, Haltung und Ausbildung von Falken und deren Beutetiere geht, ist die Verquickung aus althergebrachtem Wissen der arabischen und europäischen Welt. Außerdem setzte Friedrich, der selbst begeisterter Falkner war, weniger auf graue Theorie denn auf Erfahrung und Experiment und überprüfte all seine Thesen selbst. 

Monika Hiebeler skizziert das historische ­Falknerambiente von damals als „echte gesellschaftliche Höhepunkte im höfischen Leben. Die Jagdevents damals gingen mit viel Aufwand vonstatten, galt doch die Beizjagd als vornehmste Art zu jagen. Den Damen, die mit auf die Jagd gingen, war übrigens ganz genau vorgeschrieben, welche Falken sie fliegen durften. Dazu zählten etwa der Lannerfalke, der Kleine Merlin oder der Baumfalke.“ Die weißen Gerfalken galten damals wie heute übrigens als ganz besonders wertvoll, sie wurden sogar oft aus Gründen des diplomatischen Geschicks an andere Fürstenhäuser verschenkt. Dann kamen allerdings die Schusswaffen auf – und die Jagd mit Vögeln wurde als zu mühselig, zeit- und kostenintensiv angesehen. 

Hiebeler selbst ist der Faszination Falknerei schon vor Jahrzehnten erlegen, „dabei war das alles andere als geplant“, lacht sie. Eine dreitägige Flugvorführung auf der Rosenburg, der zweiten heimischen Adresse für Greifvogel­interessierte, legte anno 1987 den Grundstein dafür. „Damals war das eine einmalige Sache, schnell wurde daraus aber eine fixe Einrichtung und ich habe jede freie Minute mitgearbeitet, zugeschaut und gelernt.“ Und das mit Erfolg – seit Ende der 80er präsentiert sie unterschiedliche Greifvögel in Flugvorführungen und seit 2011 leitet sie Waldreichs. Die malerische Burg liegt im Waldviertel nahe dem Ottensteiner Stausee und ist gerade im Sommer beliebtes Ausflugsziel für Greifvogelaficionados, aber auch für Familien mit Kindern. 

Ein Universum für sich 

Wer selbst Falkner werden will, sollte das Tier selbstredend nicht als schnöde „Jagdwaffe“ betrachten, im Gegenteil. Ich frage Monika Hiebeler, was sie als wichtigste Eigenschaft für einen Falkner mit Leib und Seele einschätzt. „Gerade am Anfang braucht es das, was wahrscheinlich jede Mensch-Tier-Beziehung ausmachen sollte: die Kenntnis der Biologie. Am Beginn jeder Mensch-Tier-­Beziehung sollte ich zumindest versuchen, mich in die biologischen Gegebenheiten des Tieres hineinzuversetzen und ausführlich darüber zu informieren, damit ich angemessen handle und reagiere. Auch wenn Falkner natürlich schon längst nicht mehr mit Wildfängen arbeiten – es sind und bleiben keine Kuscheltiere.“ 

Bei der Beschäftigung mit den Vögeln gilt daher: keine Pauschalisierungen! Ob man einen Harris Hawk, Stein­adler oder Sakerfalken fliegt, macht einen großen Unterschied. Die zwei wesentlichsten Gruppen für die Beize sind Habichtartige und Falken. Steinadler etwa, die zu den Habichtartigen zählen, sind die kräftigsten unter den heimischen Greifvögeln und Vögel von niederem Flug. 

Sie jagen ihre Beute dicht am Boden, sind allein durch ihre Größe nicht besonders wendig, machen das aber durch ihre schiere Kraft wieder wett: Als Grifftöter sind ihre extrem kräftigen Klauen dafür gemacht, die Beute mittels festem Zugriff zu töten – gleichzusetzen mit einem Schuss. Die rasante „Anfluggeschwindigkeit“ von bis zu 200 km/h tut ein Übriges. Steinadler, deren Lebensraum die Alpen sind, jagen in freier Wildbahn gerne Murmeltiere, auch Eichhörnchen, Hasen oder Füchse stehen auf dem Speise­plan. Sogar Gämsen sind vor Angriffen des Steinadlers nicht sicher. Monika Hiebeler, die selbst einen zehnjährigen Steinadler besitzt und fliegt, ist sich sicher: „Jeder Falkner hat seinen ganz speziellen Vogel, seine ganz spezielle Vorliebe. Bei mir ist es eindeutig der Adler.“ Der Stolz auf „Attila“ ist ihr anzumerken: „Ich glaube, so einen Vogel bekommt man nur einmal im Leben. Ich habe ihn selbst abgetragen und er war von Anfang an ein extrem erfolgreicher Jäger, der mittlerweile auch zur Zucht eingesetzt wird. Und er ist ein Tier, das einen extremen Appell hat, das heißt, er ist sehr gehorsam. Zu mir ist er ja grundsätzlich sehr nett. Die Falken sind da schon distanzierter und unpersönlicher“, lacht sie. 

Falken sind Bisstöter

Für die Beizjagd werden unter anderem Wanderfalken, Gerfalken und Sakerfalken eingesetzt. Sie alle sind Vögel von hohem Flug, ihre ganze Anatomie ist für den ­aktiven Flug gebaut, längere Gleitflüge wie beim Adler sind eigentlich nicht vorgesehen. Ihre Nahrung erjagen sie gerne von einem höher gelegenen Ansitz aus, um dann in großem Tempo auf ihr Beutetier hinunterzustoßen. ­Falken sind übrigens keine Grifftöter wie die Adler, sondern Bisstöter. Sie haben zu kurze und wenig kräftige Klauen dafür und beißen das gefangene Beutetier in aller Regel mit ihrem spitzen Schnabel, der mit dem sogenannten Falkenzahn am Schnabelrand versehen ist, tot. 

Hat man diese biologischen Basics im Hinterkopf, kann man sich langsam an die Materie herantasten. „Wir arbeiten hier viel mit dem Prinzip des Lehrprinzen, das heißt, ein angehender Falkner sucht sich jemanden mit Erfahrung, der weiß, was er tut“, erklärt Hiebeler die Idee. Wer dann mit dem Vogel auf die Jagd gehen will, braucht grundsätzlich einen Jagdschein, in Salzburg, dem Burgen­land und Kärnten muss zusätzlich die Falknerprüfung abgelegt werden, die sich der Österreichische Falknerbund auch für die anderen Bundesländer wünscht. 

Das Abtragen, also das Zähmen und Abrichten eines Vogels, ist dann noch einmal eine ganz eigene Kunst, erzählt die Falknerin. „Ganz wichtig beim Abtragen ist, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass man es mit keinem Säugetier zu tun hat. Der Vogel wird sich nie unterordnen wie ein Hund, der ja Rudeltier ist, dem Vogel begegnet man also wohlweislich auf Augenhöhe. Dann funktioniert die Partnerschaft auch. Anschreien, auch nur schärfer anreden oder gar bestrafen – das funktioniert nicht. Im besten Fall ignoriert, im schlimmsten attackiert mich das Tier. Ich muss aber dazusagen, ich habe noch kein einziges Mal ein Problem mit einem aggressiven Vogel gehabt“, plaudert Monika Hiebeler aus dem Nähkästchen. Beim Abtragen selbst gilt es zuerst, den Vogel fit zu machen und ihm eine gute Muskulatur anzutrainieren, denn das ist die allerwichtigste Voraussetzung für einen guten Flug und damit für einen erfolgreichen Jäger. Nachdem die Elterntiere als Lehrer logischerweise ausfallen und sich die Jungvögel nicht mehr an den Altvorderen orientieren können, heißt das für den Menschen: versuchen, eine ganz ähnliche Ausgangslage zu schaffen. 

„Ab dem Zeitpunkt, wo er auch in der Natur anfangen würde, zu fliegen, beginnen wir mit der Ausbildung. Nicht früher. Da orientieren wir uns strikt an der Biologie. Die Vögel sind da etwa 100 Tage alt“, erklärt Hiebeler den Anfang des Prozederes. Damit der Vogel verlässlich zurückkommt, wird mit Lockrufen, Pfiffen und natürlich vorbereiteter Atzung (Futter für den Greifvogel) gearbeitet. Dann wird mit dem Vogel das Fliegen geübt, vor allem das Aufbaumen, also das Landen auf einem erhöhten Platz, ist wichtig. Das kann der Vogel nämlich nicht automatisch, es muss trainiert werden. 

„Interessant wird es in dem Moment, in dem er wieder zurückkommen soll. Schafft er es herunter und schafft er es dann auch zu mir zurück? Am Anfang trauen sich viele Tiere noch nicht so recht hinaus, egal ob in freier Wildbahn oder bei uns, aber irgendwann müssen sie ­starten. In der Natur ist es dann so weit, wenn die Eltern kein Futter mehr bringen“, so die Falknerin. Sobald der Jungvogel weiß, wie der Hase läuft, also, wie man einen Flug gut meistert, und er auch verlässlich wieder zum Falkner zurückkehrt, wird mit Beuteattrappen gearbeitet, die sich eng am natürlichen Beuteschema orientieren. „Üblicherweise kann ich dann mit einem Vogel, der im Mai geschlüpft ist, im Oktober das erste Mal auf die Jagd gehen. Die Tiere lernen unglaublich schnell.“ Die Freude über die ersten Jagderfolge wird mit der Zeit nicht geringer, sagt sie, im Gegenteil: „Man ist jedes Mal sehr stolz, wenn der Vogel Beute macht, das ist einfach eine Riesenleistung für das Tier, an der ja auch der Mensch nicht unwesentlich beteiligt ist.“ 

Chapeau: Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist wohl das, was die Falknerei so faszinierend macht und wohl auch weiterhin machen wird.